Sonntagabend gab „Local“-Besitzer Christian Becker über die sozialen Medien bekannt, dass er seinen Liveclub unter den Wiener Stadtbahnbögen nach knapp 15 Jahren schließen muss. Die Hauptgründe dafür: Corona, Energiepreise, Teuerungen. Der „Krone“ verrät er im ausführlichen Gespräch, weshalb es wirklich dazu kommen musste und wieso er bezüglich der Kunst- und Kulturzukunft in der Stadt skeptisch ist.
„Krone“: Herr Becker, das Wirtesterben trifft jetzt zunehmend auch kulturelle Einrichtungen wie das Local. Was waren schlussendlich die ausschlaggebenden Gründe, dass Sie mit Ende Juli Insolvenz anmelden mussten?
Christian Becker: Die Gründe sind eine Art Puzzle aus den generell gestiegenen und weiter steigenden Kosten zB für Energie und Waren, Verbindlichkeiten betreffend Miete und durch die Pandemie notwendige Kredite, der mehr als mäßigen Buchungslage und des Publikumsrückganges in den letzten Monaten. Auch die Perspektive für die kommenden Monate wird keine diesbezügliche Wende mit sich bringen. So mussten wir einen Schlussstrich ziehen…
Wann haben Sie das erste Mal gemerkt, dass es sich vielleicht nicht mehr ausgehen wird und wie haben Sie bis zum Schluss gegen das Ende angekämpft?
Eine negative Veränderung war in unserer Branche bereits seit Beginn der Pandemie spürbar, doch bis vor nicht allzu langer Zeit konnten wir mit Umsatzersätzen und derartigen Maßnahmen über die Runden kommen. Wirklich ernst wurde es dann nach und nach mit der Einstellung der Hilfen. Mache Leute meinen, wir hätten Geld geschenkt bekommen und wären unfähig, ohne dieses Geld zu wirtschaften. Das stimmt nicht! Über unsere Betriebe wurde in Lockdowns ein Betretungsverbot verhängt und wir haben kein Geld verdient. Ernst wurde es mit April 2022. In den Sommermonaten haben wir dafür gekämpft, dass Bands bei uns auftreten. Das gelang uns nur bedingt.
Sie schreiben auf Ihrer Homepage und den sozialen Medien von einem „Ende mit Schrecken“. Ist die Lage für Liveclubs in Wien so trist, dass man weitere Schließungen befürchten muss?
Ich habe keine Kenntnis über die Förderungen und Finanzierungen anderer Livelokale, die auf handgemachte Musik stehen, die von Musikerinnen gespielt wird. Die Auslastung soll aber abgesehen von Großveranstaltungen schwach sein. Ich denke schon, dass es noch ein tristes Erwachen geben könnte.
Sie haben etwa auch die vielen Gratis-Kulturangebote der Stadt Wien kritisiert, die es jungen und einheimischen Acts unmöglich macht, für ihre Konzerte Eintritt zu verlangen. Wurde da die Büchse der Pandora geöffnet?
Auch diese Pandora hätte sich in Zeiten wie diesen über eine Fixgage gefreut, die man als Club, in dem Bands auf Eintritt spielen, nicht bieten kann. Die Kultur gratis vor die Haustüre der Menschen zu liefern ist zweischneidig und nicht ganz zu Ende gedacht. Die Rechnung wurde ohne die Wirten gemacht, die eingebunden werden hätten können. Gut gemeint und eine schöne Sache, aber 100 Prozent der Involvierten der Veranstaltungsbranche wurden damit nicht glücklich gemacht. In meinem konkreten Fall haben Bands und Zuhörer tatsächlich gemeint, den Sommer bei uns lassen sie aus, denn auf den Outdoor-Plätzen ist der Eintritt frei und das Dosenbier günstig.
Auch Künstlerinnen und Bands tun sich zunehmend schwer, noch einen Fuß auf den Boden zu kriegen. Kann man die Dinge eigentlich überhaupt noch umkehren oder verbessern?
