Schauspielhaus Graz

Ein kleiner Kuss führt zur großen Entgleisung

Steiermark
14.12.2025 19:15

Das Grazer Schauspielhaus zeigt Ödön von Horváths selten gespieltes Spätwerk „Der jüngste Tag“ in der Regie von David Bösch.

Ein Kuss von der jungen Wirtstocher Anna, und das Leben des pflichtbewussten Bahnhofsvorstandes Hudetz entgleist. Denn vom Kuss abgelenkt, setzt er zu spät das Signal, es kommt zur Kollision zweier Züge. 18 Menschen sterben. Schon nach vier Monaten kommt er wieder aus der U-Haft, denn Anna hat für ihn gelogen und sich damit in eine Spirale der Schuld manövriert. Denn Hudetz’ Ehefrau Josefine war Zeugin des Vorfalls und weiß, dass die beiden lügen. Nur will ihr im Kaff, in dem keiner sie leiden kann, niemand glauben. Zumindest bis Anna verschwindet.

In der Inszenierung von David Bösch am Grazer Schauspielhaus hängt von Anfang an ein Nebel über der minimalistischen Einöde (Bühne: Patrick Bannwart). Die Katastrophe beginnt nicht etwa erst mit dem folgenschweren Kuss, sie scheint bei Bösch wie das geisterhafte Wetter in diese dumpfe Welt und ihre vorurteilsbehafteten Menschen eingeschrieben. Das ist durchaus schlüssig, hat Horváth das 1937 vollendete Drama (es war sein letztes) doch unter dem Eindruck der Nonchalance geschrieben, mit dem damals immer mehr Österreicher dem drohenden NS-Regime begegneten.

Thomas Kramer, Miriam Maertens, Franz Solar und Luisa Schwab (v. li.)
Thomas Kramer, Miriam Maertens, Franz Solar und Luisa Schwab (v. li.)(Bild: Lex Karelly)

Bösch drückt diesem selten gespielten Stück keine verkrampft moderne Lesart auf, arbeitet brav der thrillerhaften Handlung entlang. Zugleich versucht er einen schrägen Spagat zwischen psychologisierender Vertiefung und ironischer Distanz, zwischen Bildgewalt und gespreizten Ideen. So ganz ist man sich nie sicher, in welcher Beziehung zum Text die Regie nun steht – ist es pathetische Huldigung oder zynische Unterwanderung?

Dazu passt auch die Figurenführung: Fast loriothaft lässt Thomas Kramer seinen Hudetz etwa an dessen beamtenhafter Korrektheit scheitern. Über weite Strecken hält er dabei eine spleenige Armlänge Abstand zum Herzen seiner Figur – nur um dieses dann doch noch eindrucksvoll ausbluten zu lassen. Auch Luisa Schwab muss als Anna einen nicht ganz einfachen Balanceakt zwischen jugendlicher Naivität, sinnlicher Selbstbestimmung und geisterhafter Symbolhaftigkeit vollführen – keine einfache Aufgabe.

Rund um dieses seltsame Paar dreht sich ein Karussell der Vorurteile und Gerüchte. Egal ob polternder Wirt (Franz Solar), gefühlsduseliger Verlobter (Oliver Chomnik) oder naive Kellnerin (Marlene Hauser), neugierige Nachbarin (Miriam Maertens) oder patscherter Vertreter (Kaspar Simonischek) – sie alle glauben zu wissen, was zwischen Anna und Hudetz passiert ist und welche Rolle die unliebsame Josephine (Anna Rausch) und ihr Bruder (Tim Breyvogel) in all dem spielen. Doch diese Gewissheit ist freilich nichts als ein trügerischer Schein, der alle Figuren blendet und sie zu blinden Rachegelüsten verführt.

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