Album „Atlantis“

Kreisky: Artifizieller Pop gegen das Kopfweh

Musik
21.01.2021 06:00

Ein neues Album von Kreisky pendelt für gewöhnlich immer zwischen Literaturnobelpreiskandidat und verquerer Alltagskunst. Auf „Atlantis“ kümmern sich Franz Wenzl und Co. um lebensnahe Themen und nostalgische Gefühle ohne Verklärung und Kitsch. Wenzl und Schlagzeuger Klaus Mitter lassen im Interview mit der „Krone“ tiefer in das ambitionierte Werk blicken.

(Bild: kmm)

Atlantis, dieses mythische und zauberhafte Inselreich jenseits der Säulen des Herakles, sei vor Abertausenden von Jahren infolge einer Naturkatastrophe innerhalb eines einzigen Tages und einer unglückseligen Nacht untergegangen, sagt es die Legende des griechischen Philosophen Platon. Atlantis ist für viele Menschen ein Paradies längst vergangener Tage. Ein Sehnsuchtsort, der als Endziel für den dringend nötigen Eskapismus aus der harschen Alltagsrealität dient. Ein Garten Eden für die Tagträumer und illuminierten Nachtschwärmer. Oder aber ein Erfolgsprodukt im musikalischen Kanon. Schlagerqueen Andrea Berg parkte ihr „Atlantis“ vor mittlerweile acht Jahren auf Platz eins der Charts in allen deutschsprachigen Ländern. Ein derart fulminantes Durchstarten darf man sich von den einheimischen Schräg-Rockern Kreisky zwar nicht erwarten, aber in einer fairen Welt abseits des Easy Listenings und der aus der Retorte produzierten Kommerzsongs im handgestoppten Drei-Minuten-Takt, würden Adrian Wenzl und Co. weitaus heller aus dem Äther erstrahlen, als sie es seit mittlerweile gut 15 Jahren tun.

Ummantelte Songs
Kreisky haben ihr „Atlantis“, das mittlerweile auch schon sechste Album der umtriebigen Vielarbeiter, weder mit oberflächlichen Kokosnusspalmen, noch mit historischen Botschaften bestückt. Es geht um die verlorene Jugend, um Missverständnisse, um Nachbarschaft, um Adoleszenz, um Neid und Vernaderung, um Veränderungen im Leben, die österreichische Volksseele und jugendliche Ideale. All das wie gewohnt von Wenzl in Metaphern und Codes zersetzt, die dieses Mal durchdringlicher und fassbarer erscheinen als auf dem direkten Vorgänger „Blitz“ vor drei Jahren. „Wir haben normalerweise immer eine Grundidee für ein Album und schreiben dann die Songs dorthin“, erklärt Schlagzeuger Klaus Mitter im „Krone“-Interview, „dieses Mal war das umgekehrt. Da standen die Songs alle für sich selbst und wir mussten sie mit einem Titel ummanteln. Das verschollene Ideal hat dafür gut gepasst. Wenn man älter wird, ordnet man seine Jugend anders ein. Mit 40 beginnt man zu katalogisieren und dem vergangenen Teil seines Lebens nachzuspüren.“

Mehr denn je scheint sich der profunde Texter Wenzl seiner eigenen Gewohnheiten entzogen zu haben und trifft mit seinen pointierten und dann doch wieder allumfassenden Texten punktgenau ins Mark. So geht es in der flotten und für Kreisky ungewohnt eingängigen Single „ADHS“ natürlich nicht um die Krankheit an sich, sondern um die Komik aus dem Prinzip der Mode-Ferndiagnose selbsternannter Experten, die sich zunehmend in allen Bereichen des Lebens tummeln. In diversen Onlineforen mäandern die Kommentare zum Song von „feiner Ironie“ bis zu „Verachtung eines ernsten Themas“. „Wir werden als Künstler wohl noch eine bestimmte Thematik in der Populärkultur auf unsere Fasson hintrimmen dürfen. Wer das nicht verstehen will, der soll es halt nicht verstehen. ADHS wird hier als Klammer und Versuchsanordnung verwendet. Es ist eine Metapher für die zunehmende Kommunikationslosigkeit, die zwischen den Menschen herrscht.“ Eine Ferndiagnose gegen das Nachbarskind ist eben leichter gestellt, als sich intensiv mit dem wahren Problem zu befassen.

