Häupl im Interview

„Hätten wir eine Mauer rund um Wien bauen sollen?“

Österreich
29.04.2018 07:50

In 25 Tagen ist Schluss. Nach 24 Jahren geht die Ära Michael Häupl im Mai zu Ende. Wie sich das anfühlt? Der Noch-Bürgermeister Wiens über seinen Einfluss, Nachfolger Michael Ludwig, seine Bilanz und über den Tod. Befragt, ob ihm in seiner Amtszeit das Thema Migration entglitten sei, meinte Häupl: „Was hätten wir tun sollen? Ich nehme nicht an, dass man von mir verlangt, dass ich Mauern zu Niederösterreich bauen soll.“

„Krone“: Herr Bürgermeister, Ihr Zitat: „Wenn man sagt, dass man aufhört, bringt einem der Amtsdiener nicht einmal mehr einen Kaffee.“ Und doch, hier steht er.
Michael Häupl: Ja, das ist ein Zitat von Gertrude Fröhlich-Sandner und das ist bildlich gemeint.

„Heinz-Christian Strache wird nicht Bürgermeister“, sagen Sie auch immer. Vielleicht irren Sie sich ja auch da.
Nein. Ich sehe mir ja die österreichische Realpolitik an. Noch bin ich im Amt, noch habe ich alle Informationen. Wenn ich mir die vier Landtagswahlergebnisse anschaue, so mache ich mir keine Sorgen.

Was macht die Bundesregierung eigentlich so schlecht? Laut Beliebtheitsumfragen hängt Kanzler Sebastian Kurz alle ab, die FPÖ holt wieder auf, 59 Prozent der Österreicher sind mit der Politik zufrieden, 80 Prozent wiederum finden, dass etwa die Deutschklassen eine richtige Maßnahme sind. So mies ist das alles doch nicht, oder?
Ja natürlich nicht, weil sie Meister der Verschleierungstechnik sind, und die ÖVP im besonderen Ausmaß. Die Umfragen, nach denen die ÖVP zulegt und Strache aufholt, die kenne ich nicht. Momentan zahlt die Zeche für diese Regierung sowieso die FPÖ. Und dass so viele für Deutschklassen sind, ist ja nicht weiter verwunderlich. Denn das heißt übersetzt, die Leute sind dafür, dass diejenigen, die zu uns kommen, Deutsch lernen. Na gut, das sind wir alle. Es gab ja die Einigung, dass man jene Kinder, die durch Familienzuzug zu uns ziehen und noch nicht im Kindergarten waren, zusätzlich mit Deutschunterricht versieht. Aber nicht, dass man sie aus dem Klassenverband herauslöst. Ich kann das alles nicht nachvollziehen.

Sie befürchten in Österreich ja auch immer wieder einen Sozialabbau.
Was heißt befürchten? Der findet ja schon statt. Die österreichweite Regelung der bedarfsorientierten Mindestsicherung ist ein klarer Sozialabbau, denn der bedeutet eine Kürzung. Die Frage der Auflösung der Notstandshilfe ebenso.

Der gestrichene Heizkostenzuschuss, die stark angehobenen Gebühren, die Betriebskosten im Gemeindebau sind höher als bei den Privaten, die Anhebung der Öffi-Tarife - diese Wien-Maßnahmen sind aber auch nicht sonderlich sozial, oder?
Also jetzt wollen wir nicht übertreiben. Ich habe immer gesagt, ich werde mir keine Maßnahmen einreden lassen, die dazu führen, dass etwa Unternehmen wie die Verkehrsbetriebe wirtschaftliche Schwierigkeiten bekommen. Wir haben die billigsten öffentlichen Verkehrstarife von allen Städten in ganz Österreich. Dass die Betriebskosten im Gemeindebau höher sind, hängt natürlich auch mit den höheren Dienstleistungen zusammen. Und so viel ist es selbst dann nicht.

Sie wurden im Jahr 1994 Bürgermeister. Laut Statistik gab es damals einen Ausländeranteil von 18 Prozent, heute sind in Wien mehr als ein Drittel im Ausland geboren, jeder Zweite hat Migrationshintergrund. Ist Ihnen das entglitten?
Jetzt stelle ich ausnahmsweise eine Gegenfrage. Was hätten wir tun sollen? Wien ist das einzige Bundesland, das keine Staatsaußengrenze hat, und ich nehme nicht an, dass man von mir verlangt, dass ich Mauern zu Niederösterreich bauen soll. Die Frage ist eine ganz andere. Nämlich, wie gehen wir mit denjenigen um, die zu uns kommen und um Hilfe bitten, weil sie in ihrem Heimatland an Leib und Leben bedroht werden?

Islam-Kindergärten, Kriegsspiele in einer Moschee, Kinder, die Leichen mimen müssen ...
Da können wir noch so viele Dinge aufzählen. Parallelgesellschaften sind inakzeptabel. Das findet von mir auch kein Wort der Verteidigung, kein Wort der Toleranz.

Aber es passiert trotzdem.
Auch Gewalttaten, die gesetzlich verboten sind, passieren trotzdem.

Die Integration hat in den vergangenen Jahren also gut funktioniert?
Ja! Wenn das zu 99,99 Prozent gut funktioniert, kann man nicht sagen, es war alles mies, nur weil ein paar Idioten glauben, sie müssen Krieg spielen.

