Neues Album „II“

Dead Cross: Anarchie schlägt die Demokratie

Kultur
16.11.2022 06:00

Für das neue Album „II“ hat die kalifornische Hardcore-Punk-Metal-Supergroup Dead Cross unterschiedlichen Krisen getrotzt und alle negativen Begleitumstände zum Trotz die Musik in den Vordergrund gerückt. Kein leichtes, aber ein lohnendes Unterfangen. Bassist Justin Pearson und Drummer Dave Lombardo (ex-Slayer) geben uns Einblicke in die Welt der DIY-Bande.

Der Unterschied zwischen einer Supergroup und einer Zusammenrottung von guten Freunden ist manchmal unmerkbar gering, handelt es sich doch auch bei sogenannten „Kalibern“ meist um gute Kumpel, die sich ihre Meriten über die Jahre redlich verdient haben. Im Falle von Dead Cross kann man gut von einer solchen Mischung sprechen. Star-Produzent Ross Robinson, ab Mitte der 90er-Jahre verantwortlich für Kultalben von Korn, Slipknot oder Soulfly und damit prägend für den erweiterten Nu-Metal-Sound rund ums Millennium, hat sich mit Slayer-Drummer Dave Lombardo und The Locust- und Retox-Musiker Justin Pearson (Bass) schon 2015 zusammengetan, um ein Demo aufzunehmen. Pearson holte seine Bandkollegen Michael Crain (Retox, Gitarre) und Gerbe Serbian (Vocals, The Locust) dazu, um ein Debütalbum einzuspielen. Serbian verließ die Band 2016 überraschend und wurde von Kultstar Mike Patton ersetzt.

Ein Mahlstrom der akustischen Gewalt
Der Faith No More-Frontmann ist bekanntermaßen immer interessiert, wenn Musik gegen gängige Normen komponiert wird, schrieb seine eigenen Texte und wurde zu einem wichtigen Mosaikstein für das 2017 veröffentlichte Debütalbum „Dead Cross“, mit dem das harsche Outfit 2018 beim Nova Rock seine bislang einzige Österreich-Show zelebrierte. Die Songs klingen in etwa so, wie man den Sound der einzelnen Bandmitglieder beschreiben kann: ein wilder Mahlstrom aus Hardcore, Punk, Noise, Crust, etwas Thrash Metal und viel Liebe zum akustischen Hass. „Diese Band ist definitiv mehr Anarchie als Demokratie“, erzählt Pearson im Gespräch mit der „Krone“ und gibt die schwer zu definierende Marschrichtung grob vor. „In dieser Band darf jeder machen, was er will. In einer Demokratie gibt es immer noch Hierarchien, die uns aber völlig fremd sind. Es gibt keinen Präsidenten und keinen Vizepräsidenten“, fügt er lachend hinzu.

War das Debütalbum noch ein wilder und völlig unkontrollierter Ritt durch verschiedene Hochgeschwindigkeitssphären, ist der erst vor wenigen Wochen veröffentlichte, schlicht „II“ betitelte Nachfolger etwas nuancierter ausgefallen - wenn man denn dieses Adjektiv bei einer dermaßen kompromisslosen Klangwelt überhaupt bemühen möchte. Die beiden Opening-Songs „Love Without Love“ und „Animal Espionage“ gehen jedenfalls etwas bedächtiger los und orientieren sich in die Sludge-Richtung, das gegen die amerikanische Waffenlobby anprügelnde „Christian Missile Crisis“ hingegen lässt den vor allem in Lombardos Welt üblichen Thrash der Marke Testament oder Sacred Reich in den Vordergrund rutschen. Auf jeden Fall braucht der Hörer Geduld und Toleranz, denn Eingängigkeit oder Easy Listening kann man den teils extrem dissonanten Songs nicht vorwerfen. „Das Projekt ist für uns alle etwas ganz Anderes“, so Pearson, „aber das ist auch das Ziel. Ein Erfolgskonzept der anderen Bands zu kopieren, das würde keinen Sinn machen.“

Ritt durch tiefe Täler
Noch mehr als auf dem Debüt teilen sich Hauptsänger Patton und Hintergrundkreischer Pearson den Gesang. Dass bis zur Veröffentlichung dieses Albums mehr als fünf Jahre ins Land gezogen sind, war natürlich nicht geplant. Viel schlimmer als die Pandemie und damit eingehergehende zusätzliche Wartezeiten wirkten sich aber unzählige Schicksale aus, die auf Dead Cross einprasselten. Zuerst kamen bei Mike Patton während der Pandemie alte Panik- und Angstzustände dermaßen stark hoch, dass er sogar eine geplante Tournee mit Faith No More absagen musste. Ungefähr zur selben Zeit wurde bei Gitarrist Crain Hautkrebs diagnostiziert. Die kostenintensive Chemotherapie konnte nur über Spendenaufrufe finanziert werden. Im April 2022 verstarb dann auch noch Ex-Sänger Serbian im Alter von nur 44 Jahren und hinterließ seine Ehefrau und zwei Kinder. Der immer noch freundschaftlich mit den Dead Cross-Mitgliedern verbundene Musiker riss das nächste tiefe Loch in die ohnehin schon angeschlagene Psyche der Bandmitglieder.

Sie rappelten sich gemeinsam hoch, durchschritten alle Krisen und kämpften sich schlussendlich zum neuen Album zusammen. Dass dieses noch sperriger klingt und erheblich mehr Geduld von Seiten der Hörer braucht, ist wohl nicht zuletzt den tragischen Krisen im privaten Bereich geschuldet. Mit der Zuschreibung als Metalband hat Pearson so seine Probleme. „Ich sehe uns als Hardcoreband. Hardcore und Punk sind unsere Lebenseinstellung. Wir spielen keine Konzerte wie Guns N‘ Roses, sondern sagen in 45 Minuten alles, was nötig ist. Aber mir ist auch bewusst, dass man da draußen Kategorisierungen braucht. Am Ende spricht die Musik für sich und der Terminus Hardcore reicht über den reinen Sound hinaus.“ Ganz nach alten DIY-Schemen grenzen sich Dead Cross auch stilistisch nicht ein. Ein Cover des Black-Flag-Klassikers „Rise Above“ hat genauso viel Platz wie eine zwischenzeitlich eingeschobene EP mit elektronischen Schlenkern.

Lebensverändernder Moment
Das bereitete vor allem Drummer Lombardo viel Spaß. „Ich bin großer Fan von elektronischer Musik und wir wollten als Band beweisen, dass wir auch in diesem Segment eine gute Figur machen. Wir werden aber nicht zu The Prodigy, da braucht keiner Angst haben.“ Textlich vermischen Dead Cross dunklen Humor mit Polit- und Gesellschaftskritik. Ein Augenmerk auf die Schieflage der Welt zu haben, ist keinesfalls verkehrt, wie Pearson meint. „Ich habe als Zwölfjähriger die kultige US-Punk-Band The Cramps getroffen, das hat mein Leben verändert. Diese Band hat einfach das gemacht, was sie für richtig hielt. Das hat mir so imponiert, dass ich es als Lebenseinstellung mitgenommen habe.“ Dead Cross und ihre Punk-Attitüde kennen keine Grenzen - und wollen sie auch gar nicht erst setzen. „Für manche sind wir absoluter Mist, andere finden uns grandios. So ist das Leben.“

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