Interview-Serie

„Corona ist definitiv ein Gamechanger“

Vorarlberg
16.12.2020 11:55

In seiner Interviewreihe „Das alte Tier“ spricht der Autor Robert Schneider mit ganz unterschiedlichen Menschen über „Corona“. Sein Gesprächspartnerin dieser Woche ist „Krone Vorarlberg“-Chefredakteur Emanuel Walser.

Herr Walser, Hand aufs Herz: Wurde in der Corona-Berichterstattung Druck auf Sie als Journalist ausgeübt?

Nein. Es gab nicht einmal ansatzweise einen Druck. Ungewöhnlich war allerdings die monothematische Lage an sich und der Umstand, dass die Krisenkommunikation von Anfang an sehr zentral gesteuert wurde.

Was heißt „zentral gesteuert“?

Egal, um welches aktuelle politische Thema es sich handelt, in der Regel erhalten Sie binnen kürzester Zeit etliche Meinungen dazu - sei es von der Regierung, der Opposition, Interessensgruppen, etc.. Bei Corona war das insbesondere am Angang nicht der Fall, es gab keine Zwischenrufe. Einfach deshalb, weil sich niemand in der Materie auskannte. Das war völlig neu. Und das war auch gut so: Corona war in den ersten Wochen und Monaten kein Politikum. Auch weil die politisch Verantwortlichen das gemacht haben, was jeder vernünftige Mensch in einer Situation absoluter Überforderung tun würde: Sie haben sich auf den Rat jener verlassen, die sich schon von Berufs wegen mit der Thematik befassen. Vernunft und Solidarität - diese Kombination hat sehr gut funktioniert. Leider hat man sich davon mehr und mehr verabschiedet. Das war der Kardinalfehler.

Wie haben Sie sich als Medienschaffender informiert?

Wie ich es immer mache. Ich zog diverse Medien, speziell die deutschen Qualitätsformate, heran. Viel Print, kaum TV. Es gab sehr wohl eine Vielfalt an Informationen, eine unüberschaubar große sogar. Den Medien wird ja vorgeworfen, sie hätten lediglich die Position der Regierungen vertreten. Das ist vollkommener Blödsinn. Das Problem, das ich sehe, war ein anderes: Es hat zu diesem sehr komplexen Sachverhalt keine echte Diskussion der konstruktiven Kräfte stattgefunden. Die konstruktiven Kräfte waren ja da - nur hat es die Politik nur unzureichend verstanden, diese zu Partnern zu machen.

Durften oder dürfen Sie sich Gefühle erlauben?

Gefühle, immer. Wie sich jeder Pfleger im Krankenhaus, jeder Ärztin, jeder, der mit Menschen zu tun hat, Gefühle erlauben darf. Ich versuche allerdings, meine eigene Befindlichkeit nicht zum Gegenstand meiner Arbeit zu machen. Denn eines wurde schnell klar: Corona legt die persönlichen Befindlichkeiten in radikaler Weise bloß. Jeder Mensch war und ist von der Pandemie in irgendeiner Form betroffen - und jeder reagiert anders darauf. Das Spektrum reicht vom Veranstalter, der praktisch vor dem Aus steht, aber dennoch optimistisch in die Zukunft blickt, bis zu hin zu jemandem, der halt nicht mehr in seinen Kegelverein darf und zum sprichwörtlichen Aluhutträger wird. Corona war und ist für viele ein Ventil, ihren ungeklärten Konflikten, ihren persönlichen Problemen freien Lauf zu lassen. Aber diese Konflikte, diese Probleme waren schon lange vor Corona dar. Krisen haben es an sich, Defizite - systemische wie persönliche - an die Oberfläche zu bringen.

Von welchem österreichischen Politiker würden Sie gerne wissen, wie er wirklich über Corona denkt?

