Pensionsreform

Experten fordern neues System ohne fixes Antrittsalter

Österreich
24.09.2012 14:46
Jeder geht, wann er will und mit dem, was da ist: Mehr als 50 Sozialwissenschaftler, Ökonomen und Unternehmer haben sich am Montag mit einem gemeinsamen Aufruf für eine groß angelegte Pensionsreform an die Politik gewandt. Der Vorschlag regt an, das System künftig über ein Beitragskonto und zweckgebundene staatliche Zuschüsse, z.B. zur Armutsverhinderung, zu führen. Ein fixes Antrittsalter, derzeit bei 65 Jahren, bräuchte man dann nicht mehr. Jeder könnte nach dem Erreichen eines Basisbetrages nach eigenem Ermessen in Rente gehen.

Die Unterzeichner des Reformwunsches kommen aus allen politischen Lagern. Federführend agierte der Universitätsprofessor und ehemalige Weltbank-Direktor Robert Holzmann, mit dabei sind unter anderen der frühere Grünen-Bundessprecher Alexander Van der Bellen, die ehemaligen SPÖ-Finanzminister Hannes Androsch und Andreas Staribacher, Ex-EU-Kommissar Franz Fischler, der Unternehmer Hans-Peter Haselsteiner sowie diverse Sozialexperten.

Reform soll Sicherheit geben
Ob der deutlich formulierte Aufruf die Regierung zu unmittelbaren Reformbestrebungen führen wird, dabei sind die Experten geteilter Meinung. Holzmann meinte bei der Präsentation des Reformpapiers, die Chancen seien "kurzfristig etwas limitiert". In fünf Jahren werde eine Reform aber kommen, da sie finanziell unumgänglich sei, ist Ulrich Schuh vom EcoAustria-Institut überzeugt. Denn das jetzige "ständige Weiterwursteln" bringe das System nicht weiter.

Die Reformer betonen die Notwendigkeit einer Regelung, die den Versicherten Sicherheit bietet. In den letzten 25 Jahren habe er 28 bis 30 Prozent seiner ursprünglichen Pensionserwartungen eingebüßt, erzählt Pensionsexperte Bernd Marin, Direktor des Europäischen Zentrums für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung. Das sei schon in Ordnung, da es für das System notwendig gewesen sei, aber es sei falsch, den Österreichern über Jahre Ansprüche zu suggerieren, die dann erst nicht eingehalten werden könnten.

Eingezahlte Beiträge : Lebenserwartung = Rente
Deshalb bauen die Experten nun auf ein nachhaltiges System, das jenem in Schweden nachgebaut werden solle. Grundprinzip ist, dass auf einem Konto die Beiträge eingezahlt und dann real verzinst werden. Die Pension errechnet sich dann aus der angehäuften Summe dividiert durch die durchschnittliche (Rest-)Lebenserwartung. Wann man die Pension antritt, bleibt dann jedem selbst überlassen - je nachdem, mit wie viel man zufrieden ist. Private Zusatzpensionen sind möglich, für die System-Aufrechterhaltung jedoch nicht obligatorisch.

Holzmann würde ein Mindestalter einführen, Marin hält aber nicht einmal das für nötig. Jedenfalls sollte es einen Mindestbetrag geben, der angespart wurde, damit quasi eine Basis-Pension gesichert wäre. Der Bundesbeitrag zu den Pensionen würde zunächst bestehen bleiben, da im Expertenmodell die gegenwärtigen Ansprüche erhalten blieben, dann aber bis hin zu null abschmelzen.

Staat müsste weiterhin zuschießen, Bürger länger arbeiten
Dass der Staat deswegen gar nichts mehr ins Pensionssystem pumpen müsste, ist freilich auch nicht vorgesehen. Zuschüsse zu den Beiträgen sollte es etwa für Zeiten der Kindererziehung oder des Präsenz- bzw. Zivildienstes geben. Die würden dann aber auch sofort am Konto erscheinen, das heißt, man wüsste zu jedem Zeitpunkt, wie es um die eigene Rente steht.

