In der Stadthalle

Slipknot: Eine schreckliche und nette Familie

Steiermark
28.07.2022 02:08

Vor rund 9500 Fans spielten Slipknot Mittwochabend in der Stadthalle das größte Graz-Konzert des Jahres. Etwa 105 Minuten lang wilderte das brachiale Nonett durch mehr als 20 Jahre seiner Diskografie und beschwörte ein und ums andere Mal den familiären Aspekt auf und abseits der Bühne. Eine Rechnung, die voll aufging.

Vor rund 20 Jahren haben Slipknot noch die Massen erschreckt, heute erfüllt man einen Bildungsauftrag. Maskiert lebt es sich dieser Tage sicherer und leichter, das veranlasst Schlagzeuger Jay Weinberg im Gespräch mit der „Krone“ vor dem Auftritt in der Grazer Stadthalle auch zur humorigen Analyse: „Wir waren eine der wenigen Bands, die eben schon vorausgesehen haben, was passiert.“ Als das Kollektiv aus Iowa rund um 1999 zu seinem globalen Siegeszug ansetzte, war Weinberg noch im Volksschulalter. Mittlerweile ist er seit 2014 fixer Bestandteil der Band und brachte mit seinem expressiven Spiel eine neue Klangfarbe ins Geschehen. Im Slipknot-Camp dreht sich schließlich alles um die Familie - auf und abseits der Bühne, wie Corey Taylor im Laufe des Gigs mehrmals betont.

Brutaler Groove
Slipknot ist für die meisten Anwesenden nicht bloß eine Band, sondern eine Lebenseinstellung. Global gibt es keine zweite Band, die mit derart hartem Nu Metal, der sich mit Hardcore, Death- und Thrash Metal zu einem ganz eigenen Groove-Bastard vermengt, derartige Massen in die Arenen lockt. Dass man in Graz noch kurzerhand vom Messegelände in die Stadthalle verlegte, war angesichts der überraschend herbstlichen Temperaturen und ob des unsteten Wetters gar kein Nachteil. 9500 „Maggots“, wie Slipknot ihre treuen Fans makaber-liebevoll bezeichnen, ließen sich die effektgeladene Show ihrer Lieblinge nicht entgehen und wurden nach einem nostalgischen AC/DC-Intro von „For Those About To Rock (We Salute You)“ schon in den ersten Minuten durch den Fleischwolf gedreht. Das brutale Kultstück „Disasterpiece“ leitete über in „Wait And Bleed“, die Single des Debütalbums, und wurde vom neueren „All Out Life“ abgerundet.

Auf der Bühne herrscht dabei das kontrollierte Chaos. Vor riesigen LED_Videowänden und hochgelegten Percussion-Plattformen ballert Weinberg ein Blastbeat-Inferno durch die Halle, zeigt sich Frontmann Corey Taylor stimmlich in aggressiver Bestform und huscht der oft arbeitslose Keyboarder und Turntable-Experte Sid Wilson mit Lepra-Maske und düsterem Umhang von einem Bühnenende zum anderen. An der Grundidee von vor mehr als 20 Jahren haben Slipknot auch im gereiften Alter wenig geändert. Es soll laut, furchterregend und ganz und gar befreiend sein. Ständig ist etwas oder jemand in Bewegung und man weiß nicht, ob man sein Augenpaar auf die eindrucksvollen Masken, die gut getimten Percussion-Parts oder die häufig eingesetzten Feuersalven fokussieren soll. Reizüberflutung und Gehörschäden müssen in Kauf genommen werden, denn der Sound changiert in der Stadthalle von druckvoll (im Golden Circle) über passabel (in der Saalmitte) bis furchterregend-breiig (ganz hinten).

Kein Ende in Sicht
Wenn man sich nicht gerade durch die sechs Alben starke Diskografie voller Hits bewegt, versucht sich Frontmann Taylor am liebsten daran, seinen quantitativ persönlichen Rekord der Wörter „fuck“, „fucking“ und „fuckers“ nach oben zu schrauben. Als der Jubel schon früh ins Unermessliche steigt, zeigt sich Taylor erstmals zufrieden und geht weiter im Takt. Bei „Before I Forget“ ist nach gut 20 Minuten erstmals Platz für ein paar Melodien, das darauffolgende „The Chapeltown Rag“ vom im September erscheinenden Album „The End, So Far“, lässt mit viehischen Doublebass-Salven keine Angst aufkommen, dass die Herren im gediegenen Alter ruhiger ans Werk gehen würden. Vom sprichwörtlichen Ende sei aber keine Rede, wie Taylor ob der im Internet vielfach kursierenden Ängste wegen des Albumtitels beruhigt. „Slipknot will never fucking die!“ Nur um etwas später im Set noch einmal nachzulegen: „Wir machen das jetzt seit 23 Jahren professionell. Wenn ihr uns gewogen bleibt, dann wird es auch weitere 23 Jahre geben.“

Ob das knackige Live-Workout im biblischen Altrocker-Alter noch durchführbar ist, bleibt freilich fraglich. In der Stadthalle zeigt sich dafür gut, dass Slipknot längst Fans aus unterschiedlichen Generationen haben. Vom headbangenden Pflichtschüler bis zu grau melierten Pensionisten ist alles vertreten. Auch die braven Buchhalter mit zwei Kindern und Elektro-Tesla in der Vorstadteinfahrt, die sich für knapp zwei Stunden endlich wieder spüren und in die fragile Jugend zurückgebeamt werden. Das mitten im Set exerzierte „The Heretic Anthem“, die immer noch härteste Nummer in Slipknots alles andere als butterweichem Schaffen, ist ebenjene Hymne für all die zu kurz Gekommen, Gemobbten oder Missverstandenen, die „Musik anders hören und fühlen als die da draußen“, wie Taylor in fast schon politischem Jargon befeuert. Slipknot erzählt die Geschichte von ein paar problembehaften Bauernkindern aus dem amerikanischen Heartland, die sich mit Kompromisslosigkeit, Teamwork, Talent und Beharrlichkeit zu Weltstars hochspielten.

Frei von Zwängen
Nach mehr als zwei Dekaden hat sich nicht nur die Besetzung verändert, auch die Uniformität wird längst nicht mehr so strenggenommen wie in den vogelfreien Frühtagen. Corey Taylor trägt ein Sakko, Gitarrist Jim Root eine Glam-Rock-artige weiße Hose und wer Lust auf die alten Zeiten hat, der schlüpft noch gerne in den schmucken Overall. Das Freimachen von Zwängen hat sich schon vor Jahren in der Musik breitgemacht, schaumgebremste Songs wie „Dead Memories“ oder „Duality“ sind auf Konzerten aber eine Seltenheit. Überraschend gut fügt sich dafür das sanfte „Snuff“ ein, das erstmals nach 13 Jahren wieder ins Live-Set aufgenommen wurde und das wilde Gebolze für ein paar Minuten angenehm entschleunigt. „Wir spüren nach den letzten Jahren, dass nicht nur die Fans, sondern vor allem wir die Bühne und den Kontakt dringend gebraucht haben“, erzählte uns Weinberg vor dem Gig, „deshalb fühlen sich die Konzerte momentan auch ganz Besonders an.“ Vom Fan in der Volksschule zum Rhythmusgeber auf der Bühne - sowas passiert nur in der Familie Slipknot.

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