Chemische Prozesse laufen in Sekundenbruchteilen ab, die Methoden der klassischen Chemie können bei solch schnellen Abläufen kaum mithalten. Martin Karplus, Michael Levitt und Arieh Warshel schufen die Grundlagen für präzise Analysen chemischer Prozesse am Computer. Dafür war es notwendig, Newtons klassische Physik mit der Quantenphysik zu kombinieren. So schufen die Preisträger die Grundlage für die meisten Fortschritte in der modernen Chemie, heißt es in der Begründung der Akademie.
"Es ist fast unmöglich, jeden Schritt in chemischen Prozessen experimentell zu verfolgen. Die Methoden, für die nun die Forscher mit dem Nobelpreis in Chemie bedacht werden, haben es ermöglicht, diese Prozesse am Computer zu enthüllen", heißt es seitens der Akademie. "Die Simulationen sind so realistisch, dass sie die Ergebnisse traditioneller Experimente vorhersagen." "Dieser Preis handelt davon, das Chemie-Experiment in den Cyberspace zu bringen", drückte es Staffan Normark, Ständiger Sekretär der Akademie, bei der Bekanntgabe aus.
Karplus emigrierte 1938 in die USA
Mit Karplus wird die Liste der in Österreich geborenen, von den Nazis aber noch im Kindheits- bzw. Jugendalter vertriebenen Nobelpreisträger nach zuletzt Walter Kohn (Chemie-Nobelpreis 1998) und Eric Kandel (Medizin-Nobelpreis 2000) wieder um einen Namen länger. Der 83-Jährige ist nach eigenen Angaben sogar noch österreichischer Staatsbürger - seine wissenschaftliche Karriere machte der theoretische Chemiker aber fernab Österreichs an den Top-Universitäten der USA und Großbritanniens.
Karplus wurde am 15. März 1930 in Wien geboren und wuchs in Grinzing auf. Die Wissenschaft wurde dem Spross einer jüdischen Medizinerfamilie praktisch in die Wiege gelegt: Bereits sein Großvater väterlicherseits, Johann Paul Karplus, war Professor an der Medizin-Fakultät der Uni Wien und an der Entdeckung der Funktion des Hypothalamus beteiligt - nach ihm ist heute die Karplusgasse in Wien-Meidling benannt. Sein anderer Großvater, Samuel Goldstern, betrieb eine auf die Behandlung rheumatischer Leiden spezialisierte Privatklinik.
Bereits wenige Tage nach dem "Anschluss" verließ Karplus zusammen mit seiner Mutter und seinem Bruder Robert (1927-1990), der später ein bekannter Physiker und Physik-Pädagoge in den USA wurde, Österreich in Richtung Schweiz. Sein Vater wurde in Wien inhaftiert, konnte aber einige Monate später ausreisen und mit der gesamten Familie in die USA emigrieren, wo sie vor fast genau 75 Jahren, am 8. Oktober 1938, ankam.
"Gemischte Gefühle" für Österreich
Erst 45 Jahre später kehrte Karplus an die Stätten seiner Kindheit zurück - das Wohnhaus der Familie war von den Nazis arisiert worden. "Bis heute, mehr als 65 Jahre später, habe ich gemischte Gefühle, wenn ich Österreich besuche, was ich selten tue, weil der Antisemitismus heute genauso verbreitet ist wie damals", schrieb der Wissenschafter 2006 in einer Kurz-Autobiographie.
In den USA wuchs Karplus in Brighton im Großraum Boston auf. Er studierte zunächst ab 1947 in Harvard und wechselte später ans California Institute of Technology (Caltech), wo er beim zweifachen Nobelpreisträger Linus Pauling seinen PhD (das ist in englischsprachigen Ländern der wissenschaftliche Doktorgrad in fast allen Fächern, Anm.) machte. Anschließend forschte er als Postdoc zwei Jahre in Oxford (Großbritannien), bevor er in die USA zurückging und zunächst an der University of Illinois und dann an der Columbia University arbeitete. 1966 kehrte Karplus als Professor an seine Alma Mater in Harvard zurück, wo er nach wie vor forscht.
Seit Jahrzehnten begeisterter Fotograf
Abseits seiner Forschung widmete sich Karplus auch intensiv der Fotografie: Während seiner Studienzeit zog er in den 1950ern in den Ferien los, um Europa zu erkunden. In den frühen 60er Jahren, als er schon Professor war, folgten Vortragsreisen nach Lateinamerika, China und Japan. Dabei entstanden innerhalb von zwölf Jahren 4.000 Leica-Farbfotos von Straßenszenen. Erst im Sommer dieses Jahres wurde eine Auswahl der Bilder Karplus' in der Französischen Nationalbibliothek ausgestellt.
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