Umstrittener Vorstoß

Kinderehen in der Türkei bald gesetzlich erlaubt?

Ausland
08.10.2017 19:42

Als die Türkei noch auf Kurs nach Europa war, wurden Gesetzespakete verabschiedet, die darauf abzielten, die Situation der Frauen zu verbessern und mehr Gleichberechtigung zu schaffen. Derzeit scheint der Trend nun in die andere Richtung zu gehen. Ein Gesetzesentwurf, der Muftis berechtigt, Ehen zu schließen, sorgt nun für heftige Debatten. Es wird befürchtet, dass durch die geplante Änderung Kinderehen und sogar Polygamie legitimiert werden könnten.

Eigentlich müssen Ehen in der laizistischen Türkei von einem Standesbeamten geschlossen werden und erst nachträglich darf der religiöse Segen eingeholt werden. In Zukunft sollen aber Muftis, also Islamgelehrte, die der Religionsbehörde Diyanet unterstehen, das Recht erhalten, rechtsgültige Trauungen durchzuführen. Bereits im Jahr 2015 hatte das türkische Verfassungsgericht entschieden, dass von Imamen geschlossene Ehen rechtsgültig sind.

Muftis haben kein Problem mit Kinderehen
Viele muslimische Geistliche haben aufgrund ihrer religiösen Überzeugungen weder ein Problem damit, junge Mädchen zu verheiraten, noch mehr als eine Frau pro Mann. Kritiker befürchten, dass mit dem neuen Gesetz staatliche Autoritäten die Kontrolle an einen Personenkreis abgeben würdne, dessen Werte und Moralvorstellungen nicht unbedingt deckungsgleich mit denen des laizistischen Staates sind.

"Wenn dieser Gesetzesentwurf Gesetzeskraft bekommt, werden in unserer Gesellschaft Kinderehen legal und gesetzmäßig", befürchtet die Juristin Müjde Tozbey Erdem und fügt hinzu: "Das bedeutet, dass in diesem Fall junge Mädchen ohne staatliche Kontrolle durch die religiöse Trauung verkauft werden und Missbrauch durch die Hand des Staates erfahren." Des Weiteren sollen, wenn der Gesetzesentwurf sich weiterhin in den Instanzen behaupten kann, Geburten auch ohne offiziellen Geburtsschein eingetragen werden können, basierend lediglich auf der mündlichen Aussage der Eltern.

Minderjährige Mütter und Hausgeburten
Konkret bedeutet das, dass Hausgeburten vereinfacht werden, die wiederum sind ebenfalls bei minderjährigen Müttern verbreitet: Nach derzeit noch geltendem Recht gelten die Väter von Kindern, deren Mütter bei der Geburt minderjährig sind, nämlich als Vergewaltiger und werden mit Gefängnis bestraft. Immer wieder berichten Medien, dass die frischgebackenen stolzen Väter noch im Krankenhaus verhaftet werden.

Im Vergangenen Jahr reichten einige Politiker der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP den Antrag im Parlament ein, diesen Tatbestand abzuschaffen. Eine Vergewaltigung sollte straffrei sein, wenn der Täter das Opfer heiratet. Was gegen jede Vernunft und Mitgefühl zu verstoßen scheint, wurde auch von Ministerpräsident Binali Yildirim und Justizminister Bekir Bozdag verteidigt: "Es geht darum: Es gibt Leute, die nicht das passende Alter haben, die früh heiraten. Die kennen die Gesetze nicht. Deswegen bekommen sie ein Kind, der Vater geht ins Gefängnis und die Kinder sind mit der Mutter alleine. Wir haben festgestellt, dass es 3000 solcher Familien gibt. Es geht dabei darum, diese Opfersituation zu beenden", so Yildirim.

Frauenrechtlerin: "Übergang zur Islamischen Republik"
Frauenrechtsaktivistinnen in der Türkei sind in Daueralarmbereitschaft. In Ankara und Istanbul kommt es immer wieder zu Demonstrationen. Die Angst ist groß, dass schleichend aber beständig die Situation der Frau verschlechtert wird und durch die Hintertür die Scharia eingeführt werden könnte. Die Akademikerin und Autorin Erendiz Atatsü formuliert ihre Befürchtungen: "Die Bürgerinnen und Bürger hatten doch gar kein Problem mit der Eheschließung. Überall im Land kochen die Probleme, aber die Staatsführung beschäftigt sich mit diesem Thema! Der Grund, warum man so auf dieser Eheschließung durch die Muftis beharrt, kann kein anderer sein, als dass man eine weitere Stufe auf dem Übergang von der Republik Türkei zur Islamischen Republik, vielleicht auch dem Sultanat, also vom laizistischen Rechtsverständnis zum Islamischen, nehmen möchte."

Strache: "Diese 'Tradition' hat in keiner Religion Platz"
Das neue Gesetzesvorhaben ist für die FPÖ ein weiterer Grund, warum die Türkei kein Teil "eines freien Europas" sein könne. Parteichef Heinz-Christian Strache erklärte am Sonntag auf seiner Facebookseite: "Diese frauenverachtenden und schwer verwerflichen 'Sitten' sind scharf zu verurteilen. Diese 'Tradition' hat in keiner Religion Platz. Es macht tief betroffen, wenn man bedenkt, wie hier Kinderseelen ruiniert werden - lediglich aus falschem Ehrgefühl!"

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