Neue Realität

Vom Frieden zum Krieg über Nacht

Vorarlberg
06.03.2022 10:00

Bis vor Kurzem war im Gender Museum Kharkiv in der Ukraine noch eine Schau in Kooperation mit dem Frauenmuseum Hittisau zu sehen. Heute regiert dort die Angst.

Eigentlich sollten in Kharkiv derzeit Tausende Studierende in den insgesamt 42 Universitäten und Hochschulen ein und aus strömen, die Köpfe voller neu erworbenen Wissens - für eine bessere Zukunft. Und eigentlich sollten auch heute wieder viele Menschen ins Gender Museum in Kharkiv pilgern, um sich von der aktuellen Ausstellung, einer Kooperation mit dem Frauenmuseum Hittisau, inspirieren zu lassen. Die Schau widmet sich der Geburtskultur - und könnte damit keinen krasseren Gegensatz zur neuen Realität in dieser Millionenstadt bilden.

Die Unis sind leer, das Museum ist verwaist, kein Mensch geht auf die Straße, wenn es nicht unbedingt sein muss. Es herrscht Angst. Und an eine Zukunft - womöglich sogar an eine bessere - denkt heute kaum jemand. Das Jetzt ist, was zählt. Darüber hinaus - wer weiß das schon.

Zu den Menschen, die von diesem Krieg überrascht wurden, zählt auch das Team des Gender Museums, Tetiana Chernetska, Projektmanagerin, und Tetiana Isaeva, Direktorin. Seit Jahren stehen die beiden in engem Kontakt mit Stefania Pitscheider-Soraperra, der Direktorin des Frauenmuseums Hittisau. Auch jetzt schicken sie sich Nachrichten übers Handy. Erst vor wenigen Tagen zum Beispiel erreichte Pitscheider-Soraperra eine Nachricht, die nur aus einem einzigen Wort bestand: „Alive“. Am Tag zuvor waren es mehrere Worte: „Sitzen im Keller, draußen steht ein Panzer, gerade ist eine Säuberungsaktion im Gange, die Menschen werden erschossen.“ Dieser unheimliche Wechsel von Realitäten, von Kulturarbeit hin zu Bombenhagel, ist für Außenstehende schwer zu fassen.

Angst vor dem „verrückten Nachbarn“
Ob Tetiana Chernetska in den vergangenen Monaten berichtet hätte, dass sich etwas anbahnt, dass sie Angst hat? „Nein“, sagt Soraperra und schüttelt den Kopf. Nur im Jänner einmal, da hätte sie geschrieben, dass sie in Sorge sei - wegen ihres „verrückten Nachbarn“. Von einer akuten Bedrohung aber war nichts zu spüren. Spürbar sei allerdings bei ihrem Besuch im Kharkiv im vergangenen Herbst gewesen, wie stark ausgeprägt das Bewusstsein für den eigenen, unabhängigen Staat und die eigene Sprache ist. Selbst bei Menschen, denen Russisch eigentlich leichter über die Lippen kommt als Ukrainisch.

Für die Projektleiterin ist auch klar: Vorerst bleibt sie in Kharkiv, trotz des täglichen Horrors. Doch sollte Putin sich wirklich durchsetzen und die Macht in Kiev übernehmen, dann kann sie sich nicht vorstellen, in ihrer Heimat zu bleiben. Während nicht nur das Gender Museum-Team Angst davor haben muss, beim Broteinkauf das Leben zu verlieren, überlegen Freunde und Bekannte außerhalb der Ukraine, wie man helfen könnte. Auch Stefania Pitscheider-Soraperra. Heute, Sonntag, wird im Frauenmuseum die neue Ausstellung eröffnet: Über jüdische Frauen, die sich durch eine Heirat ins Exil vor den Nazis retten konnten beziehungsweise retten mussten.

Dass das Thema „Frauen im Exil“ plötzlich auch außerhalb des Museums derart in den Fokus rückt, war für Pitscheider-Soraperra natürlich nicht absehbar. Jetzt will das Frauenmuseum helfen, so gut es geht. Bei der Ausstellungseröffnung wird eine Kollekte gestartet. Wer will, kann dann für die Ukraine spenden.

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