Kein fixes Antrittsalter bedeutet aber nicht, dass sich in diesem System alle mit 50 in die Rente verabschieden. Durch die steigende Lebenserwartung, die ja bei der Pensionsberechnung die entscheidende Rolle spielt, müsste länger gearbeitet werden, um auf die gleichen Bezüge wie derzeit zu kommen. Holzmann denkt, dass es für die Generation der heute 40- bis 50-Jährigen in Richtung 70 gehen wird. Um auf einen ähnlichen Ruhensbezug wie derzeit zu kommen, müsste man also vier bis fünf Jahre länger arbeiten.

Ziel: Beschlussfertige Reform nach erstem Regierungsjahr
Von der Politik erhoffen sich die Fachleute, dass sie deren Angebot, ein neues System zu gestalten, zumindest annehmen. Vernünftig wäre aus ihrer Sicht, wenn zumindest die nächste Regierung eine entsprechende Expertenkommission einsetzt, die binnen Jahresfrist ein Modell ausarbeitet, das dann von der Politik in Details ausgestaltet werden sollte. Österreich sehen die Experten vom Ziel eines neuen Gesamtsystems nicht sehr weit entfernt. Die technischen Voraussetzungen für beitragsbezogene Pensionskonten bestünden bereits, die Umstellung von den jetzigen Leistungskonten auf einheitliche Beitragskonten für alle wäre ein "vergleichsweise kleiner, aber wichtiger Schritt", heißt es im Reformpapier.

Der Regierung sollte klar sein, dass die Zeiger der Reformuhr auf fünf vor zwölf stehen: "Schon derzeit ist jede dritte Pension nicht durch Beiträge gedeckt. Ohne umfassende Pensionsreform kann eine nachhaltige Sanierung der Staatsfinanzen nicht gelingen."

Arbeitnehmervertreter wollen keine Reformen
Die Arbeitnehmer-Organisationen haben die Experten schon einmal nicht überzeugt: Massive Pensionskürzungen für die heute Jüngeren oder starke Beitragserhöhungen wären das Ergebnis des Konzepts, ärgerte sich Josef Wöss von der AK Wien am Montag. Eine weitere Absenkung des Pensionsniveaus wäre nämlich der falsche Weg. Die Entwicklung in Deutschland, wo nach drastischen Pensionskürzungen nunmehr über Ergänzungszahlungen zu den Pensionen diskutiert werde, sollte Warnung genug sein, so Wöss.

ÖGB-Präsident Erich Foglar meinte, die Reformen der vergangenen Jahrzehnte sollen jetzt einmal wirken, bevor die Menschen durch neuerliche Pensionsdebatten verunsichert würden. Das Pensionssystem, aber auch andere Systeme der sozialen Sicherheit seien nicht geeignet, unter dem Deckmantel der Krise zusammengestutzt zu werden, befand der Gewerkschaftschef. Natürlich müsse man auch zur Sicherung der Pensionen viel tun, dabei gälte es aber allen voran Beschäftigung zu schaffen und altersgerechte Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen.

Kritik von Blecha, Leitl durchaus zufrieden
Pensionistenverbands-Chef Karl Blecha hielt fest, "dass man schon heute länger als bis 65 arbeiten kann - wenn der Betrieb es will." Man solle also nicht so tun, als ob längeres Arbeiten in Österreich "verboten wäre". Zum von den Experten gepriesenen schwedischen Modell merkte Blecha an, "dass es dort beispielsweise für den Dienstgeber keine Höchstbeitragsgrundlage gibt. Da bin ich gespannt, was der Herr Leitl dazu sagt."

Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl zeigte sich mit den Vorschlägen der Fachleute allerdings durchaus zufrieden. Das Pensionsantrittsalter sei heute mit 58 um drei Jahre niedriger als vor 40 Jahren - und das bei einer um zwölf Jahre höheren Lebenserwartungen. Dieser Trend müsse unbedingt gebrochen, das Pensionsantrittsalter dringend nach hinten verschoben werden.

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