Die Dinge lassen sich sicher verbessern und umkehren. Bespiele: Eine Verlängerung der Unterstützung bei Umsatzausfällen durch Absage von Konzerten, weil zB ein Musiker positiv getestet ist und aus Vernunft zuhause bleibt. Ein Unterscheiden von Branchen bei derartigen Bewertungen, eine Schärfung des Bewusstseins, was Livemusik im Gegensatz zu Konservenbeschallung mit den Menschen macht, etc.
Sie meinten, mit März 2022 seien die Corona-Hilfszahlungen ausgelaufen. Wurden Sie von der einheimischen Politik zu wenig unterstützt und ist sie mitverantwortlich für das Aus des Local?
Die Politik, wer ist das schon? Die vielen Baustellen sind natürlich ein Irrsinn. Covid, ein Krieg in Europa und jetzt wird es auch noch im asiatischen Raum eng. Die für kulturelle Agenden zuständigen Politiker machen gute Arbeit, aber sie kochen auch nur mit Wasser. Wenn ein Finanzminister zum Beispiel nicht mehr ausreichend Wasser im Tank hat, wird ein Pflänzchen wie das Local ausgetrocknet. Vielleicht möchten die großen Konzerne und Banken, die jetzt Gewinne in Milliardenhöhe machen, ja kleine Clubs fördern.
Im ersten Halbjahr 2022 gab es in Wien 850 Firmeninsolvenzen - doppelt so viele wie 2021. Ist das ausschließlich der Pandemie zuzuschreiben oder liegt das auch an Misswirtschaft und mangelnder Vorbereitung der Betroffenen?
Da kenne ich mich nicht aus und ich möchte auch nicht pauschalieren. Aber die von mir genannten Gründe treffen auch auf andere zu. Kosten, Personal, Ausfälle von Reservierungen oder Aufträgen, es gibt viele Baustellen…
Glauben Sie, dass das Schicksal des Local einen Dominoeffekt auf andere Kultur- und Liveeinrichtungen haben kann?
Es gibt ja kaum noch welche. Die staatsnahen werden nicht so rasch kaputtgehen und die ganz kleinen werden es ohne Hilfe nicht lange durchhalten. Spannend ist auch, wie es mit der Auslastung im Winter aussehen wird, wenn die Heizkosten ein größeres Thema sind als drei Seidl Bier im Liveclub und der Eintritt für ein Konzert.
Vielerlei fehlt es natürlich an Planungssicherheit in puncto Pandemie. Aber wäre es von der Politik nicht auch fahrlässig zu sagen, man könnte den Gastro- und Kulturbetrieb in Herbst und Winter einfach fix weiterlaufen lassen?
Ich denke auch, dass die Gesundheit wichtiger ist als alles andere und man muss Maßnahmen setzen, die die Gesundheit der Gäste und der Mitarbeiter sichern. Einfach so zu tun als ob nichts wäre, das wäre grob fahrlässig. Ich bin auch kein Freund der Aufhebung der Quarantäne.
Fühlen Sie sich und das Local allgemein im Stich gelassen? Fehlten Ihnen auch Respekt und Interesse seitens der politischen Verantwortlichen?
Es gibt hohen Respekt und auch Interesse, dazu viele Versuche meinerseits und Unterstützung, die nicht ausreichend oder rechtzeitig gekommen ist. Ich mache aber keine Vorwürfe, ich führe lieber weiter konstruktive Gespräche, auch im Sinne der vielen Kollegen, die noch Kulturstätten betreiben und Veranstaltungen machen.
Wie sehr haben Sie und Ihr Personal die letzten zwei bis drei Jahre persönlich mitgenommen? Hat sich die prekäre Lage und Ungewissheit ob der Zukunft auf deine Gesundheit ausgewirkt?
Mein Personal hat die Arbeit bei mir als Nebenjob betrachtet und zum Teil großen Einsatz gezeigt. Die schlechte Auslastung hat aber alle belastet, weil auch die Schließtage und das fehlende Trinkgeld keine lustige Angelegenheit sind, wenn man Rechnungen zu bezahlen hat. Meine Gesundheit hat, wenn überhaupt, nur wenig durch die Pandemie gelitten. Dennoch war es Zeit, den Stress zu reduzieren und mehr auf mich zu achten. Die letzten Jahre und die letzten drei relativ leeren Sommer haben mich nicht gerade in Feierlaune versetzt. Da muss man dann auf sich aufpassen.
