„Krone“-Interview

Christl: „Kunst muss herausfordern und schocken“

Musik
21.02.2024 09:00

Auf ihrem Debütalbum „Grün Blau Violett“ erkundet die interdisziplinäre Künstlerin Christl konzeptionell verschiedene Formen der physischen und psychischen Gewalt. Teils selbst erlebt, teils beobachtend. Im „Krone“-Interview spricht sie offen über die Unsicherheiten und Ängste, die mit diesem Monsterprojekt einhergingen. Live stellt sie das Werk im Wiener Radiokulturhaus und beim Linzer Lido Sounds vor.

(Bild: kmm)

Musik, Literatur, bildende Kunst - keine Form der Kultur ist der 23-jährigen Christl fremd, wenn es ihr darum geht, tief in Wunden zu bohren und thematisch in medias res zu gehen. Schon ihre erste EP „A Room For Her Own“, das Romandebüt „Ich glaub ich hasse mich“ und eine viel beachtete öffentliche Kunstaktion am Wiener Urban-Loritz-Platz zeigten eindeutig, dass der gebürtigen Oberösterreicherin nicht nach Oberflächenkratzen zumute ist. Wenn sie sich in einer ihren vielen Kunstformen ausdrückt, dann immer bis weit über die Schmerzgrenze hinaus. Persönlich Erlebtes vermischt sich mit Beobachtungen, eigene Erfahrungswerte und Entwicklungsschleifen oszillieren musikalisch mit düsterem Pop, sehr viel Soul und einer Prise R&B.

Christls Debütalbum „Grün Blau Violett“ ist eine auf 15 Songkapitel ausgeweitete Bestandsaufnahme über das schwierige Thema Gewalt in all ihren Facetten. Kompromisslos, kritisch und konfrontativ geht es der Künstlerin nicht darum, Gendergrenzen zu ziehen, oder gängige Vorurteile zu bestätigen. Sie bietet auf dem konzeptionellen Werk eine Reise durch das Thema und taucht tief in Tabus und sehr schwierige Subgeschichten ein. Damit verarbeitet Christl nicht nur eigene Erfahrungen, sondern reicht auch metaphorisch die Hand, um allen anderen in deren Situationen Trost und Zuspruch zu gewähren. Ein deutlicheres Manifest über und gegen Gewalt hat es hierzulande noch nicht gegeben. Harter, aber wichtiger Stoff, der nicht zuletzt dem Kollektiv eine Stimme geben soll.

„Krone“: Christl, dein Debütalbum „Grün Blau Violett“ geht Hand in Hand mit deinem Buch „Ich glaub ich hasse mich“ und bestimmten Visuals, die du für das Projekt kreiert hast. Hattest du von Anfang an ein Gesamtkonzept im Kopf?
Christl:
Irgendwie schon, denn meine Arbeit ist generell ganzheitlich. Wir haben mit dem Album gestartet und es war schnell klar, dass die Musik der Kern ist. Alles drumherum kommt aber auch von mir und das Gesamtkunstwerk muss funktionieren, um die Geschichte richtig erzählen zu können.

Wie viel von dem schweren Themenkomplex Gewalt in Beziehungen war konzipiert und wie viel davon hat sich während der Arbeit sukzessive ergeben?
Die Musik war eine gute Starthilfe, um anzusetzen. Ich habe alleine Songs geschrieben und mir das Thema überlegt. Das Buch und die Visuals kamen dann im Studio dazu, wenn man an der Musik arbeitet und sich überlegt, was alles dazu passen könnte. Man arbeitet sich automatisch in eine Welt hinein, aus der man nicht mehr raus kann. (lacht)

Der Albumtitel spricht in erster Linie auf ein blaues Auge nach einem Gewaltangriff an. Ist es ein Konzeptalbum gegen vor allem männliche Gewalt?
Es ging uns gar nicht so sehr um geschlechtliche Gewalt, sondern um Gewalt an sich - in jeglicher Art und Weise. Wir wollten die Inhalte so offen wie möglich halten, damit sich so viele Menschen wie möglich darin sehen können. Ich kann mit dem Album viel für mich behalten, aber es ist trotzdem klar, worum es geht. Ich muss nicht genau erklären, was mir selbst passiert ist, aber die Musik spricht als Werkzeug für mich.

