Grazer Oper:

Tief berührender Saisonstart mit „Die Passagierin“

Steiermark
19.09.2020 15:42

Es ist keine leichte Kost, die das Opernhaus zum Saisonauftakt serviert. Weinbergs „Die Passagierin“, 1968 geschrieben, erst 2010 uraufgeführt, hat den nicht in Worte zu fassenden Grauen der Shoa zum Thema. Nadja Loschky, Roland Kluttig, Ensemble und Musikern gelingt dennoch eine eindrückliche Erzählung.

So wenig wie man die Gräueltaten und den menschenverachtenden Zynismus der NS-Vernichtungslager in Worte fassen kann, so wenig gibt es auf der Bühne realistische Bilder dafür. Das weiß auch Loschky und schafft mit Etienne Pluss (Bühne) und Irina Speckelmeyer (Kostüme) beklemmende, abstrakte Erinnerungsräume, in denen sich die zeitlichen Ebenen vermischen. Auf einem Schiff treffen Ende der 1950er-Jahre die ehemalige SS-Aufseherin Lisa und die jüdische Lagerinsassin Marta aufeinander. Die Begegnung löst eine Flut von Erinnerungen aus.

Roman von Zofia Posmysz als Vorlage
Die faszinierende Vorlage für Alexander Medwedews Libretto hat die Auschwitz-Überlebende Zofia Posmysz geschrieben. Dass sie aus der Sicht einer Täterin erzählt, hat ihr viel Unverständnis von Opferseite eingebracht.

Kraft der Verdrängung
Für Loschky ist diese Ambivalenz eine ideale Basis, hier kann sie - nicht zuletzt durch Einführung einer Lisa von 2020 (Isabella Albrecht) - die Kraft der Verdrängung, aber auch die des Erinnerns verdeutlichen. Das gelingt ihr in vielen starken, nachhallenden Bildern, einzig bei der grellen Überzeichnung der NS-Schergen (Ivan Oreščanin, David McShane, Martin Fournier, Uschi Plautz) besteht die Gefahr, ins Lächerliche und damit Verharmlosende abzugleiten.

Musikalische Einheit
Völlige Klarheit kommt hingegen aus dem Orchestergraben. Roland Kluttig schafft es mit dem groß aufspielenden Orchester, die zarten, intimen Momente aus dem Lager mit dem lockeren Swing auf dem Schiff zu einer stimmigen Einheit zu verschmelzen, der immer ein bedrohlicher, düsterer Unterton anhaftet.

Herausragende Sängerinnen
Mit Dshamilja Kaiser (Lisa) und Nadja Stefanoff (Marta) stehen zwei herausragende Sängerinnen zur Verfügung, die ihren Rollen auch darstellerisch eine ungemeine Tiefe und Differenziertheit verleihen. Beeindruckend besetzt sind die Lagerinsassinnen (u. a. mit Anna Brull, Sieglinde Feldhofer, Joanna Motulewicz); Tetiana Miyus’ Aufschrei „Vergesst uns nicht“ geht durch Mark und Bein.

Beklemmend der Tadeusz von Markus Butter, der zumindest kurz die Musik durch die Vereinnahmung der Nazis retten kann, perfekt besetzt auch Will Hartmann als Walter.

Großer Opernabend
Ein eindringlicher, 75 Jahre nach Kriegsende wichtiger Abend, der das erfüllt, was große Oper können soll: Er berührt tief.
Infos und Karten finden Sie hier.

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