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KW 23 – die wichtigsten Neuerscheinungen der Woche

Musik
06.06.2020 06:00

Musik als Lebenselixier - besonders für das Wochenende, wo man hoffentlich auch Zeit dafür hat. Wir haben für euch wieder die besten Alben und Veröffentlichungen der Woche zusammengesammelt. Quer durch alle Genres ist hier garantiert für jeden was dabei. Viel Spaß dabei!

(Bild: kmm)

(16) - Dream Squasher
Jeder ist ersetzbar, heißt es immer so schön. Nur bei Sängern ist das auch nicht wirklich der Fall. Oder können Sie sich die Rolling Stones ohne Mick Jagger, Led Zeppelin ohne Robert Plan oder Queen ohne Freddie Mercury (ok…) vorstellen? Die US-Sludge-Metal-Institution (16) wagte diesen Schritt gar nach 29 Jahren der Existenz. Riffmeister und Gitarrenzauberer Bobby Ferry hatte offensichtlich Lust auf die Front und das insgesamt achte Album „Dream Squasher“ einfach selbst eingesungen und Kollege Cris Jerue auf die Ersatzbank verbannt. Das Album selbst ist einmal mehr ein Mahlstrom an negativer Energie mit bleischweren Riffs, leidend-verzweifelten Locals und paralysierendem Drumming, das mit enormer Wucht verängstigt. Crowbar als Vergleich heranziehen geht, aber so negativ und lebensverneinend sind in dem Genre ansonsten nur Eyehategod. Songs wie „Me And The Dog Die Together“, „Sadlands“ oder „Agora (Killed By A Mountain Lion)“ lassen keine Fragen offen. Pure Seelenpein. 7,5/10 Kronen

Baauer - Planet’s Mad
Kinder, wie die Zeit vergeht. Mittlerweile mehr als sieben Jahre ist es her, als die ganze Welt den „Harlem Shake“ tanzte. Ab Februar 2013 ging Harry Bauer Rodrigues aka Baauer damals viral und feierte einen sensationellen Welterfolg. Der House-, Techno- und Trap-Produzent aus Brooklyn hat seinen Marktwert damit immens gesteigert und u.a. Remixe für The Prodigy, Nero oder No Doubt herausgestanzt. Mit dem Megahit im Rücken lässt es sich zwar gut leben, die Emanzipation davon ist aber schwierig. Mit seinem völlig anders gearteten Albumdebüt „Aa“ gelang das 2016 so halbwegs, das passend betitelte „Planet’s Mad“ kommt ganz ohne Gastvocals aus und vertraut nun nur mehr den Beats und Soundstafetten. Die Singles „Planet’s Mad“ und „Magic“ machen trotzdem Spaß. Die Veröffentlichung des gesamten Albums hat Baauer vorerst auf unbestimmt verschoben, mehr als die Hälfte der Tracks sind aber ohnehin schon veröffentlicht. 7/10 Kronen

Lisa Batiashvili - City Lights
Das Unterwegssein ist für Musiker ein elementarer Bestandteil ihres Lebens. Es prägt den Alltag und die Karriere, eröffnet ihnen neue Kulturen und Sichtweisen und inspiriert im besten Fall auch im kreativen Sinne zu neuen Höchstleistungen. Die georgische Star-Geigerin Lisa Batiashvili hat ihrer Liebe zum Unterwegssein nun mit dem neuen Album „City Lights“ gehuldigt. In elf Kapiteln ehrt sie damit elf verschiedene Städte, die in unterschiedlicher Art und Wiese prägend für ihr Dasein sind und wird dabei von internationalen Gaststars wie Katie Melua oder Till Brönner unterstützt. Bach, Strauss oder Rachveli finden dabei genauso ihren Platz, wie Morricone oder Piazolla. Batiashvili vermengt Klassik, Filmmusik, Jazz und Tango und integriert sogar den großen Charlie Chaplin. Rundum gelungen. 8/10 Kronen

Behold… The Arctopus - Hapeleptic Overdrove
Nur allzu gerne werden sie belächelt, die Nerds. Pro7 hat ihnen jetzt gar eine eigene Trash-Sendung zur Verfügung gestellt, wo sie fortan donnerstags um platinblonde (Plastik)Schönheiten buhlen dürfen. Nerds findet man natürlich auch im Heavy Metal. Da gibt es die einen, die Zauberei und Hobbits lieben und die anderen, die im Prinzip die Free Jazzer ihrer derben Zunft sind. Dazu zählen Behold… The Arctopus seit fast 20 Jahren. Ganz ohne Gesang, aber mit viel Frickelei und unbändiger Liebe zur Skalenschieberei mit Doktortitelanspruch gehen sie auch auf „Hapeleptic Overdrove“ ans Werk. Colin Marston und Mike Lerner duellieren sich auf höchstem Niveau, Drummer Jason Bauers darf zwischendurch auch etwas beitragen. Das ist wirklich nur etwas für die Quantenphysiker unter den Metallologen - die werden sich aber geifernd die Hände reiben. 5,5/10 Kronen

