Ohne sie kein Wanderweg, keine Schutzhütte, kein Bergerlebnis: Ehrenamtliche leisten Unbezahlbares. Doch jetzt schlagen Alpenverein, Naturfreunde, ÖTK & Co. Alarm, denn genau diese stillen Helden werden immer weniger – und mit ihnen das Rückgrat des wichtigen Berg- und Wandertourismus in Österreich.
Es klingt dramatisch – und ist es auch. Was wäre, wenn auf einmal 50.000 Kilometer Wanderwege verwuchern, 272 Schutzhütten leer und verwittert bleiben und Bergsteiger plötzlich ohne Orientierung durch die Alpen irren würden?
Dieses Szenario ist nicht etwa Stoff für einen dystopischen Roman, sondern eine reale Gefahr, die Alpenverein, Naturfreunde, ÖTK & Co. umtreibt. Denn das Fundament der alpinen Infrastruktur wankt – nicht nur aus baulichen Gründen, sondern weil die Basis wegbricht: das Ehrenamt.
Egal ob gepflegte Wanderwege, gesicherte Klettersteige oder geöffnete Hütten in schwindelnder Höhe – all das ist keine Selbstverständlichkeit, sondern oft das Ergebnis tausender Stunden freiwilliger Arbeit. Menschen, die ihre Freizeit opfern, statt sie auf der Couch oder im Café zu verbringen. Sie leisten viel, fordern wenig – und erhalten oft keinerlei Anerkennung.
Aktuell haben wir österreichweit 9000 Funktionäre, die ehrenamtlich aktiv sind und die alpine Infrastruktur erhalten.
Günter Abraham, Bundesgeschäftsführer der Naturfreunde
Bild: Michael Schaffer-Warga – Foto-Furgler
„Mein Schreckensszenario ist, dass wir 30 Prozent der ehrenamtlichen Arbeit mit hauptamtlichen Kräften abdecken müssten“, warnt Günter Abraham, Bundesgeschäftsführer der Naturfreunde. „Das würden wir nie schaffen – und ein Verein wie die Naturfreunde könnte in dieser Form nicht mehr bestehen.“ Der drohende Kollaps wäre ein Dominoeffekt: Kein Verein, keine Infrastruktur – keine gesicherte Bergerfahrung.
Mehr als 25.000 ehrenamtliche Funktionäre betreuen heute noch beim Österreichischen Alpenverein (ÖAV) rund 50.000 Kilometer Wanderwege und 272 Schutzhütten – eine logistische und personelle Meisterleistung. Ihre Arbeit ist vielfältig: Vom Freischneiden überwucherter Pfade, über das Erneuern maroder Steiganlagen bis hin zum Organisieren von Pachtverträgen und dem Planen von Instandsetzungsarbeiten an Hütten.
Es wird schwerer, Nachfolger zu finden.
„Die Wege- und Hüttenwarte unserer 197 Sektionen leisten enorm wertvolle Arbeit“, sagt Clemens Matt, Generalsekretär des Alpenvereins. „Aber es wird immer schwieriger, Menschen für diese Aufgaben zu begeistern – weil diese Tätigkeiten nicht so ‘sexy‘ sind wie etwa die des Tourenführers.“ Letzterer bekommt Applaus – die Wegewarte verschwinden im Hintergrund.
Es wird für uns als alpiner Verein zunehmend ein Thema, dass sich immer weniger Menschen für das Ehrenamt verpflichten lassen wollen.
Jürgen Dumpelnik, Landesvorsitzender der Naturfreunde Stmk.
Bild: Naturfreunde Steiermark
Wie wichtig diese Helfer sind, zeigt Teresa Kritzinger, Hüttenwirtin des Wiesberghauses im Dachsteingebirge: „Wenn’s was zu richten gibt, sind sofort helfende Hände da, die nichts in Rechnung stellen – das spart enorm viel Geld. Ohne sie müssten wir deutlich mehr Pacht zahlen.“
Ich bin den vielen ehrenamtlichen Händen der Naturfreunde dankbar, dass sie uns immer helfen und auch tatkräftig unterstützen.
Teresa Kritzinger, Hüttenwirtin Wiesberghaus
Bild: Zvg
Doch es sind nicht nur fehlende Freiwillige, die den Vereinen Sorgen machen. Immer mehr behördliche Auflagen und bürokratische Hürden erschweren die Eigenleistung.„Bei Schutzhütten wird der Einsatz von Freiwilligen zunehmend problematisch, weil sie als Gewerbebetriebe gelten und denselben Vorschriften unterliegen wie Restaurants im Tal“, erklärt Jürgen Dumpelnik, der Landesvorsitzende der Naturfreunde Steiermark. „Nur kostet alles im Gebirge gleich das Doppelte – alleine wegen der Logistik.“
Manche Ehrenamtliche gehen sogar extreme Wege, um Projekte zu realisieren: Sie hinterlegen ihre privaten Wohnhäuser als Sicherheit bei der Bank, damit alpine Vereine Kredite für Renovierungen oder Neubauten erhalten.
haben (Stand 12. Mai) die Petition „Notruf aus den Alpen“ unterschrieben, damit die alpinen Vereine mehr finanzielle Unterstützung erhalten, um die Wege und Hütten zu sichern.
Ein aktuelles Beispiel ist die Neubergerhütte in den Mürzsteger Alpen, die im April 2025 bei einem Brand zerstört wurde. Die Naturfreunde Steiermark haben umgehend mit dem Wiederaufbau begonnen – doch die geschätzten Kosten liegen bei 750.000 bis 1 Million Euro. Eine Crowdfunding-Kampagne unter dem Titel „Aus der Asche in die Zukunft“ soll helfen, einen Teil davon zu finanzieren. Auch hier sind wieder Freiwillige gefragt – jede helfende Hand zählt.
Warum also engagieren sich immer weniger Menschen für das Gemeinwohl
Der Generalsekretär des Alpenvereins nennt mehrere Gründe: „Früher hatten die Leute mehr Zeit – und es war oft selbstverständlich, sich zu engagieren.“ Außerdem habe sich das Freizeitverhalten verändert. Viele junge Menschen seien flexibler, wollen sich nicht langfristig binden. „Ich glaube zwar, dass man heute noch Leute für Ehrenamt gewinnen kann – aber nicht mehr für Jahrzehnte“, sagt Matt. „Eher für zeitlich befristete Projekte. Danach wollen sie die Verantwortung wieder abgeben.“
Wir haben im Alpenverein Sektionen, die eine sehr gute Jugendarbeit leisten und so schon jetzt die Funktionäre von morgen ausbilden.
Clemens Matt, Generalsekretär Alpenverein
Bild: Alpenverein/Clemens Matt
Die Kultur des Ehrenamts, über Jahrzehnte tief in den alpinen Vereinen verankert, ist im Umbruch. Und mit ihr steht das Bergerlebnis selbst auf dem Spiel. Denn am Ende werden es wohl nicht der Klimawandel, nicht die Gletscherschmelze und auch nicht der Massentourismus sein, der uns aus den Bergen vertreibt – sondern das leise Verschwinden der Freiwilligen.
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