Wie erklärt man das Ende seinen Mitarbeitern bzw. war das der allerschwerste Schritt für Sie?
Das Schwerste war, dass ich das Aus aus juristischen Gründen erst am 31. Juli kommunizieren konnte. Ich lasse die Katze für gewöhnlich in solchen Fällen lieber gleich aus dem Sack. Die Mitarbeiter haben es traurig und schweren Herzens zur Kenntnis nehmen müssen. Wir hatten immer ein amikales Verhältnis, das hilft dann in solchen Situationen.
Das Lokal existierte seit Mai 2008 mehr als 14 Jahre lang. Was waren Ihre absoluten Highlights und wie hat sich das Local aus Ihrer Sicht heraus über all die Jahre entwickelt?
Die Highlights waren so unendlich viele, da fällt es mir schwer ein Ende zu finden. Die Danzer-Abende, die eigenen Konzerte mit Gästen wie Tini Kainrath, Niddl, Willi Resetarits, Andy Baum, die vielen Newcomer wie ganz zu Beginn 5/8erl in Ehr’n, der Nino aus Wien und die internationalen Acts wie Jennifer Batten (Michael Jackson), Bernard Fowler (The Rolling Stones), Dan Reed, Marco Mendoza. Mit Sicherheit waren die ersten beiden Jahre schwer, dann ging es aber nach und nach bergauf. Sonst hätte es uns nicht fast 15 Jahre gegeben. Ab 2020 wurde es dann düster…
Sie haben in der Pandemie bereits eine Ausbildung zum Lebens- und Sozialberater begonnen - haben Sie das tragische Ende schon kommen sehen?
Nein, sonst würde man das Konkursverschleppung oder so ähnlich nennen. Mich hat es interessiert, zu einem späteren Zeitpunkt Menschen, die in einer Krise stecken und aus eigener Kraft Veränderungen suchen, zu helfen. Ich hatte schon immer ein Auge für soziale Anliegen. Außerdem ist das neben der Musik ein Beruf, den ich auch in betagterem Alter ausüben kann, wenn das Hirn noch mitspielt. Vielleicht werde ich dann ja der Keith Richards der Beratung, den echten auf der Bühne gibt es ja schon. Und zu überleben wird für uns alle schwer, so wie es aussieht. Ich versuche es aber weiter!
Wie geht es für Sie in Zukunft weiter? Und werden Sie der Kultur- und Musikszene in anderer Form erhalten bleiben?
Ich wickle nun ab, was es abzuwickeln gilt und erfülle die unangenehmen Aufgaben einer Insolvenz. Abgesehen davon helfe ich jedem, der eine Idee zur Übernahme und Weiterführung hat sehr gerne, das Local wieder zu betreiben. Dann setze ich mich neben dem Studium wieder mit der Gitarre und einem Notizbuch hin und hoffe, neue Lieder zu schreiben und die Band in die Gänge zu bekommen. Es gehört nämlich wieder viel mehr musiziert! Veranstaltungen werde ich anderenorts ebenso betreuen und an Ideen hat es mir nie gefehlt. Mein „Humanity Train“, der Zug Richtung Empathie und Menschenwürde, muss auch wieder ins Rollen kommen und ein paar Benefizkonzerte transportieren.
Wird es für das Local eine Zukunft geben bzw. sehen Sie anderweitig Licht, dass es fortgeführt werden könnte?
Wenn sich an einer Weiterführung Interessierte melden, helfe ich mit den nötigen Kontakten gerne weiter. Vielleicht schafft es jemand mit einer Vereinsstruktur oder anderen Möglichkeiten, um bei Förderungen und Sponsoren bessere Chancen zu haben als ein Unternehmer. Das Aus hat außer ein paar Neidern niemandem eine Freude bereitet. Jene Neider können sich jetzt aber gerne in den Sattel schwingen und zeigen, wie lange sie sich in selbigem halten...
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