Janet Devlin - Confessional
Die Nordirin Janet Devlin ist gerade einmal 25 Jahre jung, hat in ihrem bisherigen Dasein aber schon Themen für drei Alben schultern müssen. Als Teenager machte sie in „The X-Factor“ erstmals auf sich aufmerksam, mit den beiden Alben „Hide & Seek“ und „Running With Scissors“ eroberte sie in Großbritannien die Charts. Dann aber der große Absturz. Mentale Probleme, Anorexia, ausladender Alkoholismus und Selbstverletzungen prägten die jüngere Vergangenheit, die Single „I Lied To You“ war Aufarbeitung und Entschuldigung gleichermaßen. „Confessional“ ist nun das logische Ergebnis der fünf harten Jahre. Ein mit typisch-irischer Folk-Instrumentierung ausgestattetes Werk, das sich in jedem der zwölf Songs mit persönlichen Problemen befasst. „So Cold“, „Honest Men“ oder „Holy Water“ lassen wenig Fragen offen. Mit „Better Now“ gibt sie uns ganz am Ende die Botschaft, dass das Schlimmste nun überstanden ist. Ein interessanter, tiefgehender Seelen-Striptease. 7,5/10 Kronen

Dion - Blues With Friends
Dion DiMucci ist eine echte Legende. Mit den Belmonds begeisterte der 80-Jährige schon in den 50-Jahren, in den 60ern hatte er mit „Runaround Sue“ und vor allem „The Wanderer“ zwei Hits, mit denen er ewige Musikgeschichte schreiben sollte. So ist es kein Wunder, dass ihm Laufe seiner fast schon 60-jährigen Karriere sämtliche Größen des Blues, Doo-Wop oder auch Rock seinen Weg gekreuzt haben. Mit „Blues With Friends“ erfüllt sich Dion auf dem Joe-Bonamassa-Label KTBA Records einen Lebenstraum. 14 Eigenkompositionen, bei denen er singt und die Gitarre spielt, die aber von Bewunderern, Wegbegleitern und Freunden unterstützt werden. Bruce Springsteen, Jeff Beck, Paul Simon, Billy Gibbons, Van Morrison oder Stevie Van Zandt verewigen sich in mehr („Blues Comin‘ On“, „Uptown Number 7“) und weniger („I Got Nothin‘“, „Song For Sam Cooke“) flotten Songs, die auch mal in Country-Gefilde ausscheren können. Ein wundervolles, entschleunigtes Alterswerk, das nichts als sanfte Freude bereitet. 8/10 Kronen

Edwin - Sleben
Ein bisschen „meier“ schaut er aus, würde Edwin über sich selbst auf dem Artwork seines Debütalbums „Sleben“ sagen. Was sich mit zahlreichen EPs und erfolgreichen Singles angekündigt hat, wurde jetzt endlich wahr. Nachdem er mit Kumpel Jugo Ürdens und „Allegro“ die FM4-Welt aufmischte und schon auf den Bühnen des Waves und Frequency stand, gibt uns der stolze Floridsdorfer jetzt Einblick in sein transdanubisches Dasein, seine Liebes- und Lebensprobleme und garniert diese autobiografischen Geschichten mit sehr viel Lokalkolorit und Wiener Schmäh. Musikalisch gibt es keine Grenzen. Reggae, Dub, R&B, etwas Soul, sanfter Rap und auch zeitgemäßer Autotune lassen sich in Songs wie „Aquarium“, „Es geht sich aus“ oder „6 Gänge Menü“ heraushören. Mit Hunney Pimp und Lukas Maletzky von Naked Cameo gibt’s auch nette Features zu verbuchen. Macht Spaß, ist vielseitig und hat noch sehr viel Potenzial. 7,5/10 Kronen

End - Splinters From An Ever-Changing Face
Freunde der harten Tonkunst ahnen es vielleicht bereits: wenn sich Musiker aus den Bands Counterparts, Fit For An Autopsy, The Dillinger Escape Plan, Shai Hulud und Reign Supreme zusammenfinden, dann darf man sich alles andere als zärtliche Zimperlichkeit erwarten. Die anfangs nur als Hobbyprojekt betrachtete Spielwiese End zeigte schon vor drei Jahren mit einer starken EP, was in ihr steckt, „Splinters From An Ever-Changing Face“ ist jetzt nichts anderes als das Hardcore/Metal-Highlight dieses Jahres. Mit fast schon schmerzender Intensität riffen sich die honorigen Herren durchs Unterholz, Frontmann Brendan Murphy leidet, kotzt und würgt sich die Seele aus dem Leib. Die alles andere als angenehmen Themengebiete sind das Höllenfeuer, Selbstmordgedanken und der kaputte Globus. Das alles verpacken End so dringlich, brutal und zermalmend, wie man es sonst von Converge gewohnt ist. Ein Meisterwerk. 9/10 Kronen

