Hilfe für Bedürftige

Eine Nacht mit dem Suppenbus der Caritas durch Wien

Österreich
22.12.2012 17:49
Armut macht zu Weihnachten keine Pause. Menschlichkeit aber auch nicht. Die "Krone" begleitete freiwillige Helfer mit großen Herzen im Suppenbus durch Wien. Das war lustig, das war traurig, das machte Hoffnung - und war bitterkalt.

Die Susi ist immer da. So kalt kann es gar nicht sein, dass die Susi nicht da ist. "Ich sehe sie nicht. Wo ist sie? Wenn die Susi nicht da ist, dann stimmt was nicht." Vinka macht sich Sorgen. Seit zehn Jahren fährt die 58-Jährige jeden Donnerstag mit dem Canisibus durch Wien und verteilt Suppe, die sie zuvor mit anderen Freiwilligen gekocht hat.

"Ich kann ja nicht den Canisibus auslassen"
Und seit zehn Jahren wartet die Susi um 19.45 Uhr bei der Friedensbrücke auf Vinka und ihre Kollegen vom Suppenbus. "Ah, da ist sie! Alles gut. Alles wie immer", freut sich Vinka und schöpft dampfende Rollgerstlsuppe mit Champignons in Plastikschüsseln, die sie mit zwei Stück Brot an die wartenden Obdachlosen verteilt. Susi ist im Weihnachtsstress. "Heute war schon eine Veranstaltung in der Stadthalle. Da hat der Sohn vom Bürgermeister Gulasch verteilt. Bier haben wir auch bekommen. Und fünf Euro. Das war super. Aber ich kann ja nicht den Canisibus auslassen", erklärt Susi. 

Seit 22 Jahren, 365 Tage im Jahr, hat die 63-Jährige den Suppenbus nicht ausgelassen. Sie bekommt leuchtende Augen, wenn sie von Gemeinschaft, den "liaben Leit" von der Caritas und den anderen Menschen auf der Straße spricht. "Wissen Sie, ich glaube an Gott. An das Teilen, an das Miteinander. Ich habe so viel gelernt von den Leuten auf der Straße. Das sind g'scheite Leute, auch wenn Sie das nicht glauben. Von denen habe ich Ehrlichkeit gelernt. Natürlich gibt's da auch viele Alkoholiker. Das ist so", sagt die 63-Jährige. Susi grinst, stochert in der Suppe, schüttelt den Kopf. "Schon wieder Schwammerl? Die bekommen wir jetzt seit acht Tagen", meint Susi.

"Selber Tag, selber Ort, an allen Tagen des Jahres"
Es ist wie im Wirtshaus. Stammgäste sind auch dort nicht immer die einfachsten Kunden. Und wie im Wirtshaus kennt auch die Mannschaft vom Canisibus ihre Pappenheimer. "Wenn wir einmal den Pfefferstreuer vergessen, wird ordentlich geschimpft", weiß der 18-jährige Zivildiener Johannes. "Und das Vollkornbrot ist auch nicht sehr beliebt. Am besten geht das Weiße. Ist auch leichter zu beißen", erzählt Kathi (38), während sie die dritte Kiste Brot schneidet. 

Die Vorbereitungen für die tägliche Suppentour starten um 16 Uhr in der Römergasse in Wien-Ottakring. Jeden Tag ist eine andere Mannschaft mit Freiwilligen und einem Zivildiener im Einsatz. Jeden Tag. 365 Tage im Jahr. Das Motto des Canisibusses: "Selber Tag, selber Ort, an allen Tagen des Jahres." Kontinuität ist wichtig. "So vermitteln wir unseren Besuchern ein Gefühl von Sicherheit. Sie verlassen sich auf uns, auf die Suppe und das Brot", sagt Koordinatorin Sonja Meznaric.

"Er ist immer noch auf der Straße"
Punkt 19.45 Uhr treffen wir an der ersten Station, der Friedensbrücke, ein. Es ist bitterkalt und niemand zu sehen. Plötzlich lösen sich aus einem Straßenbahnhäuschen fünf Gestalten. Pensionistin Susi führt die Männergruppe an. Es wird Suppe verteilt, es wird getratscht und es gibt Decken - während der Wintermonate immer donnerstags. Und Schlafsäcke. 

Kaum vorzustellen, aber die beiden Männer, die am Boden sitzend ihre Suppe löffeln, werden heute draußen übernachten. Sie sind betrunken. Sie sind sehr höflich und plaudern mit Matthias, einem 24-jährigen Studenten - eine gut aufgelegte Quasselstrippe und ein alter Hase beim Canisibus. Seit er 16 ist, engagiert er sich für die Caritas. Einen der beiden frierenden Männer kennt er. "Witzig. Als ich ein Kind war, hat der im Augarten immer mit uns gekickt. Das macht er heute noch. Schade ist es auch. Er ist immer noch auf der Straße", so der 24-Jährige.

"Wenn wir Hilfe bräuchten, will sich keiner engagieren"
20.20 Uhr: Jetzt wird in einer Unterführung am Bahnhof Floridsdorf ausgeschenkt. Hierher verirren sich nur wenige Leute. "Im Winter ist am wenigsten los, weil die Obdachlosen in Schlafstätten unterkommen und drinnen sind. Aber es gibt die meisten freiwilligen Helfer. Wegen Weihnachten. Im Sommer, wenn sie vor dem Suppenbus Schlange stehen und wir Hilfe bräuchten, will sich keiner engagieren. Urlaubszeit. Schreiben Sie das in Ihrer Zeitung", sagt Matthias. Der Student hilft leidenschaftlich. "Das ist Routine geworden. Am Donnerstag fahre ich Canisibus. Mein bester Freund ist hier auch dabei. Ich mag die Gruppe. Die unterschiedlichen Menschen", erklärt der 24-Jährige.

Stoffsäcke mit Geschenken für Obdachlose zu Weihnachten
Weiter geht's zum Praterstern. 21.05 Uhr. Die stärkste Station. Hier werden die meisten Suppen verteilt. "Hier sind aber auch die meisten Betrunkenen. Das ist nicht immer schön", sagt Vinka. Nach 25 Minuten wird auch hier wieder abgebaut. Der letzte Stopp ist am Schottentor in der Innenstadt. Mittlerweile ist es 21.40 Uhr. Susi ist wieder da. "Man muss ja mit den Leuten reden. Es ist halt nett hier." Kommt sie am Heiligen Abend auch? "Ich komme immer."

"Selber Tag, selber Ort, an allen Tagen des Jahres": Der Suppenbus der Caritas wird auch am Montag auf Tour sein. Wie immer. Nur, dass eben Weihnachten ist. Die Obdachlosen werden Stoffsäcke mit Geschenken bekommen: Hauben, Handschuhe, Socken, Schokoriegel. Und einen dampfenden Teller Suppe von freiwilligen Helfern, die den Heiligen Abend gemeinsam mit ihnen auf der Straße verbringen werden. Es wird bitterkalt sein. Wie immer.

Mit einer Spende an die Kontonummer 404050050, BLZ 31000 kannst auch du unter dem Kennwort "Canisibus" Bedürftigen helfen.

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