steirischer herbst

Wenn Menschen mit Dämonen am Abgrund tanzen

Steiermark
22.09.2023 14:38

Mit einer flammenden Rede von Intendantin Ekaterina Degot und einer vokalen Performance startete der steirische herbst auf dem Schloßberg. Weiter ging es dann mit dem Eröffnungsreigen am Grazer Mariahilferplatz und in der Helmut-List-Halle.

„Wir wissen, was schrecklich ist, aber oft nicht, was gut ist“, stellte herbst-Intendantin Ekaterina Degot in ihrer Rede vor dem Uhrturm fest, und: „Es scheint, das ,Böse‘ ist heute universell, türmt sich von allen Seiten auf, während das ,Gute‘ relativ ist, in die Privatsphäre verschoben wurde, wo es auf einer sehr persönlichen Idee von dem basiert, was - unter den gegebenen Umständen - richtig ist.“

Grauzonen, statt Gut und Böse
„Menschen und Dämonen“, so das diesjährige Motto des Festivals, stehen für Degot aber nicht sinnbildlich für Gut und Böse, sondern für zwei höchst unterschiedliche Zugänge, die durchaus beide in Grauzonen beheimatet sind - wie etwa der Westen und der Osten, die das Schlimmste voneinander gelernt hätten. „Der Westen fühlt sich breschnewistisch an mit seiner Bürokratie und seinen ,Bullshit-Jobs‘. Der Osten ist so wirtschaftlich grausam und inhuman, wie er den kapitalistischen Westen früher dargestellt hat“, erläutert die Intendantin und fährt fort: „In beiden Fällen passt sich die Kultur an, unterstützt diejenigen, die die Regeln festlegen, und wechselt auf ihre Seite.“ Damit bezog sie sich nicht zuletzt auf das künstlerische „Fähnchen im Wind“ Wilhelm Gössler, der das Soldatendenkmal gegenüber dem Uhrturm im Jahr 1932 schuf.

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Beim steirischen herbst haben wir immer die dissidente Stimme der Kunst unterstützt, die Stimme der Ungehorsamen, der Andersartigen

Ekaterina Degot

Eine Stimme für die Ungehorsamen
Ihre Rede beendete sie mit warnenden Worten: „Beim steirischen herbst haben wir immer die dissidente Stimme der Kunst unterstützt, die Stimme der Ungehorsamen, der Andersartigen. Wenn wir glauben, dass es in unserer kleinen und sicheren freien Welt nicht mehr nötig ist, für solch eine Stimme der Kunst zu kämpfen, liegen wir falsch, oder könnten sehr bald falsch liegen.“

Lulu Obermayers Performance „Agoraphobia“ (Bild: Johanna Lamprecht)
Lulu Obermayers Performance „Agoraphobia“

Oper über Leid und Tränen
Stimmen spielten auch in der anschließenden Performance von Lulu Obermayer eine große Rolle. Weinende Männer haben es ihr in der Performance „Agoraphobia“ angetan. Aus Texten von Goethe, Herder und Heine, Liedern von Schubert, Schumann, Bach und anderen sowie Arien von Verdi entwickelte sie eine wunderbar pathetische Kurzoper über männliche Verletzlichkeit. Mit Wilfried Zelinka und Ivan Oreščanin vom Opernhaus sowie den Grazer Kapellknaben hat sie stimmstarke Interpreten zur Hand. Theaternebel und Hebebühnen sowie die „spacigen“ Kostüme von Nicholas x Daniel Hanson heben das Werk aus der Realität auf eine emotionale Metaebene. Schön!

Wenig origineller Verhaltenskodex
Mit einer Träne im Knopfloch machte sich der Tross auf, um die zweite Performance auf dem Mariahilferplatz zu erleben. Nachdem zuerst die Bühne zwei Klima-Aktivistinnen überlassen worden war und dann die anwesenden Politiker ein paar banale Fragen, die einzig Landeshauptmann Christopher Drexler elegant unterminierte, beantworten mussten, ging es mit Fanfaren los. Michael Portnoy und seine Truppe stellten einen neuen Verhaltenskodex für Graz vor, der bedingt originell, dafür aber akustisch kaum verständlich war. Das Wesentliche: Der Stadtpark wird (?) zur Stätte für sexuelle Aktivitäten, der Donnerstag steht künftig im Zeichen der „Dämonischen Liebe“ und zur Begrüßung gibt es ab sofort ein kräftiges AHA! Dass sich an den seltsamen Verrenkungen, die für den Mariahilferplatz vorgesehen waren, kaum einer beteiligte, war mehr dem Desinteresse als dem Ungehorsam der Besucher geschuldet.

Michael Portnoys Verhaltenskodex am Mariahilferplatz (Bild: CLARA WILDBERGER)
Michael Portnoys Verhaltenskodex am Mariahilferplatz

Tanz am Abgrund
Teil drei ging schließlich in der List-Halle über eine spektakuläre Bühne. Die ungarische Choreografin Adrienn Hód und ihre Hodworks laden zu „Voice of Power“, einer sich langsam entwickelnden, witzigen und absolut dämonischen Tanzperformance. Von seinem Platz aus kann man zuschauen, wie sich in 90 Minuten aus einer Reihe von Individuen eine (nackt) uniformierte, gleichgeschaltete Masse entwickelt. Dabei werden sowohl die Tänzerinnen und Tänzer als auch die Besucher an ihre Grenzen und darüber hinaus geführt. Nicht wenige verließen entnervt den Saal.

Adrienn Hod und Hodworks in der List-Halle (Bild: Johanna Lamprecht)
Adrienn Hod und Hodworks in der List-Halle

Dass der herbst endlich wieder Kontroversielles bietet, ist erfreulich; dass bei drei aufeinanderfolgenden Performances an nur einem Abend der Geduldsfaden gegen Ende hin dünn wird, ist menschlich, allzu menschlich!

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