Exhumed/Gruesome - Twisted Horror
30 Jahre - das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen - ist es mittlerweile her, als sich in Kalifornien mit Exhumed eine der ersten und bis heute populärsten Grindcore-Bands der Welt formierte. Frontmann Matt Harvey hat die Ausrichtung zwar über die Jahre immer etwas angepasst, doch die Mischung aus herben Texten über Mörder, Nekrophile und Pathologisches und derbe Riffsalven sind geblieben. Vor sechs Jahren hat er sich mit Gruesome eine zweite Spielwiese erschaffen, die bislang auf zwei Alben seinen großen US-Idolen Death huldigen. Auf „Twisted Horror“ finden sich beide Projekte Harveys zusammen, um in knapp 20 Minuten für puren Splatterhorror zu sorgen. Die drei Exhumed-Songs sind erwartungsgemäß schneller und harscher geraten, zudem teilt sich Harvey etwa im Opener „Rot Your Brain“ die Vocals genial mit Ross Sewage. Gruesome konzentrieren sich mehr auf langsames Wühlen und stumpfes Gepolter, knarzen aber genauso brutal durch „A Mind Decayed“ und „Led Into The Dark“. Kann, aber muss man nicht kaufen. Ohne Bewertung

Flagg - Nothing But Death
In mindestens neun seiner Romane ist Stephen Kings fiktiver Charakter Randall Flagg erschienen - ob sich die hier vorliegende Band nach ihm benannt hat, bleibt aber genauso ungeklärt, wie so manche Details dahinter. Wie im Black Metal üblich, geht es um das Mystische. Was wir wissen: Flagg ist ein Ein-Mann-Projekt aus dem kalten Finnland und konzentriert sich am Debütalbum „Nothing But Death“ dem Titel gleich auf das Nihilistisch-Abgründige. Der Sound erinnert die meiste Zeit an rohen Früh-90er-Black-Metal, wie man ihn von Bands wie Darkthrone schätzt, würzt diese Referenzen aber mit einer gehörigen Dosis Apokalypse. Gerade die Krächvocals und die bewusst puristische Produktion erklären stampfende Songs wie „Destroy, Desecrate“ oder „Last Breath Dawn“ zu morbiden Mahlströmen des Untergangs. Mit dem überlangen „Towards Emptiness“ gibt es gar eine abschließende Elegie des Todes. Roh, rau und rücksichtslos - seien Sie gewarnt! 7,5/10 Kronen

Friends Of Gas - Kein Wetter
Es ist kein großes Geheimnis, dass sich Spannung, Innovationskraft und Ideenreichtum im deutschen Pop- und Rockmainstream eher versteckt halten. Da muss dann eben der Underground ran, und der brodelt ungemein - man muss nur hinschauen. Friends Of Gas sind fünf Freunde aus München, die schon mit ihrem Debüt „Fatal Schwach“ vor vier Jahren einen angenehmen Gegenpol zur kompositorischen Beliebigkeit ihrer Heimat setzten. „Kein Wetter“ klingt nicht nur im Titel schwierig. Für Eskapismus ist hier kein Platz. Angeführt von der rauen, eindringlichen Stimme Nina Walsers dringt man bewusst tief in die Psyche des Hörers vor. Sei es, um ihn bei eigenen Unzulänglichkeiten zu ertappen, oder ihm mit kratzender Subtilität die Schieflage der Gesellschaft zu vermitteln. „Schrumpfen“ etwa setzt sich mit der Textzeile „Kapital oder kapitulieren“ klar mit Wirtschaft und Ungleichheit auseinander, unser Social-Media-Verhalten ist wie ein „Waldbrand“ und der „Blaiberg“ als auch der „Stechpalmenwald“ bedienen sich in der Literatur. Dahinter knarzt Noise á la Sonic Youth, Melvins oder die Einstürzenden Neubauten. Tut ziemlich weh und soll es auch! 8/10 Kronen

Front - Antichrist Militia EP
Finnland, die nächste. Nicht nur Flagg überziehen unsere Gehörgänge diese Woche mit harschen Klängen, auch die Kriegsfanatiker von Front geben nach vier Jahren Abwesenheit wieder ein Lebenszeichen von sich. Die „Antichrist Militia“ wälzt sich im Kurzformat auf 23 Minuten aus und versucht möglichst behände, landesüblichen Black/Death der rotzigen Sorte mit schneidenden Thrash-Salven zu vermengen. Das Cover-Artwork mit einem mit Patronengurtbehangenen Geißbock, der samt Gefolge und Panzer über Totenschädel rollt und dabei zum Marsch bläst, lässt ebensowenig Klischees aus wie die Songs auf dem Kurzdreher. „Machinegun Blasphemy“, der Titeltrack und „Venom & Salt“ holzen dermaßen roh durchs Unterholz, das man sich wahrlich in einem attackierten Schützengraben wähnt. Mit „Iron Front“ gibt’s auch noch eine brachiale Motörhead-Verbeugung mit viel Punk-Feeling, die einfach nur Spaß macht. Rotz’n’Roll. Ohne Bewertung

