Kulturelle Aneignung?

„Sombrero-Oma“ nach Wirbel: „Nehme Medikamente“

Ausland
23.04.2023 06:03

Es war ein Aufregerthema diese Woche: Jene Seniorinnen-Tanzgruppe, die in Deutschland mit Sombreros nicht auftreten durfte. Es handle sich nämlich um „kulturelle Aneignung“. Doch was bedeutet dieser Begriff überhaupt? Und wie geht es Chefin Erika Schmaltz nach dem Kostüm-Trubel? Der „Krone“ hat sie es verraten.

„Krone“: Wegen Ihrer Kostüme bei einem Tanz-Auftritt während der Bundesgartenschau in Mannheim kamen Sie in die Schlagzeilen. Die Organisatoren warfen Ihnen kulturelle Aneignung vor, weil Sie unter anderem Sombreros für einen Mexiko-Tanz tragen wollten. Wie geht es Ihnen nach diesem Trubel?
Erika Schmaltz: Schlecht! Meine Blutdruckwerte sind 180 zu 110. Mir ist schwindelig und ich nehme Medikamente. Ich bin kein Mensch mehr.

Es kam zu einem Kompromiss: Sie dürfen auf der Hauptbühne auftreten, aber ohne Sombreros. Sind Sie mit diesem Deal zufrieden?
Wir bekommen böse Briefe, warum wir nachgegeben haben. Da frag’ ich mich schon, ob ich richtig gehandelt habe. Viele Leute stehen hinter uns und rufen sogar an. Das tut gut.

Was sagen Sie dazu, dass man Ihnen vorwarf, rassistisch zu sein, weil Sie Hüte, Perücken und Co. tragen wollten?
Wir wollten niemanden damit verletzen. Seit sechs Monaten proben wir unsere „Weltreise am Traumschiff“. Wenn wir eine Geisha spielen, tragen wir eine schwarze Perücke und einen Kimono. Die Kostüme sind teils sogar selbst genäht. Unsere Schneiderin arbeitet so hart, dabei sieht sie gar nicht mehr so gut. Tanzen ist unser Hobby, und jetzt bekommen wir deswegen TV-Anfragen.

Werden Sie bei anderen Feiern in Ihren geplanten Kostümen auftreten?
Klar! Es schaut ja wirklich nicht gut aus, wenn eine Geisha mit grauen Haaren tanzt!

Ist kulturelle Aneignung automatisch schlecht?
Was Dreadlocks, Sombreros und die Musikrichtung „Hip-Hop“ gemeinsam haben? Die immer wieder aufkochenden Debatten um kulturelle Aneignung.

In erster Linie bedeutet der Begriff, dass Traditionen und andere Elemente von sozialen, politischen oder wirtschaftlichen Minderheiten übernommen werden. Tragen weiße Menschen Filzlocken, verkleiden sich als Indianer oder schminken sich ein dunkles Gesicht, bedienen sie sich Elementen von Bevölkerungsgruppen, die oftmals Unterdrückung und Rassismus erfahren mussten.

Blonde Cellistin wegen Rastazöpfen verbannt
Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelte sich der Begriff „Wokeness“ als Zeichen gegen soziale Unterdrückung. Durch die Black-Lives-Matter-Bewegung im Jahr 2013 wurde vor allem in sozialen Netzwerken der Hashtag #StayWoke bekannt. Er soll auf Sensibilität gegenüber Diskriminierung aufmerksam machen und auf soziale Missstände hindeuten.

So entwickelte sich auch das Bewusstsein rund um kulturelle Aneignung bzw. vermeintliche kulturelle Aneignung. Schnell waren Kleidung, religiöse Traditionen und sogar Sportarten fremder Kulturen für andere Menschen „verpönt“. Das führte so weit, dass vor etwa einem Jahr die Musikerin Ronja Maltzahn von ihrem geplanten Auftritt bei einer Fridays-For-Future-Demo ausgeladen wurde, weil sie als hellhäutige Frau Rastalocken trug. Die skurrilste und aktuellste Blüte dieser übertriebenen Form von angeblicher „politischer Korrektheit“: eben die Senioren-Tanzgruppe, die nicht auftreten durfte, weil sie für ihre Vorstellung Sombrero-Hüte tragen wollte. Auch das nicht-religiöse Tragen eines Bindi-Punktes wurde „kritisch gesehen“.

Fakten

  • Kulturelle Aneignung ist die Übernahme von Traditionen oder Artefakten anderer Kulturen. Meist wird der Begriff benutzt, wenn die Elemente von Minderheiten kopiert wurden.
  • „Wokeness“: Der Begriff entstand Mitte des 20. Jahrhunderts. Das Duden-Wörterbuch beschreibt ihn als „hohe Sensibilität für rassistische, sexistische und soziale Diskriminierung“. Im Zuge der Black-Lives-Matter-Bewegung wurde „Stay Woke“ zu einem Zeichen gegen Rassismus.

Kulturelle Aneignung wird sehr selektiv betrachtet
Laut der Ethnologin Susanne Schröter von der Goethe-Universität in Frankfurt am Main sei die Skandalisierung kultureller Aneignung jedoch aus wissenschaftlicher Sicht nicht haltbar. „Ohne Aneignung gäbe es schlicht keine Kultur. Menschen haben niemals in der Geschichte alles selbst erfunden, sondern immer Dinge übernommen, die von ihren kulturellen Nachbarn stammten“, betont die Expertin.

Die aktuellen Debatten würden an mehreren Stellen hinken, da es selektiv um bestimmte Phänomene ginge. „Es wird kritisiert, wenn bestimmte Hüte, Kostüme oder Frisuren wie Dreadlocks von Weißen getragen werden, nicht aber wenn Nichtwestler klassische Musik spielen, jodeln und westliche Mode tragen. Denkt man solche Gedanken tatsächlich zu Ende, merkt man ihre Absurdität“, erklärt die Ethnologin.

Die Übernahme fremder Traditionen sei überwiegend Ausdruck einer gewissen Wertschätzung, so die Forscherin. Der nächste Fall von „Cancel Culture“ lässt aber sicher nicht lange auf sich warten.

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