Ihre Frage suggeriert, dass sich die Politiker nicht aufrichtig äußern - das würde ich so nie behaupten. Wenn ich jemanden befragen dürfte, dann Werner Kogler, der ja die Maßnahmen mittragen musste. Er hat ganz viele Rollen eingenommen, war mal der große Mahner, mal der große Schweiger. Man hat ihm irgendwie angemerkt, dass er innerlich zerrissen ist, dass er zweifelt. Ich fand das übrigens nicht unsympathisch.

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Vernunft und Solidarität – diese Kombination hat sehr gut funktioniert. Leider hat man sich davon mehr und mehr verabschiedet.

Krone Vorarlberg-Chefredakteur Emanuel WALSER

Der Begriff der Freiheit wurde in diesem Jahr diskutiert wie noch nie zuvor. Wie definieren Sie Freiheit?

Diese Form der Freiheitsdiskussion empfinde ich als Armutszeugnis unserer Gesellschaft. Sie läuft ja meist nach dem Motto ab, dass mir niemand zu sagen hat, was ich tun darf und was nicht. Ich finde es wichtig, dass Freiheit mit Verantwortung verbunden ist, dass es immer auch die Freiheit der Anderen ist. Und Freiheit ohne Solidarität und Toleranz ist letztlich nur das Recht des Stärkeren. Im Übrigen gibt es keine echte Freiheit ohne Grenzen, ohne einen geordneten, überschaubaren Rahmen. Alles andere wären nur Schritte ins Nichts, noch dazu mit verbunden Augen.

In welcher Welt werden wir nach Corona leben?

Corona ist definitiv ein Gamechanger. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass diese Krise den Aufstieg Chinas zur Hegemonialmacht extrem beschleunigen wird - die großen Würfe im Bereich der Spitzentechnologie werden zunehmend aus China kommen, nicht mehr aus dem Silicon Valley und schon gar nicht aus Europa. Europa wird gar nicht umhin kommen, sich neu zu erfinden. Ziel kann eigentlich nur sein, in Sachen Energiewende sowohl strukturell wie auch technologisch die Standards zu setzen. Das wird ein Kraftakt, der alle Bereiche unseres Lebens umfassen wird und letztlich auch eine Verabschiedung vom vertikalen Wachstumsbegriff bedeutet. Ich habe die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben, dass Corona diesen Prozess beschleunigen wird.

Können Sie das präzisieren?

Die Pandemie hat uns doch allen vor Augen geführt, auf welch dünnem Eis wir uns wie bewegen - und zwar viel stärker, als das der Klimawandel bisher tat. Jeder hat irgendwie das Gefühl, dass sich etwas ändern muss. Das Signal zum Aufbruch ist ertönt, nur der Weg steht noch nicht fest. Fatal wäre es, sich hinter der trügerischen Sicherheit nationaler Grenzen zu verschanzen. Ich persönlich glaube ganz stark an ein Europa der Regionen. Wir sprechen immer von globalen Herausforderungen und übersehen dabei, dass die echten Lösungen im Kleinen liegen. Transformationsprozesse sind dann am besten bewältigbar, wenn man sie selber gestalten kann. Ganz wichtig in diesem Zusammenhang ist die Fähigkeit zur Integration. Wie gelingt es einer Gesellschaft, Neues zu absorbieren, ohne Bewährtes zu zerstören und ohne zu viele Verlierer produzieren? Gerade aufgrund seiner Diversität, seiner Kleinteiligkeit und seiner vergleichsweise guten Sozialsysteme hätte Europa eigentlich die besten Voraussetzungen für einen echten Aufbruch. Dafür müssten aber gerade jetzt die integrativen und kreativen Kräfte gestärkt werden.

Und wie?

Meiner Meinung nach hätte man bereits bei den zig Milliarden an Unterstützungsleistungen stärker auf die Steuerungseffekte achten müssen. Jetzt geht es vor allem um die Frage, wer nach der Krise die Zeche zahlt. Die Antwort darauf wird auch zeigen, ob wir etwas aus diesem Jahr gelernt haben.

Robert Schneider

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