The Ghost Inside - The Ghost Inside
Bei The Ghost Inside muss man vorher ein bisschen ausholen. Im November 2015 verunglückte die US-Metalcore-Band auf Tour in El Paso, Texas schwer. Der Bus kollidierte mit einem Traktor, beide Fahrer verstarben. Gitarrist Zach Johnson verlor als Folge daraus zwei Zehen, Drummer Andrew Tkaczyk musste während der zehn Tage Koma ein Bein amputiert werden und Lead-Gitarrist Aaron Brooks stieg daraufhin aus der Band aus. Fünf Jahre nach diesem tragischen Ereignis melden sich die Kalifornier mit ihrem fünften und selbstbetitelten Album zurück. Songtitel wie „Still Alive“, „Phoenix Rise“ oder „Begin Again“ lassen auch keine Missverständnisse zu, zudem leitet Tkaczyk auf „1333“ mit einem Schlagzeugsolo ein. Hier ist man unweigerlich im Zwiespalt. Einerseits ist die Platte unheimlich emotional und bemüht, andererseits musikalisch auch ziemlich medioker und arm an Höhepunkten. Metalcore like 2005, aber für den Hintergrund gibt’s eine Zusatzkrone. 7/10 Kronen

Freddie Gibbs & The Alchemist - Alfredo
Eines kann man wohl schon jetzt ziemlich sicher annehmen, unabhängig von Corona: in Wien wird Rapper Freddie Gibbs sein neues Album „Alfredo“ ziemlich sicher nicht vorstellen. Dort soll er 2015 im Backstagebereich der Grellen Forelle zwei Frauen mit K.O.-Tropfen betäubt und dann im Hotel vergewaltigt haben. Zwischenzeitlich wurde er sogar per internationalem Haftbefehl gesucht, am Wiener Landesgericht im September 2016 aber mangels Beweise freigesprochen. Seitdem hat sich der 37-Jährige wieder auf sein Kerngeschäft verlegt und einige durchaus starke Alben veröffentlicht. „Alfredo“, zusammengestellt mit dem szenebekannten DJ und Produzenten DJ Alchemist macht da keine Ausnahme. Über den tighten Beats seines Kompagnons zeigt Gibbs vor allem, dass er der König des Flows ist. Das wird vor allem in Nummern wie „1985“ oder „Baby $hit“ deutlich, mit Benny The Butcher, Tyler, The Creator und Conway The Machine hat auch starke Features am Start. Hier stecht die Technik über der dicken Hose. Das verdient Extralob. 7,5/10 Kronen

Haftbefehl - Das weisse Album
Für Deutschrap-Fans sind die derzeitigen Wochen wie das Paradies auf Erden. Nach dem ersten Farid-Bang-Rundling nach vier Jahren kommt auch Frankfurts Superrapper Haftbefehl zurück - dieser sogar nach fünf langen Jahren. Seither gab es nur ein paar Kollaborationen wie mit Till Lindemann von Rammstein oder einen Netflix-Cameoauftritt in „Dogs Of Berlin“. Die Geburt zweier Kinder statt der Bühne. Depressionen statt Instagram-Inszenierung. Haftbefehl ist mittlerweile „Old School“ und auch deshalb ist das „Weisse Album“ für den Deutschrap wirklich so etwas wie das gleichnamige der Beatles einst für den Pop. Natürlich bedient sich auch der mittlerweile 34-Jährige in Songs wie „Bolon“ oder „Hotelzimmer“ an zeitgemäßem Autotune, aber in durchschlagskräftigen Tracks wie „RADW“, „Conan x Xenia“ oder „Depression und Schmerz“ überzeugt er mit starken Geschichten, fetten Beats und einer fast schon hypnotischen Klangatmosphäre. Dazu gibt es Features von u.a. Shindy, Shirin David, Gucci Mane oder Marteria. Chabos wissen eben immer noch, wer der Babo ist. 8/10 Kronen

Sarah Jarosz - World On The Ground
In New York City zu leben war schon einmal lustiger. Zuerst wurde die Stadt wie keine zweite in den USA vom Corona-Virus getroffen, nun brennt sie aufgrund der „Black Lives Matter“-Proteste an allen Ecken und Enden. Kein Wunder, dass sich Sarah Jarosz auf ihrem heiß ersehnten ersten Werk seit vier Jahren in die Beschaulichkeit einer Kleinstadt träumt. „World On The Ground“ handelt in zehn Sanften Folk-Kapiteln grundsätzlich von der Ruhe des Landes, von Wanderern und Tagträumern und von der Leichtigkeit des Seins. Als Pate diente ihr ihre eigene 2.600-Einwohner-Heimat Wimberley in Texas, der sie sich auch nach drei Grammys und bejubelten Konzerten noch immer nahe fühlt. Mit ihren 29 Jahren beweist Jarosz dabei einmal mehr ihr Talent, umfassende Geschichten lebhaft und real zu erzählen, ohne dabei in die Klischeefalle zu stapfen. Vor allem „Hometown“ und „Empty Square“ bleiben auch lange in den Gehörgängen sitzen. Ein akustisches Roadmovie der besonders feinen Sorte. 8/10 Kronen

