Interview & Album

Tom Odell und der Kampf gegen die inneren Dämonen

Musik
15.07.2021 06:00

Drei Alben lang feierte der Brite Tom Odell berauschende Erfolge, spielte vor Tausenden Menschen und eroberte die Charts - danach kam der mentale Einbruch. Unzählige Panikattacken, Angstzustände und Schreibblockaden später erfindet sich der heute 30-Jährige inhaltlich und musikalisch auf seinem neuen Album „monsters“ ganz neu - Hip-Hop und Elektronik statt Singer/Songwritertum. Ehrliche Selbstanalysen statt Lovesongs. Was noch alles dahintersteckt, erzählt er uns im Gespräch.

(Bild: kmm)

Irgendwann war der Plafond des Erträglichen erreicht und es gab keinen Ausweg mehr. Fast zwei ganze Jahre, zwischen 2018 und 2019, kämpfte der britische Singer/Songwriter und Popstar Tom Odell gegen Panikattacken, gegen mentale Unsicherheiten und plötzlich auftretende Angstschübe. In seiner allerschlimmsten Phase, vor etwa zwei Jahren, war es ihm noch nicht einmal mehr möglich Musik zu machen oder überhaupt sorgenfrei das Haus zu verlassen. „Ich kam unweigerlich in eine Sackgasse, aus der es kein Entkommen gab“, resümiert er im Gespräch mit der „Krone“, „ich konnte nicht mehr arbeiten, nicht mehr auftreten, keine Songs schreiben. Seit ich zehn Jahre alt bin besteht jeder einzelne meiner Tage aus Musik. Dieser Rückfall war gewaltig.“ Nicht zuletzt seiner ebenfalls gegen mentale Probleme ankämpfenden Freundin und dem nötigen selbstverordneten Abstand zur Musik war es schlussendlich zu verdanken, dass Odell doch noch in die Spur fand und mit „monsters“ nun sein viertes und ganz klar persönlichstes Album vorlegt.

Musikalische Radikalkur
Wer nun erneut bekömmlichen Piano-Pop erwartet, wie man es von seinen Hit-Singles „Another Love“ oder „Real Love“ aus der Vergangenheit gewohnt ist, wird sich wundern. Mit der persönlichen Veränderung ging bei Odell auch eine musikalische einher. „monsters“ umfasst nicht nur 16 Songs, sondern stellt sich inhaltlich auch bewusst gegen all das, was Odell einst auf Platz eins der englischen Albumcharts und in die Herzen seiner vorwiegend weiblichen Fans katapultierte. „Künstler wie Travis Scott, Rosalia oder A$AP Rocky haben mich völlig in ihren Bann gezogen. Ich bin schon länger fasziniert davon, wie sie sich gegen die Dogmen der Musikindustrie stellen und ihre Mixtapes, Singles und Alben aufnehmen und veröffentlichen, wie sie wollen. Diese Künstler eröffnen mir eine neue Welt und bringen die ganze Industrie in ein neues Zeitalter. Derzeit ist die Popwelt fast so spannend wie in den 70er-Jahren, als sich der Prog-Rock ausbreitete.“

Die extrem persönlichen, intimen und teilweise schmerzhaften Texte, die sich durch Songs wie „numb“, „problems“ oder „fighting fire with fire“ ziehen, koalieren perfekt mit Moog-Synthesizern, elektronischen Spielereien und - wie im Fall des Songs „lockdown“ - einer klaren Hip-Hop-Kante. „Ich bin im Zeitalter der illegalen Downloads aufgewachsen und habe mir die ganzen Backkataloge von Billy Joel bis Elton John besorgt. Ich war besessen von diesen Singer/Songwritern und habe sie bewusst immer in meine Musik einfließen lassen, aber nun war der Zeitpunkt da, loszulassen. Mein letztes Album ,Jubilee Road‘ war eine Huldigung an meine Helden aus den 70er-Jahren, ,monsters‘ ist ein Tribut an die zeitgemäße Musik. Viele Künstlerinnen, die so wie ich vor etwa zehn Jahren durchgestartet sind, kleben in ihrem Genre fest und ich bin froh, dass das bei mir nicht der Fall ist. Es war längst an der Zeit, mich zu adaptieren und etwas Neues auszuprobieren.“

Harte Lehrjahre
Die Richtungsänderung verlangt vom gewohnten Odell-Fan freilich Geduld und auf Langstrecke zündet auch nicht jeder Track gleichermaßen. Doch „monsters“ darf man strenggenommen gar nicht als klassischen Baustein in der Diskografie des Briten sehen - das Werk sollte eher als therapeutischer Ausweg aus einer persönlich-bedrohlichen Krisensituation betrachtet werden. „Es ist mit Sicherheit das schwierigste und auch vielseitigste Album, das ich bislang in meinem Leben geschrieben habe. Es ist ungewohnt dunkel ausgefallen, aber dafür auch so ungefiltert wie nur möglich. Ich habe mich sehr bemüht, echt und pur zu wirken.“ Wie sehr Odell mit sich und seinen Dämonen zu kämpfen hatte, zeigen nicht nur die Songtitel, sondern auch die bewusst gesetzten Brüche oder Interludes, die sich durch die Songs ziehen. „monsters“ ist ein konzeptionelles Werk über Unsicherheit, Leiden und die mühevolle Rückkehr in eine Gesellschaft, die keine Zeit zum Durchatmen gewährt. Odell, der seit seiner Debütsingle 2012 praktisch ohne Pause über den Globus getrieben wurde, hat die Rasanz der Gegenwart auf sehr harte Art und Weise lernen müssen.