Das Album wirft verschiedene Fragen auf. Wie kam es zur Gewalt? Wie kommt man aus dem Gewaltstrudel wieder heraus? Warum überhaupt Gewalt?
Das Grobkonzept war relativ schnell klar. Das Album beginnt in der Vergangenheit, wo bestimmte Dinge passiert sind. Es geht über in die Gegenwart und betrachtet, wie es einem gerade jetzt geht und schlägt die Brücke in die Zukunft. Wie kann ich damit umgehen und wohin kann ich mich aus den Erfahrungen heraus hinentwickeln? Ich wollte die Reise persönlich noch einmal nachzeichnen. Wo war ich, wo bin ich und wo geht es von jetzt weg hin?

Trotz der teilweise sehr schweren und intensiven Texte scheint mit dem Lied „Ich schwimm“ am Ende doch ein vorsichtiger positiver Ausblick in eine bessere Zukunft zu erfolgen.
Ich wollte unbedingt ein Happy End vermeiden, denn so läuft das Leben nicht. Man kommt nicht in der Zukunft an, ist geheilt und alles ist gut. Man wünscht sich Platz für Leichtigkeit, hat eine Sehnsucht für andere Themen im Leben. Der Vorausblick geht zu Themen, die in meinem Leben außerhalb des Besungenen auch Raum haben sollen und dürfen. Man kann sich nicht vom Geschehenen abkapseln, es bleibt immer ein Teil von einem selbst. Ich brauchte aber einen Abschluss und dafür muss man Dinge aussprechen.

Ein Schlüsselsong auf dem Album ist „Green Blue Violet (Love Is Pain)“. Ist Liebe nicht immer eine Form von Schmerz? Manchmal eben auch positiv, wenn man zum Beispiel jemanden vermisst?
Nein. Der Gedanke hinter dem Song ging mehr in die Richtung, dass man Dinge viel zu stark normalisiert, wenn man Gewalt erlebt. Was ist wirklich Liebe und was wird mit nur als Liebe vorgelebt, ist aber schon weit davon entfernt? Bei dem Lied war mir wichtig klar zu sagen, dass die mir vermittelte Normalität keine Normalität ist. Es ist eine Abgrenzung. Was bist du, was bin ich und wo ist die Grenze von uns beiden? Es ist ein Lied über Abhängigkeit und Gewalt. Dass Liebe schmerzhaft und kompliziert sein muss, ist eine ständig romantisierte Vorstellung, aber für mich ist es das nicht. Ich wollte aus diesem kulturellen Kontext ausbrechen. Wenn man schlimme Dinge erlebt, verfällt man immer wieder in alte Muster. Daraus gilt es, sich zu befreien.

Mit den Begriffen Abhängigkeit und Gewalt gehen oft auch Angst und Gewohnheit einher.
Der Song fand klare Worte dafür, wo die Grenze liegt.

Klare Worte sind dir auf dem Album nicht fremd. Tod, Hass, Blut - ziemlich markant. Braucht es diese Eindeutigkeit, um ein schweres Thema klar zu kommunizieren?
Man kann es lyrischer sicher auch anders umsetzen, aber für mich musste es so sein. Die Intention hinter dem Album war es, unbewusst Wörter für den Zustand zu finden und ihn damit zu beschreiben. Vielleicht bin ich deshalb in allen Kunstformen recht radikal, weil es ein klares Bild erschafft. Ein Song wie „Dark Blood“ ist völlig unmissverständlich und spricht ganz klar für sich selbst. Dadurch kann auch ich ein bisschen Abstand haben, was manchmal ganz gut ist.

Dient dir eine radikalere Erzählweise als eine Art Schutzraum?
Genau. Beim Schreibprozess ging es primär darum, die Dinge zu erzählen und aus der Schale herauszutreten, in der man sich befindet. Es ist sehr schwierig über das Thema zu reden und deshalb muss man sich eine Distanz dazu erschaffen.