Paul Kalkbrenner - Speak Up EP
Nicht umsonst war die Corona-Lockdown-Phase auch eine des Nachdenkens und des Reflektierens. Das hat im Endeffekt auch der Leipziger Star-DJ Paul Kalkbrenner beherzigt und anstatt um die Welt zu jetten lieber die Zeit genutzt, inne zu halten und sich die weiteren Schritte zu überlegen. Mitte Mai hat er seine erste Livestream-Session abgehalten und nicht nur aufgelegt, sondern auch über sich, seine Vergangenheit, seine Szenebedeutung und seine Ähnlichkeiten mit seiner Rolle im Kultstreifen „Berlin Calling“ gesprochen. Angekündigt hat er auch die nun vorliegende 4-Track-EP „Speak Up“, die im besten Sinne ein Schritt zurück wurde, um gleich mehrere nach vorne zu machen. „Laser In“, „Eyes Open“, „Check Yourself“ und „Speak Up“ gehen nämlich zurück zu seinen Club-Wurzeln und konzentrieren sich auf einen Techno-Sound, der nicht zwingend in den großen Stadien gespielt werden muss. Das steht der Turntable-Legende gut zu Gesicht. Hoffentlich gibt es da bald einen Nachschlag. Ohne Bewertung

LA Priest - Gene
Wenn es um obskure Klänge im breiten Feld des Electropop geht, dann ist man bei Sam Eastgate schon seit mehr als einer Dekade goldrichtig. Egal ob unter dem Pseudonym Soft Hair, mit der Band Late Of The Pier oder eben solo als LA Priest - der Brite durchkreuzt gerne und häufig sämtliche Grenzen, die sich ihm gerne mal in den Weg stellen mögen. Fünf Jahre nach dem LA-Priest-Debüt „Inji“ widmet Eastgate nun seiner selbsterdachten und gebauten Drum-Machine Gene dieses Werk. Dabei hat er seine rhythmisch oft dissonanten Kompositionen brav in zwei Albumhälften geteilt, die erste klingt sehr fordernd und chaotisch („Rubber Sky“, „Open My Eyes“), auf der zweiten bleibt in Songs wie „Monochrome“ mehr Raum für Eastgates spezielle Form von „Eingängigkeit“. Zieht man seine vergangenen Veröffentlichungen zum Direktvergleich heran, wirkt „Gene“ fast schon zugänglich, ohne aber auch nur einen Zeh in den Mainstreamsee zu stecken. Das Album ist das „Kid A“ für die Generation Z - nur eben weniger genial. 7/10 Kronen

Sondre Lerche - Patience
In seiner Heimat Norwegen war Sondre Lerche mit seinem Debütalbum „Faces Down“ im zarten Alter von 20 so gehypt, dass er wenige Jahre später nach New York zu. In der Anonymität der großen Metropole konnte der auch vom „Rolling Stone“ gehypte Künstler reifen und über die Jahre seine Mixtur aus Indie-Rock, zugänglichem Pop, Jazz-Referenzen und zuletzt auch Minimal-Sounds finden. Mittlerweile geht der Bergener steil auf die 40 zu und zeigt sich auf seinem neunten Studioalbum „Patience“, den Abschluss einer losen Albumtrilogie, so weitreichend und mutig wie nie zuvor. Die alten Vergleiche mit Brian Wilson sollte er mit Tracks wie dem sanften „We Are Alone Now“ oder „Don’t Waste Your Time“ endgültig ablegen können. Geschrieben hat der mittlerweile in Los Angeles wohnhafte Lerche die Songs trotzdem großteils in der kühlen Heimat in Nordeuropa. Vielleicht ist „Patience“ auch deshalb so intim und rund ausgefallen. 7,5/10 Kronen

Maraskino - Happy End
Na aber hallo! Genau das hat der österreichischen Musiklandschaft noch gefehlt - Maraskino. Hinter der Kunstfigur steckt der Wiener Elektroniker Julian Hruza, der als „Hybrid aus maskulin und feminin“ vor allem eines fördert: die Buntheit der Musik und den Spaß am Leben. „Happy End“ ist eine Doppel-Vinyl mit nicht weniger als 20 Songs, die sich grob in vier Unterkapiteln aufteilen und mal lasziv-mexikanisch, mal schwungvoll-rhythmisch und dann auch wieder sexuell aufgeladen und romantisch präsentieren. Mal ist er der „Schaumkrone an deinem Pils“, dann wieder dein „allerdreckigster Gedanke“. Mal geht es um „Hakuna Banana“, mal um „Hakuna Vegana“. Anarchie und unbändiger Spaß mit dicken Beats, tiefer Sprechgesangsstimme und famosen Gästen wie Lulu Schmidt, Ankathie Koi oder Mascha - Geschwister in Seele und Geiste sozusagen. „Contemporary Porn Pop“ nennt das Mastermind sein Soundgebräu und das passt wahrlich wie die Faust aufs Auge. Macht einfach Spaß, hat aber auch Nachdenkpotenzial. 7,5/10 Kronen

