Regisseurin Helgard Haug inszeniert entgegen aller Vorurteile Brechts „Der kaukasische Kreidekreis“ mit dem Theater HORA, einem Ensemble kognitiv Beeinträchtigter.
Am Samstag gibt es bei den Salzburger Festspielen eine Theaterpremiere, die eigentlich unmöglich schien. „Das ist nicht machbar – die Komponenten Bertolt Brecht, Rimini Protokoll und Theater HORA schließen einander aus“, dachte sich Regisseurin Helgard Haug, als sie die erste Anfrage aus Salzburg erhielt. Auf den ersten Blick scheint sie tatsächlich Recht zu haben. Haug ist Teil des „Rimini Protokolls“, eines Künstlerkollektivs, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Mittel des Theaters zu erweitern und neue Perspektiven zu schaffen.
Mit dieser Einstellung Brecht zu inszenieren, dessen Verlag und Nachkommen sehr penibel mit ihren Auflagen sind, schien nicht die leichteste Voraussetzung für ihre Arbeit am „Kaukasischen Kreidekreis“. Auch bezüglich der Besetzung hatte ihr Schauspielchefin Bettina Hering bereits die Macht entzogen und das Theater HORA ausgewählt. Wie kam es also doch zu Haugs erster Arbeit für die Salzburger Festspiele? Die Antwort lautet Neugier, Freude und Lockerungen seitens des Verlags.
Um die Herausforderung am Theater HORA zu verstehen, muss man sich das Ensemble einmal genauer ansehen. In Theaterkreisen sind die Horas aus Zürich seit 30 Jahren absolute Pioniere, denn sie bestehen aus Spielern mit kognitiver Beeinträchtigung. Doch diese Tatsache hindert das Ensemble nicht daran, seit Jahren Theaterpreise einzusammeln, auf Welttournee zu gehen und mit namhaften Regisseuren zusammenzuarbeiten. Allein die Herangehensweise an die Stücke und deren Umsetzung unterscheiden sich von „normalgesunden“ Kompanien.
Bereits vor einem Dreivierteljahr begannen alle Beteiligten in Workshops menschlich und technisch zu hinterfragen, wie der Spagat zwischen einer gewissen Werktreue und einer unverbogenen Performance bewältigt werden könne.
In Brechts „Der kaukasische Kreidekreis“ geht es um die Frage nach rechtmäßiger Mutterschaft. Wem steht diese zu? Der Leiblichen, die sich nie um ihr Kind kümmerte, oder der Sozialen, die es wie ihr eigenes annahm? Brecht gibt in seinem Text eine klare Antwort, Haug und das Theater HORA wollen die Frage erweitern.
„Wir setzten beim Schluss des Stückes bei der Gerichtsszene an und vollziehen das erst einmal nach, fragen dann aber: Welche anderen Personen kommen für die Mutterrolle noch in Frage? Es gibt verschiedene Schauspieler, die sich ihre Rollen ausgesucht haben. Und wir erzählen im Stück auch, wie es zu diesen Rollenbesetzungen kam. Dafür haben sie sich zum Teil erst über Improvisationselemente entschieden“, verriet Haug.
So haben die Regisseurin und das Ensemble also doch noch einen Weg gefunden, um eine eigene, gemeinsame Fassung des Kreidekreises fertigzustellen, die auch Brecht an der Hand nimmt und ihm vielleicht eine neue Sichtweise verpassen kann.
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