Live im Gasometer

Grandson: „Meine Musik ist größer, als ich es bin“

Wien
27.09.2023 09:00

Das innere Seelenleben nach außen stülpen, offen mit Sorgen und Ängsten umzugehen und dabei noch politisch und gesellschaftlich zu sein - das sind die Stützpfeiler der beiden bisher erschienenen Alben von Grandson. Der 29-Jährige startet gerade kräftig durch und ist bald im Wiener Gasometer zu sehen. Wir haben mit ihm über seine mentale Verfassung, seine Songs und die Nähe zu seinen Fans, den „Grandkids“, gesprochen.

In seinen unsicheren Teenager-Jahren gab es keine Band, die ihm wirklich aus der Seele sprach, also begann Jordan Edward Benjamin später kurzerhand selbst Musik zu machen. So in etwa kann man die Reifung des in den USA geborenen und nun zwischen Los Angeles und Kanada pendelnden 29-Jährigen umschreiben, der im Frühling sein zweites Album „I Love You, I’m Trying“ veröffentlichte. In nur etwas mehr als einer halben Stunde nimmt er seine Fans auf eine emotionale Reise in sein Inneres und vermischt dabei Rap, Pop und Alternative-Rock. Mit dem Debüt „Death Of An Optimist“ während des zweiten großen Corona-Lockdowns kam seine Karriere online in Fahrt, ein geplanter Nova-Rock-Auftritt 2022 musste wegen Unwettern kurzzeitig abgesagt werden.

Zwischen Gesellschaftskritik, Identitätsfindung und Nähe zu den Fans lässt Grandson, wie er sich seit knapp zehn Jahren nennt, keinen Spielraum für Fiktion oder Oberflächlichkeiten. Er arbeitete bereits mit Musikern wie Tom Morello von Rage Against The Machine, K.Flay, Linkin Parks Mike Shinoda oder Jesse Reyez und erwischt seine vornehmlich jungen Hörerinnen mit seiner zugänglich-hemdsärmeligen Art meist direkt im Herzen. Ganz nach dem Prinzip „wir sind alle gleich“ ist auch das neue Werk eine Anleitung zur seelischen Gesundung und einer ernsthaften Suche nach sich selbst. Am 30. September tritt Grandson nun endlich doch bei uns auf - im Wiener Gasometer.

„Krone“: Jordan, aufgrund der Unwetter wurde dein geplanter Auftritt beim Nova Rock 2022 kurzfristig abgesagt …
Grandson:
Vor dem Nova Rock war ich nur einmal in Europa auf Tour. Deshalb fand ich es eine gute Idee, einfach gemütlich mit der Akustikgitarre am Nova-Gelände zu spielen, um den Grandson-Fans nach der Unwetter-Absage trotzdem einen schönen Tag zu bereiten. Ob ich jetzt im backstage herumsitze oder improvisiere, macht schon einen großen Unterschied aus. Ich weiß, dass die Europäer Rockmusik über alles lieben und deshalb freue ich mich auch schon so auf meinen ersten richtigen Gig hier. Ich habe hart an meinem aktuellen Album „I Love You, I’m Trying“ gearbeitet und hoffe sehr, dass die Leute großen Gefallen daran finden.

Dein Debütalbum „Death Of An Optimist“ erschien im Dezember 2020, mitten in den Corona-Wirren. Du hast dich darauf sehr persönlich und intim gezeigt. Ist das nun wieder der Fall?
Gute Frage. Während der Pandemie blieb mir viel verwehrt, was natürlich schade war. Die Musikvideos zu meinem Debütalbum waren sehr theatralisch und ich habe unterbewusst beim Songwriting und der visuellen Umsetzung nach Bedeutung und Sinn gesucht. Mein persönliches Leben hat sehr stark in das Debüt eingegriffen. Ein paar Themen habe ich auf das neue Album übertragen, aber es ist viel kollaborativer ausgefallen. Es geht mehr um den Gemeinschaftsaspekt, den man als alternativer Musiker heute braucht und auch genießt. Ich habe Glück, dass mich so viele Künstlerinnen inspirieren und ich jetzt auch wieder mit so vielen tollen Musikern zusammenarbeiten kann. Als „Death Of An Optimist“ herauskam, gab es noch keine Corona-Impfung und eine Tour schien für immer unmöglich. Dieser Einfluss ist an jeder Stelle des Albums zu hören. Ich klopfe auf Holz, dass uns das so nie mehr passiert und sich jetzt auch beim Album machen in Zukunft alles normalisiert. Ich kannte das ja lange nicht. (lacht)