Ricky Martin - Pausa EP
Ach den gibt es ja auch noch! Ricky Martin, neben Enrique Iglesias nach wie vor der männlich erfolgreichste und populärste Latin-Pop-Star hat auch schon wieder fünf Jahre ins Land ziehen lassen, seit er mit „A Quien Quiera Escuchar“ mit neuem Material auf sich aufmerksam machte. Dieses Jahr sollt es endlich den Nachfolger geben, daran hat er lange geschraubt. Doch anstand eines vollen Albums gibt es nun zwei EPs. Die erste, „Pausa“, besteht hauptsächlich aus Balladen und getragenen Songs und wird nun veröffentlicht, das wesentlich poppigere „Play“ soll dann im September folgen. Grund für die Umstellung war einerseits die Corona-Pandemie, andererseits eine ausgewachsene Depression, die der mittlerweile 48-Jährige verarbeiten musste. Kooperationen mit Superstars wie Sting, Carla Morrison oder Bad Bunny machen das kurze Stelldichein zu einem schönen Vergnügen. Nur fraglich, ob er damit wirklich den europäischen Markt erobern kann. Ohne Bewertung

Mile Me Deaf - ecco
Wie kann man in einer Welt, die sich mit jedem neuen Tag, jeder angebrochenen Sekunde schneller zu drehen scheint, eigentlich noch aktuell sein? Wie ist es möglich, seine Gedanken und Gefühle akkurat auf Papier zu bringen oder Konserve zu brennen? Wahrscheinlich geht es einfach gar nicht, das war wohl auch Wolfgang Möstl bewusst. Das erste Album seines Lebensprojekts Mile Me Deaf hat er vor mehr als einem Jahr geschrieben, in den Untiefen seiner Festplatte liegengelassen und justament jetzt ausgegraben, wo auch nichts mehr so ist, wie es einmal war. „ecco“ ist dabei durchaus eine Neuausrichtung denn statt bratender Gitarren setzt der Erfolgsproduzent (Voodoo Jürgens, Dives) und Indie-Liebling auf hypnotische Synthesizer und warme Elektronik. Das steht verträumten Songs wie „Sweet Earth“ oder „To The Outside World“ auch sehr gut zu Gesicht. Nie zuvor hat man bei Mile Me Deaf so offensichtlich die Liebe zum gefühlvollen Pop herausgehört, die Aggressivität spart er sich mittlerweile gänzlich für Melt Downer auf. Darf man dazu auch Bedroom-Pop sagen? 7,5/10 Kronen

Modern Nature - Annual EP
Jack Cooper ist ein Held des britischen Indie-Undergrounds. Mit Mazes, The Beep Seals und vor allem Ultimate Painting veröffentlicht er seit mehr als zehn Jahren in beständig hoher Qualität Alben, die sich nur sehr schwer zwischen Alternative, Folk und verschrobenen Jazz-Anflügen einteilen lassen. Mit Modern Nature hat er letztes Jahr eine neue Spielwiese aus der Taufe gehoben und schießt mit „Annual“ schon die dritte - rein digital erhältliche - EP in etwas mehr als einem Jahr in den Orbit. Mit dem Satz „die Band ist so neu, dass es schwer ist zu sagen, wer an Bord ist und wer nicht“ hat Cooper schon im Vorfeld klargemacht, wie gut vernetzt er ist. Die sieben, teilweise sehr kurzen, Songs atmen das Flair von Weltmusik und erinnern etwa bei „Flourish“ oder „Harvest“ auch einmal an einen Aufzugssoundtrack für mehrstöckige Hochhäuser. Entspannt und entschlackt sind die Kompositionen, ein fast schon herbstliches Vergnügen. Perfekt für die ruhigen Momente des Lebens. Ohne Bewertung

Mt. Joy - Rearrange Us
Mit „Astrovan“, „Silver Lining“ und „Jenny Jenkins“ gelang es den Kaliforniern von Mt. Joy in den letzten vier Jahren gleich mehrfach, aktiv auf sich aufmerksam zu machen. Die Band rund um Frontmann Matt Quinn hat sich nicht zuletzt aufgrund seiner eindringlichen, einzigartigen Stimme und der stark an Folk Musik angelehnten Indie-Instrumentierung eine erkleckliche Fanbase erschaffen. Dazu trug natürlich auch eine mehr als erfolgreiche Tour mit den Lagerfeuer-Topsellern The Lumineers bei, zu denen Mt. Joy künstlerisch als auch ideell sehr gut passen. „Rearrange Us“ ist wesentlich experimenteller und allumfassender ausgefallen. Es gibt Platz für Südstaaten-Gospel („Have Faith“), für Mainstream-Pop-Ausflüge („My Vibe“) und auch für Roots-Rock- und klassische Indie-Referenzen. Quinns stets leidendes Timbre trägt die oft aber viel zu kurzen und abgehackt wirkenden Songs durch die imaginären Waldlichtungen bei Sonnenuntergang. Ein sanftes, aber in gewisser Weise auch unausgegorenes Werk im großen Folk-Rock-Teich. 6/10 Kronen

