ÖBB-Mega-Verlust

Kern rechnet ab und will “Absurditäten” beenden

Österreich
10.09.2010 15:30
Der neue ÖBB-Chef Christian Kern hat bei einer Pressekonferenz rund 100 Tage nach seinem Amtsantritt eine äußerst kritische Bilanz gezogen: Bei der Bundesbahn habe es schwere Managementfehler gegeben - es gebe kein Kostenbewusstsein und einen "Selbstbeschäftigungszirkus" durch interne Bürokratie. "Wir müssen die Altlasten vom Tisch schaffen und das Haus neu ordnen", gab Kern am Freitag dem Unternehmen einen Sparkurs vor. Heuer erwarten die ÖBB einen dreistelligen Millionenverlust.

Bis zum Jahr 2013 solle die Bundesbahn laut Kern eine "schwarze Null" schreiben, also aus den Verlusten kommen. Um den Kurswechsel zu schaffen, fordert der ÖBB-Boss eine neue "Leistungskultur" bei der Bahn ein. Nicht die Mitarbeiter, sondern das frühere Management wird vom neuen Bahn-Chef gerügt: Unter Verweis auf angeblich zu großen politischen oder gewerkschaftlichen Einfluss habe es kein Kosten- und Leistungsbewusstsein gegeben. Kern ortet "unterlassene Managementleistungen", das Management habe sich nicht getraut, Reformen anzupacken. Die Bahnreform 2003 habe die Strukturen aufgespaltet und die Verantwortlichkeiten zersplittert. 

2010 "signifikanter Ergebniseinbruch"
Kern präsentierte nach dem Aufsichtsrat vom Donnersstag einen Kassasturz: Die Bundesbahn befinde sich in einer ernsten Lage und sei heuer mit einem "signifikanten Ergebniseinbruch" konfrontiert. Das Halbjahresergebnis sei schlechter als erwartet ausgefallen, für das Gesamtjahr erwarten die ÖBB einen "negativen dreistelligen Millionenbetrag".

Zahlreiche Sparmaßnahmen angekündigt
Um die wirtschaftliche Lage zu verbessern und aus den roten Zahlen zu kommen, fordert Kern eine Verbesserung um 500 Millionen Euro, um die Ergebnisziele zu erreichen. Die angepeilten Maßnahmen präsentierte der Holding-Chef heute: Ein "maßvoller Lohnabschluss" soll dazu beitragen, ein Ende der betriebsbedingten Pensionierungen schon im nächsten Jahr, 100 Führungskräfte weniger innerhalb von drei Jahren und der Abbau von 1.000 Verwaltungsjobs. Die hohen externen Beratungskosten sollen deutlich reduziert werden, Ziel ist eine Halbierung bis zum Geschäftsjahr 2011. Der Einkauf werde künftig von der Holding strategisch gesteuert, um bei Beschaffungen zu sparen.

Kern will die Bundesbahnen in ein "modernes effizientes Mobilitätsunternehmen" verwandeln - was sie laut ihrem seit Juni amtierenden Chef offenbar derzeit nicht sind. Die Kostensenkungsprogramme früherer Manager seien "Papiertiger" geblieben, Kern will hingegen nun wirkliche Sparprogramme. Zuallererst müssten "Absurditäten" abgestellt werden, kündigte er an.

"Rechte Hand weiß nicht, was die linke tut"
Verantwortlich für die teuren Besonderheiten der Bundesbahn sieht Kern die schwarz-blaue Reform 2003, die zu einer extremen "Aufblähung der Verwaltung" geführt habe. "Es wurden die Kompetenzen und Verantwortlichkeiten so lange verkleinert und zersplittert, dass die rechte Hand nicht weiß, was die linke tut." Als Beispiel für die Folgen der Zersplitterung in verschiedene Teilgesellschaften nannte er eine 1.000 Quadratmeter große Rasenfläche, die von drei verschiedenen ÖBB-Organisationen bewirtschaftet werde. Konkret komme jeden Tag ein anderer ÖBB-Mitarbeiter, um ein anderes Stück der Grünfläche zu mähen. "Die permanente Selbstbeschäftigung hat dazu geführt, dass wir das Wesentliche aus den Augen verloren haben, nämlich unsere Kunden."

Das frühere Bahn-Management habe sich der Ausreden bedient, dass die Zurufe der Politik und die starke Gewerkschaft alles verhinderten. "Man hat sich vor jeder Wurstsemmelbeschaffung gefürchtet", meinte Kern - wobei er seinen direkten Vorgänger Peter Klugar ausdrücklich von der Kritik ausnahm. In der Bundesbahn gebe es bisher kein Kennzahlenmanagement, niemand wüsste, wo die Wachstumstreiber seien. Nun müsse das Unternehmen Wirtschaftlichkeit und Kundenorientierung in den Vordergrund stellen. "Die Bahn ist das Verkehrsmittel der Zukunft", zeigt sich Kern überzeugt.