„Tod“ ist etwa so ein intensives Lied, in dem du dich sehr klar ausdrückst.
In „Tod“ geht es darum, dass man einer Situation nicht mehr entfliehen kann und man bemerkt, dass so viele Dinge falsch laufen, aber irgendwie nicht aus diesem Strudel herauskommt. Da geht es auch darum, dass man manches nicht weiterführen will, eine klare Grenze ziehen will. Quasi: Ich möchte nicht so sein wie du, sondern ganz anders.

Diese Situation hat oft mit Ohnmacht zu tun. Wie kommt man denn in einer gewalttätigen Beziehung aus einer Ohnmacht heraus?
Es ist ungemein schwierig, darauf eine Antwort zu geben. Das ist sicher individuell, aber irgendwann kommt bei jedem Menschen der Punkt, wo es nicht mehr geht. Mich hat die Kunst als Werkzeug aus der Ungerechtigkeit geholt und mit der Kunst beschreibe ich diese auch. Vielleicht findet man einen Punkt im Leben, der einem Empowerment verschafft. Die Kraft gibt, aus der untragbaren Situation herauszukommen.

Thematisierst du die Kunst für dich im Song „Blue (Heaven)“? Wo man sich einen Zufluchtsort wünscht, vielleicht auch imaginiert?
Kunst war für mich immer ein Platz, an dem ich hingehen kann. Nur ich und sie sind da. Die Kunst und ich verstehen uns und ich kann alles sagen, was mir am Herzen liegt. Dieser Raum war sehr lange für mich irgendwo verschlossen drinnen. Das Songschreiben habe ich sehr lange für mich behalten, aber das Gefühl, das ich beim Musikmachen habe, gab mir die Energie und den Mut, es mit anderen zu teilen. Kunst war für mich immer die Rettung, die ich nie als Rettung bezeichnet habe.

Die Kunst urteilt und bewertet nicht. Sie lässt einem viele Räume.
Sie ist ein perfekter Therapieplatz. Die Kunst hört immer zu, aber sie fordert auch extrem. Kunst tut weh und Kunst tut gut. Es gibt eine große Ambivalenz daraus, dass sie richtig schmerzen kann, aber auch befreiend wirkt. So habe ich das Album erlebt.

Erfordert die echte, ehrliche Kunst auch eine Ehrlichkeit mit und zu dir selbst? Und mit all den Dingen, die du im Laufe deines Lebens erlebt hast?
Am Beginn des Albums war mir klar, dass ich das Thema nur besprechen kann, wenn ich vollkommen ehrlich bin. Ich kann es nur damit besprechen, dass ich versuche so ehrlich und offen an das Thema ranzugehen, wie ich es schaffe. Ich hatte das Glück, dass mein Produzent Andreas Lettner und meine Co-Songwriterin Eva Klampfer da waren und das zugelassen haben. Das war nicht einfach. Ich musste mich immer entscheiden, worüber ich reden will und erst dann kann man daran arbeiten. Wenn man nicht so viel Energie hat, entzieht man sich der Ehrlichkeit und versteckt sich schnell hinter Umschreibungen. Wir haben uns aber immer gemeinsam an den Punkt zurückgebracht, an dem der wahre, unverfälschte Inhalt steckte.

War es für dich nicht schwierig, deine Erlebnisse, Erfahrungen und Emotionen mit anderen zu teilen?
„Green Blue Violet (Love Is Pain)“ war einer der ersten Songs für das Album und da sprang ich gleich ins kalte Wasser. Am Schwierigsten waren für mich die Wege. Der Weg ins Studio und dann ans Klavier, um die Ideen, die ich schon vorher aufgeschrieben habe, anderen zu zeigen. Es gab natürlich Überforderung, wie ich das alles richtig kommunizieren kann.

Du hast auch diverse Interludes mit Namen „Blutbuch“ und „Ich glaub ich hasse mich“ eingebaut. Haben Stellen aus deinem Buch perfekt auf das Album gepasst?
Ich habe „Ich glaub ich hasse mich“ parallel zum Album geschrieben. Es war eine ziemlich intensive Zeit. Die beiden Werke haben sich extrem aufeinander abgefärbt. Teile des Buchs wurden zu Songs und manchmal haben wir im Studio Ideen besprochen, die ich dann daheim für das Buch aufgeschrieben habe. Alles hatte eine extreme Wechselwirkung. Wenn ich beim Album mal nicht weiterkam, konzentrierte ich mich wieder aufs Buch. So begann ich auch, ein paar Songs auf Deutsch zu schreiben. Beim Buch hatte ich einen Hänger, dann setzte ich mich ans Klavier und daraus entstand „Tod“. Mir war es wichtig, dass am Album auch Zeilen vom Buch zu hören sind.