Robby Musenbichler - Rough & Ready
Kenner der heimischen Musikszene wissen, Robby Musenbichler ist einer der bestgebuchten und am meisten beschäftigten Gitarristen. Ob in den 70er-Jahren mit Günter Timischl und Boris Bukowski bei der Band Magic, erfolgreich in Frankfurt und mit Fendrich, das Arnold-Schwarzenegger-Stadion in Graz einweihend oder auf der Donauinsel statt Georg Danzer - der 65-Jährige ist eine omnipräsente Konstante in der hiesigen Rockwelt. Mit „Rough & Ready“ veröffentlicht er nun im Eigenvertrieb sein neuestes Studioalbum und zitiert sich darauf einmal mehr erfolgreich selbst. Das bedeutet, dass gleichermaßen US-Classic-Rock, Blues, Funk, an Swing Angelehntes als auch Balladen findet. Thematisch setzt der Steirer vor allem auf Zwischenmenschlichkeit und Zusammenhalt in einer Welt der immer stärker werdenden sozialen Kälte. Ein Statement, das man nicht oft genug betonen kann. 6/10 Kronen

Muzz - Muzz
In der Theorie klang die Konstellation wirklich malerisch. Interpol-Frontmann Paul Banks trifft seinen Kindheits- und Studienzeitfreund Josh Kaufman, mittlerweile Teil der Indie-Folk-Band Bonny Light Horseman, wieder und integriert noch Matt Barrick von The Walkman am Schlagzeug. Das Projekt heißt etwas schlunzig Muzz und fertig ist eine weitere Supergroup, deren Songs vom Zielpublikum heiß herbeigesehnt werden. „Muzz“ mäandert zu einem großen Teil aber im entschlackten Down-Tempo und kommt nur selten aus der balladesken Gemächlichkeit heraus. Das an einen Roadtrip gen Sonnenuntergang erinnernde „Everything Like It Used To Be“ ist so ein Positivbeispiel für knackiges Songwriting, auch das sanft dahinplätschernde „Summer Love“ lässt wunderschöne Kopfgeburten entstehen, bei „Patchouli“ oder „Broken Tambourine“ aber langweilt man sich einfach nur ob der beliebigen Klimperei. Handwerklich ist das alles gut gemacht, Banks‘ Stimme sticht gewohnt angenehm heraus, aber dass das Ganze nur eine freundschaftliche Jam-Session ohne großen Ehrgeiz ist, hört man zu jeder Zeit heraus. Schade um eine verpasste Chance. 5,5/10 Kronen

My Ugly Clementine - Peeled EP
Mit ihrem Debütalbum „Vitamin C“ hat die österreichische „Supergroup“ My Ugly Clementine hierzulande querbeet Vorschusslorbeeren abgeräumt und sich als heimische Indie-Konstante fix auf die Musiklandkarte katapultiert. Vor 100 ausgelosten Gewinnern gab es schon im Februar im Wiener „The Nest“ eine spezielle Show, im Zuge derer das Trio die nun vorliegende Live-EP „Peeled“ aufgenommen hat. Die dort aufgenommen fünf Songs sind sehr laid back und transportieren dank der treibenden Gitarre insgesamt mehr Grunge-Vibes als das Studioalbum selbst. Die eigentliche Überraschung ist freilich das Natasha Bedingfield-Cover „Unwritten“, dem My Ugly Clementine in Form einer mitreißenden Akustikversion neues Leben einhauchen. Macht Lust auf ein weiteres Album. Ohne Bewertung

Naxen - Towards The Tomb Of Times
Im Fahrwasser der deutschen Underground-Black-Metaller Ultha schimmen auch Naxen - nämlich stilistisch. Das bedeutet, dass man den Schwarzmetall hier im Falle der Münsteraner als intensives Zurschaustellen bedrückender Atmosphäre mit überlangen Tracks sieht. Nach einer famosen EP vor zwei Jahren legt das Trio mit „Towards The Tomb Of Times“ das heiß ersehnte Debütwerk vor und verteilt die gut 45 Minuten Spielzeit auf nur vier Songs. Gehastet wird hier jedenfalls nicht, dafür ist Naxen einerseits die Detailverliebtheit, andererseits das Auskomponierte viel zu wichtig. Durch die melancholische und in mollmelodiöse Vorgehensweise ähneln die Nordrhein-Westfalener eher autarken Natur-Knüpplern wie Wolves In The Throne Room, denn harschen Spießgesellen aus dem gesegneten Norwegen. Anspieltipp: das paralysierende „The Odious Ordeal“. 7,5/10 Kronen

