Gedämpfte Stimmung

Corona-Pandemie: Vom Abenteuer in die Erschöpfung

Österreich
15.03.2021 13:35

Am Anfang war das Abenteuer. Der Aufregung folgte Müdigkeit. Heute ist es Erschöpfung. Und es scheint: Je näher das Licht am Ende des Tunnels rückt, desto weniger sehen wir es. Ein Gespräch mit Bernhard Kittel, der seit einem Jahr die Stimmung in der Bevölkerung abfragt.

Seit einem Jahr beantworten 1500 Menschen die immer gleichen Fragen. Zu ihrer Stimmung, den Maßnahmen, der Informationslage, den gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Krise. Es sind 1500 Menschen, die die „soziodemografische Struktur der Bevölkerung gut abbilden“, erklären Wissenschafter der Uni Wien, die vor einem Jahr das „Austrian Corona Panel Project“ starteten.

Seither hat sich viel verändert, schildert Wirtschaftssoziologe Bernhard Kittel, der die Studie leitet. „Am Anfang wurde die Krise beinahe wie ein Abenteuer aufgenommen.“ Die Zustimmung den politischen Maßnahmen gegenüber war hoch (70%) - und ließ über die Zeit konstant nach. Dem Abenteuer wich die Abnützung. All das kann Kittel seinen Daten entnehmen. Und daraus könnten sich auch konkrete Handlungsvorschläge für die Krise ergeben.

Schon im Mai des Vorjahres, als sich abzeichnete, dass im Herbst eine zweite Welle hereinbrechen könnte, schlug er vor, ein Bürgerforum einzurichten. Die Idee: „Eine zufällig ausgewählte Gruppe an Menschen - repräsentative Normalbürger - soll diskutieren, wie man mit den nächsten Herausforderungen umgehen könnte“, erklärt der Wissenschafter.

Message Control und (k)ein offener Diskurs
Gehört wurde er, wie viele andere Experten, die eine aktive Beteiligung der Bevölkerung in der Pandemie-Politik forderten, nicht. Unterdessen schritt die Polarisierung in der Bevölkerung über die Monate voran. Momentan „verabschiedet sich die Solidarität schleichend“, sagt Kittel (siehe auch Grafik unten).

Doch ein Bürgerforum - das könnte man auch jetzt noch einrichten. Warum passiert das nicht? „Wenn das oberste Ziel Message Control ist, kann man einen selbstlaufenden Diskurs wohl nicht durchbringen“, sagt Kittel. Natürlich, so der Wissenschafter, bestehe das Risiko, dass der Diskurs von jenen unterlaufen wird, die ihn nicht wollen. Also instrumentalisiert wird von politischen Gegnern. Und doch: „Es ist ein Risiko, das man eingeht, aber in einer Demokratie muss man letztlich argumentieren können.“ Auch weil man sehe, „dass die jetzige Strategie nicht zieht“.

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Die Bevölkerung glaubt der Regierung immer weniger und orientiert sich zunehmend an Verschwörungstheorien.

Bernhard Kittel, Wirtschaftssoziologe

Da trotz hoher Zahlen geöffnet wird, entstehe das Gefühl, dass die Lage nicht mehr unter Kontrolle sei, sagt Kittel. Denn heute erachten nur noch 16% die Maßnahmen für effektiv.

Nur wenige glauben an einen normalen Sommer
Die Ermüdung trübt zudem den Blick nach vorne: Rund die Hälfte der Panel-Befragten gab im Februar 2021 an, zukünftig gleichbleibende Lebensumstände zu erwarten. Aber: Jene, die eine Veränderung erwarten, sind eher pessimistisch (32%) als optimistisch (17%) eingestellt.

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Mir persönlich fehlt das Bemühen um einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs und das Anhören verschiedener Perspektiven.

Bernhard Kittel, Wirtschaftssoziologe

„Eigentlich sind wir ja in einer Situation, in der wir optimistischer werden könnten“, sagt Kittel. „Wir haben eine gute Testinfrastruktur, und es wird geimpft, heißt, wir rücken dem Ende der Krise immer näher.“ Auch die Regierung spricht immer wieder von Normalität im Sommer. Das scheint nur niemand mehr zu glauben.

Denn während im April 2020 noch 66 Prozent der Befragten der Meinung waren, dass die Krise rasch überstanden sein würde, glaubten Mitte Februar 2021 neun von zehn Österreichern (89%), dass die Pandemie noch länger als sechs Monate dauern wird. Jene, die das glauben, sind im Übrigen auch tendenziell unzufriedener mit der Regierungsarbeit.

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Die Gesellschaft wird nicht daran zerbrechen, aber bei Einzelnen nehmen die psychischen Probleme offensichtlich stark zu.

Bernhard Kittel, Wirtschaftssoziologe

Umgekehrt: Wer optimistischer ist, ist etwas zufriedener. „Die Regierung täte gut daran, einen Lichtblick zu bieten und mit konstruktiver Arbeit zu überzeugen. Das viel zitierte ,Licht am Ende des Tunnels‘ und mögliche Lockerungen von Maßnahmen sollten jedoch glaubhaft sein, denn falsche Versprechungen helfen der Bevölkerung nicht weiter“, schließen die Wissenschafter aus den Befragungen.

Anna Haselwanter
Anna Haselwanter
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