„In meinen 20ern hatte ich immer das Gefühl, mich nicht ausdrücken und keine Probleme haben zu dürfen. Gerade Männern fällt es extrem schwer, über ihre Ängste und Schwächen zu sprechen und ich war da keine Ausnahme. Wir werden mit einer sehr sonderbaren Sichtweise auf Maskulinität erzogen und können unsere Gefühle nicht ausdrücken. Daraus entstehen dann aber gesellschaftliche Probleme, weil wir alles in uns hineinfressen und nur den Frust nach außen filtern. Nicht umsonst ist die Suizidrate unter Männern in den letzten Jahren drastisch gestiegen und so viele Dinge, die auf diesem Planeten falsch laufen, wurden von Männern verursacht. Es geht immer um Stärke, aber es gibt so viele Momente, in denen man einfach keine Stärke aufbringen kann.“ Odell hat sich nach Wiedererlangen der Kreativität nicht nur persönliche Sorgen von der Seele geschrieben, sondern seine Probleme mit der gängigen Gesellschaft in Kontext gesetzt.

Kranke Welt
„Der übliche Ansatz, um mentalen Problemen auf den Grund zu gehen, ist sich an Erlebnisse und Ursachen zu erinnern, die einen verändert haben. Was Therapeuten aber oft übersehen ist die Tatsache, dass die Probleme nicht zwingend von uns Individuen ausgehen, sondern von der Welt um uns herum. Vielleicht ist ja die Welt krank und gar nicht ich selbst? Je mehr ich an ,monsters‘ arbeitete, umso mehr wurde mir das bewusst. Es liegt an jedem einzelnen von uns, Menschen mit Problemen zu helfen und füreinander da zu sein. Wir alle sind dafür verantwortlich, dass die Welt heute so ist, wie sie ist. Wenn ich all die Korruption und die Ungleichbehandlung zwischen den Geschlechtern, den Hass und die Vorverurteilungen auf Social Media und das zunehmende Fehlen einer naturverbundenen, spirituellen Richtlinie im Leben sehe, dann wird mir schlecht. Es gibt so viel zu reparieren auf dieser Welt und irgendwie wollen wir nicht damit anfangen.“

Trotz all der musikalischen Veränderungen und bleischweren Themen zeigt sich der 30-Jährige auch hoffnungsfroh und lässt mit Fortdauer des Albums eine Verbesserung der Gemütslage erkennen. Von der plötzlichen Ohnmacht in „numb“ über das mühsame und schwere Zurückfinden ins Leben bis hin zu den Momenten, die Odell wieder zurück zur Musik brachten, reicht der üppige Erzählstrang. Von der absoluten Hoffnungslosigkeit zurück in ein Licht, das zwar nicht glänzt, aber zumindest hell schimmert. „Wenn es etwas Positives aus dieser harschen Zeit mitzunehmen gibt, dann die Tatsache, dass ich merkte, wie viele Menschen mir helfen wollten und für mich da waren. Sie haben sich meine Geschichten angehört, wenn ich etwas loswerden wollte und mir gleichzeitig ihre erzählt. Ich wollte anfangs nicht viel Kontakt, hatte dann aber auch lange einen Mangel an Nähe zu anderen Menschen. Ich bin sehr froh, dass sich das jetzt wieder deutlich gebessert hat.“

Erst einmal an sich selbst denken
Ob sich der deutlich verbesserte Gesundheitszustand Odells dauerhaft halten lässt, lässt sich nicht voraussagen, aber der Künstler hat wichtige Lehren aus den letzten Jahren gezogen. „Ich habe mit Yoga, Meditationen und guter Ernährung begonnen. Es klingt klischeehaft, aber all das ist gut und wichtig - nur hilft es dir gar nichts, wenn du dich geistig betrügst und keine Selbstliebe verspürst. Solange du keinen Selbstwert und kein Selbstvertrauen entwickelst, werden dir keine Meditation und kein Aufstieg in die nächste Yoga-Stufe helfen.“ Mit „monsters“ wagt Tom Odell gar nicht unbedingt einen mutigen Schritt, das Album war in dieser Art und Weise schlichtweg notwendig und nicht abänderbar. Wer sich lieber den alten Odell anhört und mit den modernen Soundspielereien wenig anfängt, der muss in die Vergangenheit zurückreisen oder auf das nächste Album hoffen. Anno 2021 hat der smarte Brite jedenfalls weder Muse noch Lust, Erwartungshaltungen gerecht zu werden. Jetzt geht es um die Selbstheilung und die erfordert eine gehörige Portion Egoismus.

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