Album & Tour

Buntspecht besingen die Fragilität des Seins

Wien
09.11.2023 09:00

Wenn man so frei und vielseitig musiziert wie Buntspecht, dann dürfen auch grammatikalische Grenzen eingestoßen werden. Auf ihrem fünften Album „An das Gestern, das nie Morgen werden darfte. Ich warte.“ mäandert das zum Quintett geschrumpfte Kollektiv wieder zwischen Herzschmerz, Generationskritik und Dadaismus. Lukas Klein und Florentin Scheicher gaben uns wieder Einblick in den immer erfolgreicheren Kosmos der Wiener Band, die sich bewusst allen Trends entzieht.

„Ich finde es schon interessant, dass wir mit unserer Musik in einer Location wie der Wiener Arena spielen“, lacht Buntspecht-Mitglied Florentin Scheicher im „Krone“-Talk. Anlass des Gesprächs ist das mittlerweile fünfte Studioalbum „An das Gestern, das nie Morgen werden darfte. Ich warte.“, mit dem das mittlerweile zum Quintett geschrumpfte Wiener Kollektiv den nächsten großen Schritt machen möchte. Die letzten paar waren gewaltig. Dem 2021 erschienenen Vorgängeralbum „Spring bevor du fällst“ gelang gar der Sprung an die Spitze der Charts, das inhaltlich eigentlich anders gemeinte Lied „Unter den Masken“ wurde rund um Corona zu einem viralen Indie-Hit. „Wir muten unseren Hörern schon einiges zu“, ergänzt Frontmann Lukas Klein, „auch auf dem neuen Album ist allerhand komisches Zeug, das nicht unbedingt massentauglich und verkaufbar ist. Andererseits haben wir auch sehr poppige Nummern - die für viele andere wahrscheinlich überhaupt kein Pop sind.“

Sich in die Musik fallen lassen
Wir sehen - es ist kompliziert. Oder auch nicht, denn Buntspechts Musik verlangt schlichtweg Offenheit und Aufmerksamkeit. Für ihr neues Album haben sie sich eine Woche lang Boot-Camp-mäßig in der burgenländischen Diaspora kaserniert und dort gejammt, herumprobiert, Songs geschrieben und aufgenommen. „Wir haben um 10 Uhr losgelegt, den ganzen Tag gearbeitet und dann am Abend bis 2 Uhr gemeinsam Schach gespielt, Musik gehört und über unsere Ideen geredet. Wenn einer in der Früh aufs Klo musste, hat der Boden so laut geknarzt, dass alle anderen wach wurden“, so Klein, „es war schon immer mein Traum, Musik genau so zu schreiben. Sich den ganzen Tag voll in diese Welt fallen lassen, unabhängig von allem, was außerhalb davon so vorgeht.“ Scheicher ergänzt: „Es wurde dadurch alles viel enger. Wir finden immer gut zusammen und können uns dazwischen auch voneinander entfernen, aber auf Tour ist man nie so entspannt, wie an einem so ruhigen Platz wie im Burgenland.“

Getourt sind Buntspecht seit dem Ende der harten Covid-Restriktionen beinahe ohne Unterlass. Die „schrille Hektik“, die man im Sommer vor einem Jahr noch bei sich und dem Publikum verspürte, ist einer inneren Ruhe gewichen. Die Entscheidung für den langen Burgenland-Aufenthalt ist auch eine gegen den modernen Trend des ständigen „Hustlens“. „Es geht uns darum, Ort und Zeit einzupacken. Direkt da zu sein, wo man ist, sich diesem Ort hinzugeben und in einen kreativen Fluss zu kommen.“ Mit jedem Album und jedem Song erfinden sich Buntspecht neu. So sind die Klezmer- und Gypsy-Sound-Einflüsse der frühen Alben heute nicht einmal mehr mit der Lupe zu finden, dafür gewährt man sich in Songs wie dem an die Doors angelehnten „Mojo Risin‘“ auch eingängige Momente des Roadmovie-Pops. Buntspecht haben ihre Hits noch nie gesucht, sie sind ihnen mehr oder weniger zugeflogen.