Auf Deutsch zu singen, macht die ohnehin schon harten Texte noch einmal härter, weil die Muttersprache ganz andere Gefühle evoziert. Wie wird es dir da live gehen?
Das ist die große Frage, denn das weiß ich noch nicht. (lacht) Ich habe das Album noch nie live performt und im Radio-Kulturhaus ist es das erste Mal so weit. Die Songs werden für mich sicher eine extreme Intensität haben, aber ich hoffe auch, dass sie eine extreme Nähe zum Publikum schaffen. Das war live bei mir immer so. Ich spürte immer eine besondere Nähe zu den Personen im Publikum, auch wenn man sich in der Muttersprache bei solchen Themen noch viel angreifbarer macht. Aber so ist es halt und jetzt muss ich da durch. (lacht) Unser Ethos beim Arbeiten am Album war, dass wir alles zulassen und nichts von vornherein ausschließen. Den Song „Weiter weg“ aufzunehmen war für uns unglaublich intensiv und wenn man sich allem öffnet, muss man eben auch da durch.

„Weiter weg“ ist der vielleicht intensivste Song am Album, weil er die körperliche Gewalt direkt und schonungslos anspricht. Ich finde es interessant, dass je inhaltlich ärger ein Song auf „Grün Blau Violett“ klingt, umso fragiler und zerbrechlicher scheint er instrumentiert zu sein.
Es war der letzte Song für das Album. Die letzten Songs waren allesamt die deutschsprachigen und für mich war klar, dass diese Nummer unbedingt noch aufs Album muss. Er muss aber auch so aufgenommen sein, als hätte ich ihn ganz alleine aufgenommen. Als wir fertig waren, merkten wir, dass das Produkt damit auserzählt war. Nach der Aufnahme haben wir uns alle umarmt und wussten, das Album ist fertig. Normalerweise fühlt man das nie, aber in dem Moment hat es einfach gepasst. Ein schöner Moment. Wir haben von dem Song zwei Takes gemacht und ich konnte ihn nicht mehr öfter performen - es war zu intensiv.

Meine Emotion hat mich übernommen und ich war nur mehr das Medium von dem, was eingesungen wird. Ich hatte eine klare Soundvision der großen Gegensätze. Das Album beginnt komplett anders, als es endet, aber wir haben das durchgezogen. Es gibt Lieder, die extrem groß produziert sind, andere bestehen nur aus Klavier und Stimme. Auch inhaltlich ist das Album eine Ambivalenz aus der Sehnsucht nach dem Schönen und der Hoffnung, wieder etwas spüren und fühlen zu können. Andererseits geht es um das Schlimme, Düstere und Gewalttätige. Wir wollten die Extreme nicht gewollt so verbinden. Sie waren einfach da und standen dann nebeneinander.

Entstand der dramaturgische Bogen auf dem Album während des Songwritings?
Die chronologische Reise war das Grundkonzept des Albums. Deshalb auch der Titel „Grün Blau Violett“, denn die Farben sind chronologisch konnotiert. Wir haben natürlich darüber diskutiert, welcher Song in den Block Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft passt. Die Gefühle darin kann man zeitlich nicht immer genau festmachen, manchmal überschneiden sie sich auch. Es war ein Wunsch von mir, die Reise so zu gestalten, dass wir Menschen in das Album hineinsaugen können und sie sich mit dem Thema auseinandersetzen wollen. Ich will die Hörer fordern, damit sie darüber nachdenken, worum es in den Liedern geht.

Ist dieses Album etwas für jeden Gemütszustand?
Es gibt schon Songs, die man immer hören kann. Viele andere muss man sich aber erarbeiten oder man muss sich darauf einlassen. Das geht vielleicht nicht immer, aber das Album ist ein bewusster Gegensatz dazu, wie man Musik heute konsumiert.

