Eingefleischte Gothic-Fans ahnten bereits, dass ihnen tragende Veränderungen ins Haus stehen, seit die Spieleschmiede JoWooD und die Gothic-Schöpfer von Piranha Bytes getrennter Wege gehen. Daher beauftragte der österreichische Publisher die Entwickler von Spellbound mit der Fortsetzung des Erfolgstitels. Dabei entstand viel Neues und auch sehr Gutes. Dennoch rückt das aktuelle Spielkonzept einen gewaltigen Schritt vom klassischen RPG ab.
Der namenlose Held zieht auch in "Arcania" gegen böse und dunkle Mächte ins Feld, getrieben vom Rachedurst nach der Ermordung seiner Zukünftigen. Gerade erst hatte ihr Vaters der Vermählung seinen Segen gegeben, nachdem man sich mittels einiger Tutorial-Quests als würdig erwiesen hatte, schon brennt das Dorf des Hirtenjungen, die holde Maid liegt tot im Staub, die Bösewichte sind verduftet und sein Herz schreit nach Vergeltung. Also macht man sich von dem kleinen Eiland Feyshir auf zur Hauptinsel Argaan, auf der Suche nach der Mörderbande…
"Open World", aber mit Level-Struktur
So weit so gut. Doch wer nun eine offene Spielwelt erwartet, in der es sich nach Herzenslust toben und tollen lässt, in welcher es in jeder Höhle tückische Geheimnisse zu lüften oder reiche Beute zu machen gilt und in der man sich frei wie ein Vogel fühlt – gewaltiger Irrtum! Eigentlich will "Arcania" nur das Gefühl einer Open World vermitteln, tatsächlich bewegt man sich durch levelartige Abschnitte. Ist ein Abschnitt beendet, muss man niemals wieder dorthin zurückkehren.
Innerhalb dieser Abschnitte gilt es stets das gut gelungene Hauptquest voranzutreiben, das recht spannend erzählt und mit zahlreichen Wendungen verfeinert wurde. Auch mehrere Lösungswege sind möglich, wirken sich aber nicht auf die Story aus. Dazu kommen noch – verstärkt zu Spielbeginn – einige Nebenquests, die allerdings immer nach demselben Muster gestrickt sind: Suchen, Finden, Bringen und zwischendurch ein bisschen Tratschen. Leider haben diese Aufgaben und deren Bewältigung keinerlei Auswirkung auf den Spielverlauf und könnten daher völlig vernachlässigt bleiben.
Enorme Distanzen per pedes zu bewältigen
Der eifrige "Quester" wird mit Erfahrungspunkten belohnt, die sich dann im Fähigkeiten-Baum geschickt investieren lassen. Dieser ist jedoch recht dürftig gestaltet. Lediglich an fünf Eigenschaften lässt sich feilen, dafür aber merklich. Apropos: Auch der Zauberfertigkeiten sind lediglich drei; entweder es blitzt, brennt oder friert.
Eine Fähigkeit scheint der Held allerdings bereits von Haus aus mitzubringen: Laufstärke! Denn die meisten Distanzen müssen per pedes bewältigt werden und das Transporter-System verbindet stets lediglich zwei Punkte innerhalb eines Spielabschnitts.
Spannendes Klingen-Kreuzen mittels intuitiven Kampfsystems
Was jedoch an Spieltiefe verloren ging, wurde mit dem Kampfsystem wieder zum Teil wettgemacht. Gerade im Vergleich zu seinen Vorgängern geht hier alles sehr flüssig von der Klinge, sowohl im Kampf mit allerlei ein- oder beidhändigem Werkzeug als auch aus der Distanz mittels Bogen oder Armbrust. Hier glänzt die Steuerung mit dem Controller, der eine recht intuitive Bedienung und einen flotten Wechsel zwischen klassischen und magischen Attacken zulässt. Kleiner Tipp am Rande: Nahkämpfer sind - rein vom Zeitaufwand - einfach flotter unterwegs.
Zwar klappt das "Trio-Infernale" aus Blitz-Lähmungszauber, feste Draufhauen und Hechtrolle beinahe zu gut, viel Laune macht es aber in jedem Fall. Der Schwierigkeitsgrad ist allerdings eher gering einzustufen, zumal man sich auch während des Schlachtens gesundfuttern, jederzeit frische Heiltränke brauen oder neuen Stahl schmieden kann.
Imposante Kulisse verliert bei Xbox-Version an Glanz
Wer sich mittlerweile wundert, ob nicht etwa die grafische Ausführung Pluspunkte verdient hätte – auch hier liegt die Antwort zwischen Sein und Nichtsein verborgen: Das Design der Kulisse wirkt absolut positiv und verdient ein dickes Lob: Etwa der Wind, der – allerdings lautlos – durch die Baumkronen weht und diese sanft zum Wiegen bringt, Wetterumschwünge mit leichtem bis prasselndem Regen, oder die Strand- und Küstenimpressionen samt Glitzern der Sonne in den Wellen. All das macht einen aufwendigen und gelungenen Eindruck.
Leider kommt dieser aber nur am PC - und auch hier nur bei entsprechender Leistungsfähigkeit des Rechners - voll zur Geltung. Die Konsolen-Version ist dagegen detailärmer, häufig ruckelt und zuckelt das Bild, Objekte verblassen und verschwinden im engen Blickwinkel. Das tut zwar dem Spielvergnügen beim Kreuzen der Schwerter keinen Abbruch, erfüllt aber schlichtweg nicht den Anspruch zeitgemäßer Konsolenspiele dieser Kategorie.
Fazit: Rollenspielelemente sind vorhanden, das action-orientierte Kampfsystem macht Spaß, aber "Arcania – Gothic 4" kann letztendlich keine der beiden Spieltyp-Schubladen füllen. Die vermeintlich offene Spielwelt, die mit imposanten Schauplätzen aufwartet, entpuppt sich als Levelkulisse, die zu erforschen – abseits von Haupt- und Nebenquests - wenig Sinn macht. Hier wird einiges Potential verschenkt. Wirkliche Fortschritte im Vergleich zu "Gothic 3" sind dagegen im Charakterdesign gelungen: Mienenspiel und Figuren wirken lebendig, sprechen flüssig und überraschen durch teils erfrischend-derbe Ausdrucksweisen. Wer sich allerdings nur im RPG oder nur im Action-Adventure zuhause fühlt, muss schon einige Kompromissbereitschaft aufbringen.
Plattform: Xbox (getestet), PS3 (voraussichtlich ab März 2011), PC
Publisher: JoWooD
krone.at-Wertung: 6/10
von Fritz Schneeberger
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