Abschied auf Raten
Dieses Mal gab es aber auch schon vorab Tracks. Das abschließende „Majorelika“ wurde schon vor knapp einem Jahr veröffentlicht, „Blüte“, „Die Hunde bellen“ und „Funny Faces“ haben Buntspecht als Begleitband von Stefanie Sargnagel im Rabenhof Theater gespielt. Wiederum andere Songs wurden frisch geschrieben. „Die Platte ist insgesamt doch etwas dunkler geraten“, so Klein, „unsere ersten Alben waren ein bisschen wärmer. Wenn ich die neue analysieren muss, sehe ich die Farbe Lila vor mir.“ In vielen Momenten klingt „An das Gestern…“ dystopisch, melancholisch und fragil, aber auch umarmend, warm und schön. Beim grammatikalisch durchaus herausfordernden Titel ließen sich die Buntspechte von Ernst Jandl inspirieren. „In ihm steckt ein Abschied. Ein Ciao an das, was war und an Dinge, die sich nicht ausgegangen sind. Andererseits schwingt aber auch viel Hoffnung mit und man wartet darauf, dass sich vielleicht doch noch etwas bewegt.“

Für Scheicher geht es um das metaphorische Bild eines Weges, den man schlussendlich doch nicht gegangen ist. In ihrer lyrischen Versiertheit haben die Wiener schon immer auf Meta-Ebenen und Mehrdeutigkeit gesetzt. „Der Titel hat natürlich einen Dada-Ansatz, den ich sehr gerne mag. Wir denken gleichzeitig nach hinten und nach vorne und es steckt eine gewisse Sehnsucht darin.“ Cellist Lukas Chytka schied im Laufe des Jahres in aller Freundschaft aus der Band aus, was die Dynamiken noch einmal veränderte. Überhaupt ist „An das Gestern…“ durchaus wieder sehr persönlich geraten. „Der Albumtitel ist am Ende aber auch eine Widmung. Ein ,Danke‘ an alles, was passiert ist und noch kommen wird. So wie eine Zwischenbilanz.“ Die fällt naturgemäß positiv auf, denn der Buntspecht-Express schippert unaufhaltsam nach oben. Keine Selbstverständlichkeit für ein Band, die ihr Seelenheil in Veränderung, Komplexität und Experimentierfreude wiederfindet.

Das Ungeheuer in einem selbst
Wer sich in die bunte Textwelt der Band fallen lässt, findet auch eine Vielzahl an aktuellen Themen wieder. So spricht etwa die „auszubadende Suppe“ in „Schlauer Fisch“ den grassierenden Generationskonflikt an. Nicht aber nur einseitig. „Wir gegen uns natürlich darüber auf, welche Welt uns die Älteren hinterlassen, aber gleichzeitig ist es in diesem Leben auch ziemlich geil“, analysiert Klein. Sein Kollege stimmt ihm zu: „Wir wissen, wie schadhaft das System ist und wie schlecht Dinge laufen, aber wir kommen dem auch nicht aus. An einem Tag glauben wir, wir müssten in den Wald ziehen und uns von allem völlig entfernen. Am nächsten machen wir wieder alles so, wie es das System verlangt.“ Der Song „Alles bricht (Lächerlich)“ kommt auch sehr leichtfüßig daher und spielt mit einer gewissen Dystopie in der Realität. Dass die Welt schon so kaputt ist, dass das eigene Grinsen darüber manisch wird. In „Oh Boy“ verwendet Klein ein Ungeheuer als Metapher für die Abgründe im Menschen. „Oft befindet man sich an den Ufern der Angst. Man taucht auf und geht am Rande der Oberfläche entlang. In uns allem schlummern Dinge, die uns nicht gefallen.“

Auf „An das Gestern, das nie Morgen werden darfte. Ich warte.“ wandeln Buntspecht einmal mehr zwischen lyrischem Dadaismus, zugänglichem Pop-Chic und analog gelebter Experimentierfreudigkeit. Dass sich damit auch ein erklecklicher Erfolg eingestellt hat, spricht dafür, dass es doch eine Mainstream-Welt abseits des Formatpops gibt. „Ich finde es sehr schön, wenn sich vermehrt Leute über den klassischen Ö3-Sound hinausbewegen“, betont Scheicher, „ich erwarte deshalb nicht, dass man uns deshalb öfter hört, aber es tut dem gesamten Musikmarkt gut.“ Für sich selbst haben Buntspecht interne Regeln aufgestellt, die aber nicht in Stein gemeißelt sind. „Mittlerweile können wir uns die Festivals aussuchen, auf denen wir spielen.“ Sänger Klein will sich erst gar nicht festlegen. „Wenn uns jemand zu einem Festival einlädt, das vielleicht nicht zu uns passt, aber mit dem wir drei Monate locker die Miete zahlen können - wer weiß. Bei solchen Angeboten lernt man sich erst selbst kennen. Jetzt sind das aber einmal alles Mutmaßungen.“

Live in Österreich
Mit ihrem neuen Album sind Buntspecht diesen November quer durch Österreich unterwegs. Am 9. November im Linzer Posthof, am 21. November im Salzburger Rockhouse, am 22. November im Treibhaus Innsbruck, am 23. November im St. Pöltner Paradiso, am 24. November im Villacher Kulturhofkeller und am 28. und 29. November dann in der Wiener Arena, wobei die erste Show bereits restlos ausverkauft ist. Unter www.oeticket.com gibt es alle Termine, die Karten und zusätzliche Informationen zu den Gigs.

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