Siehst du das Album als Werkzeug für gegenseitigen Austausch und als Kommunikationsmittel für alle Menschen, die mit dem Thema Gewalt zu tun haben? Soll es stärken und stützen?
Ich dachte immer, meine Erfahrungen wären individuelle, aber dem ist nicht so. So viele Menschen haben ähnliches erlebt - auf verschiedene Arten und Weisen. Die Interludes habe ich von meinen besten Freundinnen und Freunden einsprechen lassen. Damit sage ich aus, dass es hier nicht um meine Geschichte geht, sondern um die Geschichte von ganz vielen anderen Leuten. Eine Songzeile heißt „Meine Narben sind seine, meine, ihre, deren auch“ - das ist sehr repräsentativ für das Album. Es geht nicht um mich, sondern um ganz viele Menschen, die sich darin finden können. Viele Freunde haben durch das Album Sachen von mir gehört, die ich vorher nie erzählt habe. Ich habe sie also in den Prozess hineingelassen und das war nicht immer leicht.

Über welchen Zeitraum hat sich die Arbeit an „Grün Blau Violett“ erstreckt?
Über etwas mehr als zwei Jahren. Ich habe sicher schon vor mehr als zwei Jahren alleine geschrieben, aber die intensive Zeit war letzten Sommer. Während der Hitzewelle haben wir uns in Andi Lettners Keller eingegraben und alles aufgenommen.

Was hat dieses Album mit dir als Person gemacht?
Das frage ich mich selbst auch immer. (lacht) Es hat einfach alles verändert. Ich hatte immer die Angst, dass das zu pathetisch klingt, aber es ist so. Ich hätte dieses Album vor zwei Jahren auch nicht schreiben können. Ich kann mich sehr gut in der Rolle als Autorin und Songwriterin verorten - das war für mich neu. Es war auf künstlerische Ebene ein Ankommen. Ich habe meiner Lust nach Kunst nachgegeben und mich leiten lassen. Ich habe jetzt alles gemacht und alles geschafft und es ist so viel mehr da, was ich noch ausleben kann. Dafür war das Album ein Türöffner. Es hat auf jeden Fall extrem viel mit mir gemacht. Bei Interviews spüre ich jetzt erst auch, auf wie vielen Ebenen es mich im künstlerischen und persönlichen Dasein befreit hat.

Ist „Grün Blau Violett“ genau das Album, das du gerne schon woanders gehört hättest?
Es gab genug Phasen in meinem Leben, in denen ich nicht dazu bereit gewesen wäre, das so intensiv zu hören, wie manche Lieder klingen. Ich habe beim Songschreiben aber oft an die „kleine Christl“ gedacht. Hätten mir damals schon Leute dieses oder jenes gesagt, wäre vieles anders gelaufen. Ich blicke natürlich auf das Kind in mir zurück, aber gleichzeitig ist es auch ein Vorausschauen. Wer ist Christl und wie viele Facetten sind in mir drinnen?

Wann begann deine große Leidenschaft für Kunst und wann hast du erstmals Lieder geschrieben?
Musik war immer ein wichtiger Bestandteil meines Lebens. Ich habe immer gerne Musik gehört und früh zum Klavierspielen begonnen. In Wien entwickelte sich die Kunstfigur Christl und hier fing ich an zu schreiben. Diese Stadt und ihr Raum haben es mir ermöglicht, neue Facetten auszuleben. Ich habe einen Bachelor in Kunstgeschichte und habe mir oft überlegt, dass das null Sinn macht. Aber die Kunst macht viel Sinn - ich lebe immer in dieser Verwirrung. Es gab aber nie einen Plan B. Ich wollte immer nur in die Welt der Kunst eintauchen.