Österreichisches Gefälle
Kreisky sind auf „Atlantis“ oft ungemein zugänglich, würzen ihren Sound dann aber auch wieder mit unerwarteten Jazz-Anleihen, wie im kongenial betitelten „Kilometerweit Weizen“, das sich mit der hierzulande bekannten Problematik der Engstirnigkeit und Angst im ländlichen Raum befasst - freilich, ohne belehrend oder moralgesäuert zu sein. „Wir alle in der Band kommen ursprünglich vom Land und wollten in die Stadt. Dort muss man sich als Mensch vom Land seinen Platz suchen - an dieser Grundkonstellation hat sich nie etwas geändert. In Österreich ist das Stadt-/Landgefälle aber so extrem wie weltweit fast nirgends. Wo sonst beherbergt eine Großstadt knapp ein Viertel aller Einwohner? Es ist geradezu bizarr“, erklärt Mitter, „zudem ist Österreich nicht flach, sondern schroff und teilweise sehr abgelegen. Das macht mitunter auch einen großen Unterschied zwischen Wien und dem Rest des Landes aus. Sänger Wenzl vergleicht die Lage literarisch: “Das hat was von Thomas Bernhard. Der hatte eine Wohnung in Ohlsdorf und in Wien und hat es nach jeweils zwei Wochen nirgends mehr ausgehalten. Ich hingegen halte es überall gut aus.“

“Lonely Planet“ dreht sich um eine jugendliche Interrailreise mit all den Schönheiten und Schwierigkeiten, die damit einhergehen und in “Abfahrt Slalom Super G“ nimmt sich die Band wieder ihres wintersportlichen Lieblingsthemas an, das sich wie ein imaginärer roter Faden durch die letzten Alben zieht, sich aber freilich nie direkt auf das wedlerische Vergnügen beruft. “Das Album haben wir 2019 fertiggeschrieben und im Februar 2020 komplett fertiggemischt gehabt, aber trotzdem ist das eigentlich eine Corona-Nummer“, lacht Wenzl, „es geht um einen Typ, der am Krankenbett gefesselt ist und sich auf der Suche nach Trost den Schnee und das Skifahren vorstellt.“ Dass der Link zur Pandemie kommen muss, obwohl „Atlantis“ schon vorher fertig war, ist Mitter klar. „Man sieht jetzt alles durch die pandemische Brille und wenn einzelne Reizwörter auftauchen, dann wird man hellhörig. Da geht es mir nicht anders. Die Platte wird sicher politischer gelesen, weil die politische Situation da draußen allgemein aufgeheizter ist als vor 20 Jahren. Natürlich war Schwarz/Blau damals ein heißes Thema, aber Flüchtlinge, Klima oder die Pandemie sind so virulent, dass man sie sich selbst andauernd und unbewusst abruft.“

Ehrliche Kommunikation
Alltägliche Erlebnisse vermischt mit Erinnerungen und Sehnsüchten, großteils fiktiv und ganz sanft autobiografisch - daraus ist „Atlantis“ in nur acht Songs geschnitzt, die aber niemals langweilig werden oder unterfordern. Es würde der Identität dieser mannigfaltigen Band nämlich nicht gerecht werden, würde man die Botschaften und Inhalte mit dem Stempel aufdrücken. „Eine Kunstproduktion soll wie ehrliche Kommunikation funktionieren“, präzisiert Wenzl, „wir erzählen etwas Interessantes und machen bewusst das, was uns gefällt. Verwässertes von Chartproduktionen gibt es zuhauf, davon kriege ich Kopfweh. Alles ist so fertigproduziert, dass es mich total fertig macht.“ Mitter sieht das Geheimnis der Band in ihrem steten Drang, nach Neuem zu suchen. „Alles andere wäre Betrug an die Hörer und uns selbst. Unterschiedliche Meinungen werden so lange ausdiskutiert, bis der Song gewinnt. Wir haben immer den Kompromiss gescheut, dass der eine oder andere mehr Raum für seine Gags auf Kosten des Endprodukts kriegt. Wir wissen schon, dass uns nicht jedes Mal etwas Supertolles einfällt, aber wir fordern uns immer gewaltig.“ Den bandtypischen Grant haben sich Kreisky auf „Atlantis" erhalten, wenn auch subtiler. Und selten klang eine nostalgische Rückbesinnung so wenig verklärt wie auf diesem Werk.

Livekonzerte
Aufgrund der Corona-Situation sind die geplanten Livekonzerte unsicher, aber angedacht wären Kreisky-Shows am 18. März im Spielboden Dornbirn, am 19. März in der ARGE Salzburg, am 20. März im Linzer Posthof, am 13. April im Grazer Dom im Berg und am 14. April im Wiener Rabenhof. Weitere Infos und Tickets erhalten Sie unter www.kreisky.net.

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