„Nie frei gefühlt“

Ex-Dealer erzählt über sein Leben mit Fußfessel

Österreich
13.09.2020 08:00

Seit zehn Jahren dürfen in Österreich manche Häftlinge Teile ihrer Strafen außerhalb von Anstaltsmauern verbüßen. Mit Fußfesseln. Ein junger Mann erzählt nun in der „Krone“, wie er auf die schiefe Bahn geriet. Und über sein Leben draußen - als Gefangener.

Der junge Mann, der jetzt in einem Wiener Gastgarten sitzt und Kaffee trinkt, will nicht, dass in dem „Krone“-Bericht sein wahrer Name geschrieben wird. „Nennen Sie mich bitte Michael. Denn ich schäme mich für meine Vergangenheit; für die schlechten Dinge, die ich gemacht habe.“

„Ich war 17, als ich zu haschen begann“
Die „schlechten Dinge“, die der 26-Jährige meint - seine Straftaten, „durch die ich ganz nach unten gekommen bin“. Der Anfang? „Ich war 17, als ich meine erste Haschischzigarette rauchte. Ein Freund hatte sie mir angeboten. Ich zog ein paarmal daran, aus Neugier. Aber gleich spürte ich eine entspannende Wirkung, plötzlich bereitete mir nichts mehr Sorgen.“

Gab es arge Probleme in Ihrem Leben? „Ich machte damals gerade eine Lehre zum Systemgastronomiefachmann, meine Arbeit gefiel mir. Doch daheim war die Situation etwas schwierig. Nach der Trennung von meinem Vater ging es meiner Mutter nicht gut, finanziell und psychisch. Ich musste mich um sie und meine kleine Schwester kümmern, vielleicht fühlte ich mich dadurch ein wenig überlastet.“

„Und dann wurde ich ein Dealer“
Jedenfalls, „bald schon griff ich immer, wenn ich down war, zu der Droge. Und irgendwann brauchte ich gar keinen Anlass mehr dazu. Weil ich den High-Zustand, den das Kiffen in mir auslöste, zu lieben begann.“

Die Abhängigkeit kostete den Niederösterreicher viel Geld; Geld, das er nicht besaß, „letztlich bis zu 100 Euro pro Woche“.

Schließlich geschah es, dass er einen Dealer kennen lernte, „der die ,Ware‘ zur Hälfte des üblichen Preises anbot. In der Folge kam ich auf die Idee, größere Mengen von ihm zu kaufen.“ Um sie gewinnbringend weiterzuverchecken.

Wie er Abnehmer fand? „Wer Cannabis konsumiert, erkennt genau, wenn das wer anderer auch tut. Ich brauchte bloß abends auf die Straßen zu gehen und die Menschen, die mir begegneten, genau ansehen.“ Mit der Zeit wurde Michael zu einem Großverdiener: „In manchen Monaten blieben mir 7000 Euro.“

Wofür er diese immensen Summen ausgab? „Ich beglich damit alte Schulden. Ich mietete eine eigene kleine Wohnung an. Ich kaufte mir ein übertragenes Auto. Das war es auch schon. Am Ende blieb mir - eigentlich nichts. Denn meine eigene Sucht wurde ja auch laufend stärker. Und damit teurer.“

„Ich habe meine Chance genützt“
Im April 2018 flogen die kriminellen Geschäfte des jungen Mannes auf, er wurde festgenommen, verriet in Verhören alle seine Kunden - „sie stammten eher aus den besseren sozialen Schichten, sogar Ärzte waren darunter“. Das Urteil im Prozess: dreieinhalb Jahre Haft. „Im Gefängnis machte ich einen Entzug.“

Im August 2019 kam er in das Fußfesselprogramm: „Ich zog zu meiner Mama, der Chef einer Fast-Food-Filiale gab mir einen Job.“ Michael nützte seine Chance: „Es gelang mir mittlerweile, mich zum Restaurantmanager hochzuarbeiten.“

Was er über sein Dasein im vergangenen Jahr sonst berichtet? „Ich hielt mich penibel an die Auflagen der Justiz. Als frei habe ich mich also nie empfinden können. Aber das war schon richtig so.“ Vor wenigen Wochen wurde er bedingt entlassen.

Seine Pläne für die Zukunft? „Ich will Karriere machen; eine nette Frau finden, heiraten, eine Familie gründen - einfach ein ganz normales Leben führen. Und ich weiß fix: Ich werde niemals mehr Drogen nehmen“

Daten & Fakten
Das Fußfesselprogramm wurde im September 2010 gestartet. Mehr als 7000 Häftlinge verbrachten mittlerweile einen Teil ihrer Strafen - derzeit mit einer Begrenzung von einem Jahr, Verlängerungen auf 18 oder gar 24 Monate sind von der Justiz bereits angedacht - in Freiheit. „Und  gleichzeitig unter totaler Überwachung“, wie NEUSTART-Sprecher Andreas Zembaty betont. Die Vorgaben für die Betreffenden seien „nämlich sehr umfangreich - und streng“. Bereits im Vorfeld müssen sie einen fixen Arbeitgeber gefunden haben und über die Möglichkeit verfügen, bei einer vertrauenswürdigen Person zu wohnen.

„Und dann wird genau festgelegt, wie viel Zeit sie außerhalb ihrer Dienststelle und ihres Zuhauses verbringen dürfen. In der Regel sind es nicht mehr als ein paar wenige Stunden pro Woche - die für Arztbesuche , Treffen mit Bewährungshelfern oder Einkäufe verwendet werden sollen.“ Alkohol zu trinken und Partys zu feiern sei „natürlich verboten“.

Bei Nichteinhaltung der Regeln folge eine rasche Rückstellung hinter Gitter: „Was bislang allerdings bloß bei fünf Prozent der verurteilten Täter notwendig war.“ Und ohnehin wird Zembaty nicht müde, auf die enormen Resozialisierungserfolge des Fußfesselprogramms - durch das der Staat bislang übrigens zehn Millionen Euro einsparen konnte - zu verweisen: „Nur 1,4 Prozent der ,Klienten‘ wurden danach rückfällig.“ Also um ein Vielfaches weniger als Menschen, die bis zum Ende ihrer Strafen in Gefängnissen untergebracht blieben

Martina Prewein, Kronen Zeitung

 krone.at
krone.at
Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.



Kostenlose Spiele