Führungskräfte kommen auf den Prüfstand
Für den Kurswechsel stellt Kern nun auch die eigenen Führungskräfte auf den Prüfstand. Führungsjobs werden neu ausgeschrieben, Manager müssten sich um ihre eigenen Jobs wiederbewerben, kündigte er an. Zumindest 100 Führungskräfte und 1.000 Verwaltungsjobs, das ist jeder fünfte in der Verwaltung, will Kern innerhalb von drei Jahren in der Bahn abbauen. Die angestrebte stärkere Kundenorientierung soll durch mehr Flexibilität der Mitarbeiter erreicht werden: Von der Verwaltung sollen die Mitarbeiter zu den Bereichen Kundenservice und Markt umgelenkt werden.

Dabei hofft der SPÖ-nahe Manager auf das Verständnis von Gewerkschaft und Betriebsrat. Derzeit gebe es keinen funktionierenden internen Arbeitsmarkt, künftig soll der Widerstand gegen interne Versetzungen und Veränderungen schwinden, hofft Kern auf eine "Lockerung des informellen Versetzungsschutzes". Die rund 45.000 Mitarbeiter seien derzeit zu rund zwei Drittel "definitiv gestellt", also pragmatisiert. Das sei zwar ein "Rucksack" für das Management, trotzdem müsse mehr Flexibilität bei den Mitarbeitern auch unter diesen Bedingungen möglich sein. Betriebsbedingte Pensionierungen soll es ab nächstem Jahr keine mehr geben. Das Pensionsantrittsalter bei den ÖBB, das derzeit bei rund 52 Jahren liegt, müsse angehoben werden. Die Vorgabe von Verkehrsministerin Doris Bures (SPÖ) einer jährlichen Anhebung des Pensionsantrittsalters um ein Jahr werde heuer erfüllt werden, zeigte sich Kern optimistisch.

Rail Cargo Austria vernichtete 650 Millionen
Die ÖBB-Bilanz wird von dramatischen Entwicklungen im Güterverkehr belastet: Die Tochter Rail Cargo Austria (RCA) habe innerhalb von drei Jahren 650 Millionen Euro Eigenkapital vernichtet. Einerseits werde der Güterverkehr von den Auswirkungen der Wirtschaftskrise hart getroffen, aber die Probleme seien auch hausgemacht. In manchen Bereichen liege die Kostendeckung nur bei 30 bis 40 Prozent. Die RCA stehe an der Kippe, einige Produkte und Angebote könnten daher so nicht fortgesetzt werden, warnt Kern: "Wer die Geschäfte will, muss sie bezahlen", richtet er einen direkten Appell an die öffentliche Hand, die ja die Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene propagiert.

Besonderer Problemfall für die Rail Cargo ist die ungarische Tochter Rail Cargo Hungaria (früher MAV Cargo), die von den ÖBB im Jahr 2008 um rund 400 Millionen Euro gekauft worden war. Die ungarische Regierung habe mehrfach die Spielregeln für den Güterverkehr geändert, sprich die Tarife erhöht. Kern will nun direkt mit der ungarischen Regierung verhandeln. "Wenn die ungarische Regierung ihren Kurs nicht ändert, dann steht eine radikale Redimensionierung des Geschäfts bevor", drohte er Kürzungen an. Ein Programm mit Abfertigungen und Golden Handshakes soll dabei helfen, den Personalstand der ungarischen Güterverkehrstochter deutlich zu reduzieren.

ÖVP-Lopatka lästert wieder, SPÖ-Kräuter schäumt
Pünktlich zum Ende der Antrittspressekonferenz von Kern setzte die Regierungskoalition ihren Schlagabtausch bezüglich der ÖBB fort. Finanzstaatssekretär Reinhold Lopatka (ÖVP) ätzte einmal mehr gegen die Bundesbahnen: "Wo sind 100 Tage nach Amtsantritt von Christian Kern erste konkrete Taten? Noch sind keine Reformen durchgeführt. Ankündigungen allein reichen nicht, die Umsetzung zählt, und hier erkenne ich noch wenig", so Lopatka.

Die Replik von SPÖ-Bundesgeschäftsführer Günther Kräuter ließ nicht lange auf sich warten. Er sprach von "verantwortungslosen Tiraden" und forderte Finanzminister Josef Pröll (ÖVP) auf, "endlich die Schädigung des staatseigenen Konzerns durch seinen eigenen Staatssekretär zu stoppen". Und er geht selbst in die Offensive: "ÖVP-Hardliner und Bahn-Ruinierer Helmut Kukacka wurde zurecht nicht zum Aufsichtsrat bestellt. Seither brennen bei der ÖVP sämtliche Sicherungen wirtschaftspolitischer Vernunft durch."

BZÖ: ÖBB als "Fass ohne Boden" soll verkauft werden
Von den Grünen kam differenzierte Kritik: "ÖBB-Chef Christian Kern hat heute eine richtige Problem-Analyse der ÖBB präsentiert. Nun wird sich zeigen, ob er auch die richtigen Maßnahmen durchsetzen kann." Das BZÖ wiederum fordert, die Staatsbahn zu verkaufen. "Die ÖBB entwickeln sich immer mehr zu einem Fass ohne Boden. Daher müssen die Bundesbahnen endlich privatisiert werden", so Bündnisobmann Josef Bucher.

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