Anderes Thema: Der ehemalige Bürgermeister Michael Häupl geht eines Tages über den Praterstern, kauft sich beim Würstelstand eine Eitrige und ein 16er-Blech, spaziert weiter, kommt die Polizei und sagt: Alkoholverbot, 70 Euro Strafe. Was antwortet Michael Häupl da?
Dann hat mich diese Strafe möglicherweise zu Recht ereilt. Ich will einmal völlig davon absehen, dass ich auf dem Brunnenmarkt meine Burenwurst essen würde, weil eine Eitrige esse ich nicht. Dass es jetzt ein Alkoholverbot für ein Jahr gibt, halte ich für richtig.

24 Jahre Bürgermeister. Wie fühlt sich das an, wenn die Macht schwindet?
Ich habe Macht immer sehr einfach gesehen. Wenn eine Frau mit zwei Kindern, die einen Halbtagsjob hat, zu mir kommt und sagt, sie hat ein Problem, sie kommt mit dem Geld nicht aus und kann ihre Kinder nicht ernähren, konnte ich ihr als Bürgermeister helfen. Das werde ich in Zukunft so nicht mehr können, aber ich kann weiterhin vermitteln.

Für wen ist es denn schwieriger, Macht zu verlieren: Für jemanden, der sie nur kurz hatte, wie Ex-Kanzler Christian Kern, oder für jemanden, der sie lange hatte, so wie Sie?
Grundsätzlich muss man sich bei der Übernahme einer solchen von der Demokratie verliehenen Macht von Beginn an darauf einstellen, dass es auch wieder vorbei sein wird. Man darf sich nicht in die Macht verlieben. Und das habe ich nie.

Wie bitter ist es für Sie, dass Sie an Michael Ludwig abgeben müssen?
Es ist überhaupt nicht bitter. Im Gegensatz zu immer wieder kolportierten Meinungen habe ich mit Michael Ludwig keine Probleme. Es ist nicht nur nicht bitter, es ist alles bestens.

Beim Landesparteitag, als Michael Ludwig zu Ihrem Nachfolger gewählt wurde, hat er Sie zum Ehrenvorsitzenden der Partei ernannt. Ich habe Sie bei der Verkündung angesehen, für einen Moment ist Ihnen die Maske des Profipolitikers vom Gesicht gerutscht. Da war Abneigung.
Nein, wahrscheinlich irren Sie. Ich war angenehm überrascht. Ich habe mich gefreut.

Ich habe das also völlig falsch interpretiert?
Völlig falsch interpretiert.

Sie haben als junger Mensch charismatische Führungspersönlichkeiten bewundert, Menschen, die einen Raum betreten, und man glaubt, die Sonne geht auf. Hätte der junge Michael Häupl den Michael Häupl von heute bewundert?
Das weiß ich nicht. Diese Form von Selbstverliebtheit habe ich nicht und nie gehabt. Ich habe Persönlichkeiten wie Leopold Gratz oder Tony Blair gemeint, die eine unglaublich positive Ausstrahlung und Energie hatten bzw. haben. Ich habe auch andere bewundert. Wie Hans Mayr und Helmut Zilk, wie die beiden im Duett die Stadt geführt haben. Die zwei haben allerdings auch ganz schön grantig werden können. Zu einem Wiener Bürgermeister gehört es wohl dazu, dass er gelegentlich ein bisschen grantig ist, sonst ist er kein Wiener.

Sie haben es an die Spitze Wiens geschafft und blieben 24 Jahre lang dort. Haben Sie dafür je etwas tun müssen, für das Sie sich heute schämen?
Nein, schämen nicht. Wenn sich heute jemand da hersetzt und sagt, er hat alles wunderbar gemacht, und nichts würde er anders machen, dann flunkert er ein bisschen. Aber natürlich hätte ich manches anders gemacht mit der Weisheit des Abends. Der Abend ist immer klüger als der Morgen. Aber zu schämen brauche ich mich für nichts.

Wie sehr leidet eigentlich das Privatleben unter 24 Jahren Bürgermeister?
Da ist sicherlich einiges misslungen. Ich bin ja zum dritten Mal verheiratet, wie ohnehin jeder weiß. So gesehen opfert man schon viel. Familie, Freunde, solche Beziehungssysteme aufrechtzuerhalten kostet alleine vom Zeitaufwand her enorme Mühe. Etwas, auf das ich mich schon ein wenig freue, ist, dass diese tägliche 24-Stunden-Verfügbarkeit wegfällt. Das finde ich sehr gut. Man kann sich viel mehr mit den Dingen beschäftigen, die Spaß machen. Wobei ich sagen muss, ohne schon den Blick der Verklärung der Geschichte zu haben, der überwiegende Teil war schon sehr lustig. Und wir waren auch rundherum ein lustiges Völkchen.

Ihr Rathaus-Gemälde wurde bereits gemalt, aufgehängt wird es erst, wenn Sie verstorben sind. Haben Sie Angst vor dem Tod?
Nein. Es gibt ein paar Dinge, die ich überhaupt nicht nachvollziehen kann, das ist die leibliche Wiederauferstehung. Aber ich weiß natürlich nicht, ob es ein Leben nach dem Tod gibt. Ich weiß nur, es gibt ein Leben nach der Politik.

Michael Pommer, Kronen Zeitung

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