Ist das Zusammenarbeiten mit anderen Künstlern denn überhaupt möglich, wenn man in den Texten extrem persönlich ist? Selbst dann, wenn sie nur instrumental beisteuern?
Das ist natürlich eine Herausforderung, aber ich versuche eine sehr angenehme Beziehung mit den Musikern aufzubauen. Ich fühle mich dafür verantwortlich, dass mein eigener Song auch für andere erleb- und erfahrbar wird. Das gilt für andere Musiker, wie auch für Fans. Eine Zusammenarbeit hilft dem großen Ganzen immer, solange man loslassen kann. Ist ein Künstler allzu tief und persönlich in seinem Projekt drinnen, dann wird er auch nicht mit anderen zusammenarbeiten können. Erst die Ehrlichkeit in meinem Storytelling bringt mich zu einem Konzert nach Österreich. Wäre sie nicht gegeben, würde die Menschen meine Musik nicht interessieren. Ich glaube, die Fans fühlen sich gesehen und bemerkt, wenn sie ein Grandson-Konzert besuchen. Niemals würde ich darauf verzichten, nur um mit irgendwelchen anderen coolen Künstlern zusammenzuarbeiten, die dann vielleicht meine Klangfarbe verändern.

Nimmt es dich manchmal mit, wenn du siehst und liest, wie sehr sich deine Fans mit deinen Songs, Gedanken und deiner Ausrichtung auseinandersetzen und sich auch darin wiederfinden?
Ich hoffe sehr, dass meine Musik den Menschen hilft. Es gibt Menschen, die Textzeilen meiner Songs tätowiert haben, das ist einfach umwerfend. Meine Musik ist viel größer als ich und sie spricht Leute an, das ist großartig. Während der Pandemie hat die Beziehung zu meinem Mobiltelefon ein bisschen die Menschen dahinter in den Schatten gestellt. Immer wenn ich etwas gepostet habe und dann Kommentare oder Nachrichten darauf bekam, war ich den Leuten dahinter so fern wie nie zuvor. Wenn man auf Tour ist und jeden Tag in einem neuen Land aufwacht, verändert sich das gewaltig. Ich spürte erst live, wie sehr sich die Leute am anderen Ende des virtuellen Strangs im echten Leben mit meiner Musik verbunden haben. Meine Arbeit bekommt dadurch mehr Ernsthaftigkeit. Während der Pandemie dachte ich mir oft, ich kann tun und lassen, was ich will, ohne Konsequenzen zu befürchten. Aber jeder Schritt hat Konsequenzen und das wurde mir erst wieder gewahr, als ich auf die Bühne ging. Ich nehme meine Verantwortung als Künstler nicht mehr so leicht wie früher.

Mit anderen Künstlern zusammenzuarbeiten heißt auch, die Musik breiter zu machen, Einflüsse zuzulassen und sich in neue Gefilde zu wagen. So wie es auch die Hörer in einer Welt voller Playlists machen. Kommt dir das mit deinem breiten Musikgeschmack zugute?
Ich bin 29 Jahre alt und gehöre wohl zur ältesten Generation jener, die ohne eine besondere Beziehung zu Plattenläden groß geworden sind. Meine älteren Geschwister haben mir damals gezeigt, wie man auf Limewire illegal Musik herunterlädt. Ich habe auf meinem PC immer einen Virus riskiert, um einen bestimmten Song zu kriegen. (lacht) Nicht einmal habe ich darüber nachgedacht, ob das legal ist oder einem Künstler schaden könnte. Ich musste mich auch nicht entscheiden, ob ich im CD-Laden in der Rock- oder Rap-Sektion herumsuche. Junge Menschen heute sind durch die Zugänglichkeit der Streamingplattformen noch viel eklektischer unterwegs. So experimentieren auch Künstler immer mehr und breiter als es früher der Fall war. Das hängt natürlich damit zusammen, dass wir alle viel eklektischer aufwachsen und es für uns normal ist. Ich höre Rock, Hip-Hop und Elektronik und mache da keinen Unterschied. Noch vor 20 Jahren war das fundamental anders und es zeigt, wie schnell die Welt sich dreht. Die größte Herausforderung für junge Hörer ist es, den eigenen Weg zu finden. Sich im Dickicht all der Songs auf dieser Welt orientieren zu können. Ich will die Fans von 2017 genauso glücklich machen wie jene, die dazukommen. Das ist mir wichtig.

Auf dem Debütalbum hattest du einen Song namens „Identity“. Hast du deine Identität als Künstler gefunden oder ist das eine immerwährende Suche?
Ich öffne in meinen Songs das Fenster zu meinem Leben und das ist sicher nicht anders als jene Leben, die meine Musik hören oder mögen. Wir alle gehen denselben Weg im Leben, schauen uns dieselben Twitter-Seiten an und haben Angst und Freude um unsere Familien. Meine Suche nach mir selbst und der Wunsch, verstanden zu werden, ist dann am authentischsten, wenn ich mich nicht als ein fertiges Produkt inszeniere. „Identity“ ist ein Song über Gefühle, Mutlosigkeit und Unsicherheiten, wie sie jeder verspürt. Wir alle sind immer auf der Suche und ironischerweise finde ich durch das Offenlegen meiner Unsicherheiten Wege, diese zunehmend abzulegen. Sehr viele meiner Fans beenden gerade die High School und wissen nicht, ob sie gleich aufs College gehen oder zuerst eine Weltreise machen sollen. Ich will die Menschen mit meiner Musik darin bestärken, dass sie erkennen, nicht perfekt zu sein. Dass es okay ist, sich auch mal falsch zu entscheiden, aber seinem Herzen zu folgen. Ich bin auch oft den falschen Weg gegangen, aber ich bin jetzt fast zehn Jahre lang Grandson und weiß, dass ich noch immer nach den richtigen Worten suche, um mein Leben und meine Gefühle auszudrücken.