Wie weit ist denn die Kunstfigur Christl auch die reale Person dahinter? Wo grenzt sich das ab?
Das ist eine Grenze, die ich gar nicht wirklich ziehen möchte. Es gibt eine Christl, die extrem übersteuert und im Moment präsent ist. Das ist der Sinn einer Kunstfigur. Man ist viel selbstbewusster und als Privatperson lässt man viele Facetten lieber versteckt. Diese zwei Personen bestärken sich wechselseitig, aber es ist nach außen hin leichter, eine übersteuerte Version von mir selbst zu sein. Mir macht es Spaß und es wäre im alltäglichen Leben nicht immer so einfach möglich. Eine richtige Grenze gibt es nicht. Es ist so, wie es ist. Die Form einer Kunstfigur gibt mir die Möglichkeit, verschiedene Dinge zu projizieren.

Wie siehst du denn die unmittelbare Zukunft der Kunst in Österreich? Gerade auch in Hinblick der sich anbahnenden politischen Veränderungen?
Eine große Frage! (lacht) Mir machen viele Dinge schon Angst. Vor allem als Künstlerin, die sich mit feministischen Themen beschäftigt, muss man wachsam bleiben. Meine Position macht vieles schwieriger, aber es ist wichtig, daran festzuhalten und weiterzumachen. Man darf sich Diktionen nicht unterwerfen. Meine Stimme ist wichtig und es ist wichtig, dass unsere Stimmen gehört werden. Elfriede Jelinek ist für mich ein ganz krasses Vorbild. Ich habe mich sehr stark mit ihr auseinandergesetzt. Sie hat in Österreich so viel mitgemacht und trotzdem schreibt sie Reden für die Demo gegen Rechts in Wien und unterstützt die Bewegung. Das gibt mir so viel Kraft und Energie, auf meinem Weg weiterzumachen. Es gibt in Österreich tolle Vorbilder und ich versuche mit meiner Arbeit diese Stimmen aufrechtzuerhalten und ihnen Raum zu geben. Auch wenn sich die Umstände vielleicht verändern. Als Frau und queere Person ist es noch schwieriger, sich zu positionieren, aber das wird meine Stimme nicht leiser machen - ganz im Gegenteil.

Österreicher tun sich mit Kultur oft schwer. Das hat man unlängst in Gmunden beim Thema Helnwein oder auch bei der Eröffnung der Kulturhauptstadt Salzkammergut gesehen, wo sich der Volkszorn recht schnell aufschwang.
Ich finde es geil, dass man das trotzdem durchzieht. In meiner Kunst gibt es auch Momente, die für einige Menschen zu weit gehen. Die Frage ist ja auch immer, was ist normal? Das ist doch alles abstrus. Kunst ist dazu da, um die Menschen herauszufordern und manchmal zu schocken. Das ist der einzig richtige Weg. Wenn man aus den Menschen nie etwas Obszönes herauskitzelt oder sie fordert, kommen wir als Gesellschaft nie weiter und weiterkommen sollten wir dringend. Ich bin immer für Schocker zu haben. (lacht)

Conchita Wurst war auch ein Schocker und was hat diese Person unserem Land Gutes getan? Es würde allen helfen, manchmal den Stock aus dem Arsch zu ziehen und offener zu sein. In Österreich ist das noch einmal spezieller als in anderen Ländern. Der Gegensatz vom Urbanen zur krass ländlichen Kultur ist sehr groß, aber man darf in beiden Bereichen nicht alles über einen Kamm scheren. Es geht darum, die Gegensätze zusammenzubringen und die Möglichkeit zu schaffen, Kunst für alle wahrzunehmen. Die Kunst soll die Menschen auch in Wien aus ihren Löchern holen - dafür muss man nicht immer das Land vorschieben.

Wird dein Live-Auftritt im Radiokulturhaus dann eigentlich eine Mischung aus Konzert und Lesung?
Es wird auf jeden Fall eine sehr unkonventionelle Vorstellung und hat nichts mit einem klassischen Konzert zu tun, aber diese Erwartung stellt sowieso niemand an mich. Der Abend geht sicher über ein Konzert hinaus.

Live in Wien und Linz
Am 29. Februar stellt Christl ihr Debütalbum „Grün Blau Violett“ live im Radiokulturhaus Wien vor. Zudem wird sie am 30. Juni auch beim Lido Sounds in Linz auftreten - neben Superstars wie Sam Smith, den Idles oder den Libertines. Unter www.oeticket.com gibt es die Karten und weitere Informationen zu den beiden Events.

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