In St. Barbara im Mürztal entsteht ein neues Heim für Menschen mit Demenz - wir haben uns im ersten seiner Art in Kärnten umgeschaut. Ein beeindruckendes Haus.
„Schönen guten Tag, darf ich Sie zu Ihrem Tisch bringen?“ Frau U. mag das Meiste aus ihrem Leben vergessen haben, enge Verwandte nicht mehr erkennen, nicht mehr psychisch anwesend sein in der echten Welt. Aber dass sie einmal Gastwirtin war, mit Leib und Seele, das weiß sie noch. Oder spürt es. Und sie lebt ihre Rolle, begrüßt Besucher als charmante Gastgeberin an der Rezeption. Als ginge es an den Stammtisch - und nicht hinein ins Mavida-Pflegeheim. Das vom Konzept her einzigartig und eine Ode der Wertschätzung an Demenzkranke ist.
Es riecht nach Holz statt Desinfektion
Vom Eindruck her hat es mit einem Heim oder Spital nichts gemeinsam, das fängt beim Geruch (Holz statt Desinfektionsmittel) an und hört bei edlen Designertischen auf. Die Kunst im Garten - teuer, ein Bauherr der nur auf die Kosten schaut, hätte sie sich gespart. Genau so wie das Aquarium, das sich über zwei Stockwerke zieht; viele Bewohner beobachten gern die haiähnlichen Fische. Bauherr Gerhard Mosser hat bewusst viel Geld in Details gesteckt. „Ich will, dass die Leute hier alles haben, was ihr Leben schön macht“, sagt er.
103 Menschen leben hier, die ältesten sind fast 100 Jahre alt, der jüngste Bewohner ist erst 52. Demenz schert sich nicht um Alter, Beruf, Gesellschaftsschicht. Gut 7000 Quadratmeter groß ist das riesige Haus. Dreimal so viele Klienten, schätzt der Gast, könnte man (die Warteliste ist lang) locker unterbringen. Macht Mosser aber nicht.
Alle Wege führen hinaus in den Park
Denn dieses Konzept aus viel Raum und Freiheit ist es, das mittlerweile internationale Fach-Delegationen (zuletzt China) auf Erkundungstour nach Kärnten führt. Jeder kann im Heim herumgehen, wie es ihm gefällt, niemand kann sich verlaufen, alles führt ins Innere des Vierkanthofes und nicht hinaus aus der Anlage.
Die Gänge sind jeweils 350 Meter lang, die manche Bewohner drei-, viermal am Tag durchwandern. Schlaftabletten braucht danach kaum jemand, überhaupt ist es laut Heimleitung ein Drittel weniger an Pillen, die die Schützlinge hier benötigen.
„Vor allem Aggression, bei dementen Menschen öfter Thema, ist hier bei uns gar keines“, sagt Geschäftsführer Christian Polessnig. „Weil der Raum so weit ist. Und weil vieles flexibel gehandhabt wird.“ Fixe Zeiten fürs Frühstück? Nein, „manche schlafen ja gerne länger“. Jemand will nicht duschen? „Dann machen wir es halt später, so etwas ist bei uns in Ordnung.“
Unser Mavida-Haus ist absolut keine Konkurrenz für andere Pflegeheime. Denn es richtet sich dezidiert nur an schwer an Demenz-Erkrankte und ist auf diese spezialisiert.
Geschäftsführer Christian Polessnig
Das geht alles nur mit viel Personal - doch anders als anderswo ist Mangel hier kein Thema. „Weil natürlich auch wir dieses friedliche Miteinander schätzen, dieses Bemühen um stressfreie Abläufe“, erzählt uns eine Mitarbeiterin. Einen großen Esssaal gibt es nicht, dafür kleinere gemütliche Küchen, so wie daheim, wo sich jeder hinsetzt, wie es ihm gefällt. Bei unserem Besuch werden Kärntner Kasnocken serviert, Topfenstrudel mit Vanillesoße, hausgemacht; hier essen auch die Chefs mit.
Rote Fingernägel und ein Cocktail an der Bar
Jene, die gut beieinander sind, können am Nachmittag handarbeiten in der eigenen Werkstatt, werden im Aktivierungsraum körperlich gefördert, stricken oder spielen, backen mit den Betreuern Brot, helfen in der Küche. Alles kann, nichts muss. „Schauen Sie!“, zeigt uns eine Bewohnerin stolz ihre gepflegten, in kräftigem Rot lackierten Fingernägel - hier gibt es auch Schönheitsstube und Friseur.
Als wir gehen, steht Frau B. an der Bar, schwenkt ihr Wasserglas wie einen Cocktail am Strand und singt aus vollem Herzen mit der „Bartenderin“ aus dem Radio „Wann wird es wieder richtig Sommer?“ mit.
Die Bewohner hier, daran gibt es nichts zu beschönigen, versinken in ihrer Welt des Vergessens. Aber sie tun es in Licht, Behaglichkeit. Und Würde.
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