Große Empörung

Familie wird wegen autistischen Kindes delogiert

Wien
04.11.2010 14:31
In Wien erhitzt der Fall einer sechsköpfigen Familie mit einem autistischen Kind, die nach einem mehrjährigen Rechtsstreit mit der Stadt nun aus ihrer Gemeindewohnung delogiert wird, die Gemüter. Der Familie war der Mietvertrag gerichtlich gekündigt worden, nachdem sich Nachbarn über den 16 Jahre alten Sohn beschwert und u.a. von tätlichen Angriffen berichtet hatten. Die Rechtsvertretung der Familie spricht in der Causa von Verfassungswidrigkeit, vonseiten der Stadt Wien hieß es gegenüber krone.at hingegen, die Familie habe sich "unkooperativ" verhalten.

Die türkisch-stämmige Familie lebte bereits mehrere Jahre in einer Gemeindewohnung, im Jahr 2000 hat sie bei der städtischen Gemeindebauverwaltung "Wiener Wohnen" um eine größere angesucht. 2006 wurde ihr schließlich der Bezug einer Wohnung in einer Gemeindebau- Reihenhaus-Siedlung in der Donaustadt angeboten. Die Familie zog um - noch im selben Jahr gab es erste Beschwerden über das Verhalten des Sohnes bzw. den Umgang der Familie mit dem Kind.

Nachbarinnen beschwerten sich

Laut Radio Ö1, das über das Schicksal der Familie am Donnerstag in einer Reportage berichtete (siehe Infobox), war die Siedlung ursprünglich für Familien mit Kindern bestimmt, tatsächlich wohnen dort aber mehrheitlich Pensionisten. Während die Vis- à-vis- Nachbarn laut eigenen Angaben keinerlei Probleme mit dem 16-jährigen Bursch haben, meldeten sich u.a. zwei ältere Nachbarinnen, die Wand an Wand mit der Familie wohnen, mehrmals bei den Behörden. Neben "stundenlangen Schreianfällen" und Hämmern gegen Wände und Türen habe es auch Beschwerden über tätliche Angriffe durch den behinderte Buben auf andere Siedlungsbewohner gegeben.

Laut einem Sprecher von Wohnbaustadtrat Michael Ludwig (SP) wurde zunächst die Wohnbauten-Betreuung eingeschaltet. Sämtliche Mediationsversuche seien aber an der Familie gescheitert, die nicht zu Gesprächen bereit gewesen sei, hieß es auf krone.at- Anfrage. Das Jugendamt wurde im Dezember 2006 aktiv - ebenfalls aufgrund von Beschwerden - und bot der Familie einen Betreuungsplatz in einem Heim in Oberösterreich an, das für den autistischen Buben "optimal geeignet" gewesen wäre, wie eine MA11-Sprecherin gegenüber krone.at schilderte. Die Mutter habe das jedoch abgelehnt. Als Begründung gab die Familie laut Ö1 an, der Bub sei bereits einmal in einem Heim gewesen, dort sei es ihm aber schlechter gegangen als zu Hause bei seinen Eltern und den drei Geschwistern, darunter zwei neun- und 14-jährige Schwestern. 

Dreijähriger Instanzenzug endete vor OGH

Im Juli 2007 leitete Wiener Wohnen schließlich die gerichtliche Kündigung des Mietvertrages ein. Das Bezirksgericht erkannte in erster Instanz, dass die Familie gegen die mietvertraglichen Bedingungen verstößt (u.a. wegen des Lärmes und der "Gefährdung anderer Mieter"), und gab der Kündigung statt. Die Familie legte Berufung ein, der Instanzenzug endete schließlich im September des heurigen Jahres vor dem Obersten Gerichtshof, der den Rekurs zurückwies. Der Delogierungstermin für die Familie wurde zuvor schon vom Bezirkgsgericht für Mitte November 2010 festgelegt.

Laut dem Ö1-Bericht hat die Familie keine geeignete und zudem auch entsprechend leistbare Wohnung abseits der Gemeindebauten finden können. Gegenüber der "Krone" meinte die Mutter des 16-jährigen Buben am Donnerstag: "Wiener Wohnen wusste, dass mein Bub Autist ist. Das war doch der Grund, warum man uns dieses Haus zugeteilt hat." Die Anwältin der Familie will nun vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen, weil die heimische Justiz mit dem Urteil ihrer Ansicht nach gegen Verfassung, Kinderrechte und die Behindertenkonvention verstößt. Auch werde nicht berücksichtigt, dass der für sein Alter recht kräftig gebaute Bursch mittlerweile tagsüber in einer Lehrwerkstätte untergebracht ist und auch bessere Medikamente und Therapien erhalte. 

Auf die Behörden wirft die Darstellung des Falles aus Sicht der Familie kein gutes Licht: Die 14-jährige Tochter berichtete gegenüber Ö1, dass ein Vertreter des Wiener Jugendamtes gemeint habe, dass die Kinder nach der Delogierung in ein Heim kommen würden und die Eltern ja in einer Obdachloseneinrichtung einen Platz finden könnten. "Das staatliche System hat schlichtweg versagt. Man lässt eine Familie mit einem behinderten Kind im Stich", klagt Ruth Renee Kurz von der Österreichischen Autistenhilfe.

Heftige Kritik an Wiener Behörden

Die mediale Offensive der Familie sorgte am Donnerstag für heftige Kritik an den Wiener Behörden. Franz-Joseph Huainigg, Behindertensprecher der ÖVP, zeigte sich "bestürzt, dass so etwas in Wien möglich ist". Die nicht amtsführende ÖVP-Stadträtin Isabella Leeb bezeichnete die Delogierung als "unsozial und inhuman". 

Lebenshilfe-Präsident Germain Weber sprach von einem "groben Verstoß gegen die Menschenrechte". Autismus oder eine andere Behinderung sei kein Grund, ein Mietverhältnis zu verweigern und stattdessen eine "teure Heimlösung" anzustreben. "Dem Wohnen im Familienbund ist Vorrang zu geben", so Weber. "Die Grünen haben bereits Anfang Sommer auf die Probleme dieser Familie aufmerksam gemacht", betonte die Grüne Gemeinderätin Claudia Smolik. 

Jetzt "ressortübergreifende" Suche nach Lösung

Aus dem Büro von Wohnbaustadtrat Ludwig hieß es dann am Donnerstagnachmittag gegenüber krone.at, man arbeite jetzt "ressortübergreifend" an dem Fall, um zu verhindern, dass die Familie tatsächlich auf der Straße steht. Eine Gemeindewohnung - u.a. forderte Huainigg die Stadt auf, der Familie eine lärmgedämmte Wohnung zur Verfügung zu stellen - könne es aufgrund des abgeschlossenen Gerichtsverfahrens aber nicht mehr geben. 

Am Donnerstag hätten aber bereits Mitarbeiter des Fonds Soziales Wien, der u.a. betreutes Wohnen organisiert, die Familie besucht. Gemeinsam werde man sowohl für die Familie als auch den autistischen Bursch, der eine entsprechende medizinische Betreuung bekommen müsse, eine geeignete Lösung finden, hieß es.

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