Du hast schon mit unterschiedlichsten Künstlern wie Jessie Reyez, Mike Shinoda, KennyHoopla, Tom Morello oder K.Flay zusammengearbeitet. Ist es dir genauso wichtig zu geben, wie zu erschaffen?
All diese Künstlerinnen und Künstler haben gemein, dass ich in allererste Linie ihr Fan bin. Wenn sich eine Möglichkeit auftut, mit jemanden zu arbeiten, den ich bewundere, dann versuche ich zu verstehen, wie er tickt, wie er Songs schreibt und welche Art von Verantwortung er seinem Publikum gegenüber verspürt. Musik war für mich immer etwas Verbindendes. Ein Ventil, um eine Fanbase und Freunde zu finden und in Kontakt zu bleiben. Viele Künstler sind sehr stark von ihrem inneren Kompass getrieben und machen lieber alles alleine. Ich bin da ganz anders, aber diese Vielseitigkeit macht es spannend. Ich arbeite einfach sehr gerne mit den besten Künstlern der Welt zusammen.

Du hast als Grandson eine sehr enge Bindung zu deinen Fans, den „Grandkids“. Ist dir das manchmal auch zu viel?
Ich achte darauf, dass sich die Fans auf mich verlassen können und wenn es gerade einmal nicht der Fall ist, hoffe ich auf Verständnis. Ich bin in meinen Texten für gewöhnlich sehr offen, was meine eigene mentale Gesundheit angeht, die oft sehr fragil ist. Menschen zu enttäuschen, ist das Schlimmste, das in meinem Beruf passieren kann. Ich wünschte, dass der Tag genug Stunden hätte, um alles von mir zu geben und immer noch genug Zeit für meine Partnerin, meine Familie und auch für mich zu haben. Ich habe glücklicherweise ein großes Team um mich herum, dass mir hilft, die Grenzen auszudehnen, wenn ich es alleine nicht mehr schaffe. In meiner Karriere als Musiker steckt sehr viel Paradoxes, aber ohne ein vertrauenswürdiges Team um mich herum, wäre absolut nichts möglich. Wir sind getrieben von unserem Ego und vielen Ambitionen und deshalb wollen wir immer zu viel. Ich würde auch gerne die größten Arenen und Hallen spielen, aber sollte ich einmal so groß werden, dann kann ich die Fans nicht mehr so oft persönlich treffen wie es davor der Fall war. Diese Veränderungen müssen einem klar werden.

Wenn du dich in deinen Songs so offen und verletzlich zeigst, setzt du dir dann auch Grenzen? Gibt es irgendwo Linien, die nicht zu überschreiten sind?
Wenn man als Künstler sehr offen und ehrlich ist, dann wird das von einem auch abseits davon erwartet und die zurückgezogene, private Seite wird einem nicht mehr abgenommen. Künstler wie Tom Morello oder Fever 333 haben es oft nicht leicht, über Beziehungen und ihre Familie zu schreiben. Schreiben wir über Politik, dann stellt sich immer die Frage, ob es genug war. Hätten wir mehr tun können, um Dinge zu verändern? Haben wir uns zu sehr zurückgehalten? Diese Gedanken schwirren immer herum. Ich habe immer Künstler wie Bruce Springsteen oder Bob Marley bewundert, die einerseits knallhart über die Politik, dann aber auch wieder sanft über die Liebe schreiben können. Viele dieser Künstler haben revolutionäre Songs geschrieben, obwohl sie als Teenager über gebrochene Herzen sagen.

Umgekehrt ist es eher schwierig, denn die sozialen Probleme werden dir auch erst mit den Jahren stärker bewusst. Verletzlichkeit zu zeigen ist für mich so lange leicht, solange ich das in den Songs machen kann. Mein persönliches Ziel wäre es, diese Verletzlichkeit aber in allen Bereichen meines Lebens zu zeigen und nicht nur ein eindimensionaler, politischer Künstler zu sein. Auch ich habe Probleme in meinen Beziehungen, verliebe mich oft zu schnell oder suche Anschluss bei Leuten, die mir nicht guttun. Davon ist niemand gefeit, auch wenn man es verhindern möchte. Auf meinem neuen Album versuche ich all diese Gefühlslagen zu erforschen und wenn möglich zu analysieren.

Live im Gasometer
Mit seinem neuen Album „I Love You, I‘m Trying“ im Gepäck kommt Grandson am 30. September ins Wiener Gasometer. Unter www.oeticket.com gibt es noch Karten für die von der Simm City hochverlegte Show des emotionalen Vollblutmusikers. Ein grandioser Abend ist garantiert.

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