Rolling Blackouts Coastal Fever - Sideways To New Italy
Wenn man dazu gezwungen wird zu verwurzeln und die Reisetätigkeiten einzustellen, dann können sich Wehmut und Fernweh schon einmal zu konstanten Begleitern formen. So ergeht es auch den Australiern von Rolling Blackouts Coastal Fever, die sich nicht zuletzt durch ihr famoses 2018er-Debütalbum „Hope Downs“ Touraktivitäten quer über den Globus erarbeitet haben und jetzt ebenso untätig daheimsitzen müssen wie alle aus ihrer Zunft. „Sideways To New Italy“ spricht im Speziellen ein Dorf in der Nähe der Northern Rivers von New South Wales an. Der Gegend, aus der Drummer Marcel Tussie stammt. Im Allgemeinen geht es aber um das Ausbrechen, das Reflektieren und das Reisen im Geiste, das uns als einziges noch geblieben ist. RBCF vermischen das Storytelling von Bruce Springsteen mit der Coolness der Rolling Stones und der Instrumentierung ihrer heimatlichen Helden, der Go-Betweens. „Sideways To New Italy“ ist ein Manifest der Freiheit, das dem leidlich ausgereizten Indie-Genre mühelos neue und kurzweilige Facetten abringt. 7,5/10 Kronen

Sanctifying Ritual - Sanctifying Ritual
Wer sich wirklich herbes Underground-Metal-Geschrote mit hoher Qualität zu Gemüte führen möchte, der schaut derzeit am besten nach Deutschland. Das war freilich nicht immer so, fristete unser großer Nachbar im Death-Metal-Sektor früher doch ein karges Nischendasein. Doch derzeit schießen die Talente wie Pilze aus dem Boden. In dem Fall etwa durch die Thüringer Sanctifying Ritual, die ganze zwölf Jahre seit ihrer Gründung gebraucht haben, um nun ihr Debütalbum vorzulegen. Ihre Version von Death Metal klingt mit der rohen Produktion und bestialischen Schreien bewusst nach Urmensch und weist auch eine kräftige Portion Thrash Metal auf. Die Slayer-Reminiszenzen fallen mehr („Carved In Rotten Remains“) oder weniger („Curse Of Evil“) ins Gewicht, dass man privat aber am liebsten die wilden 80er-Demos der alten Death/Thrash-Heroen rotieren hat, hört man dem wilden Gezeter zu jederzeit heraus. Ein Festmahl für Freunde der Rohkost. 8/10 Kronen

John Scofield - Swallow Tales
Spontan, verspielt, unmittelbar - nur einen einzigen Nachmittag im März 2019 brauchten John Scofield, sein Mentor Steve Swallow und Bill Stewart, um die hier vorliegende Scheibe „Swallow Tales“ einzuspielen. Der „Old-School-Weg“, wie Gitarrenmeister Scofield das magische Stelldichein im späteren Verlauf nennen sollte. Den großen Songwriter Swallow lernte Scofield in den 70er-Jahren kennen, regelmäßige Kooperationen in den laufenden Jahrzehnten wurden Usus. Die Harmonie zwischen Gitarre und Bass der beiden ist in jeder Phase der neun Tracks spürbar. Es handelt sich um neun Stücke Swallows, die sich vom Bop weg gerne in den rasanteren Swing-Bereich hanteln, andere bekannte Stile wie Funk und Country aber bewusst außen vor lassen. So klingt eben alles spontan, verspielt und unmittelbar. Wie es auch geplant und eingespielt wurde. 7,5/10 Kronen

Sohn - Live With The Metropole Orkest
Das niederländische Metropole Orkest ist sehr umtriebig, wenn es um Kooperationen geht. Haben nicht unlängst die Schweizer Metal-Pioniere Triptykon eine einmalige, auf dem Roadburn Festival aufgenommene, Kooperation veröffentlicht, legt nun die britische Samtstimme Sohn nach. Sofort merkt man, dass sich der elektronische Sound des einstigen Wahl-Wieners perfekt mit dem 54-köpfigen Orchester paart und eine besonders kongruente Klanglandschaft erzeugt. Das exklusiv am Amsterdamer Melkweg exerzierte Konzert bot natürlich all die großen Sohn-Songs wie „The Wheel“, „Conrad“ oder „Artifice“ auf, hat sich aber auch mit weniger bekannten Stücken auseinandergesetzt. Die Mischung aus trockener Elektronik und der üppigen Orchestration geben Sohns Songs tatsächlich noch einmal ein völlig neues Eigenleben. Dieses Live-Manifest ist ein Werk, in das man sich reinfallen lassen kann und auch sollte. Ohne Bewertung

Sonic Boom - All Things Being Equal
Manchmal geschehen Wunder, mit denen man nicht einmal in den kühnsten Träumen rechnen würde. Freunde des Psychedelic-Space-Rock und der experimentellen Klänge erinnern sich vielleicht noch an den Briten Peter Kemer, der mit seiner Band Spaceman 3 von 1982 bis 1991 die europäische Indie-Underground-Szene formte. Unter seinem Künstler-Alter-Ego Sonic Boom veröffentlichte er 1990 das Album „Spectrum“, jetzt, 30 (!) Jahre später, gibt es mit „All Things Being Equal“ einen Nachfolger, mit dem wahrlich nicht zu rechnen war. Begonnen hat er dafür schon vor fünf Jahren mit ersten elektronischen Jams, drei Jahre später zog er nach Portugal und legte in der selbstauserwählten, ländlichen Isolation seine von Sam Cooke und den Everly Brothers inspirierte Stimme über die getragenen, fast schon analytisch Tracks im Slow-Tempo. Irgendwo zwischen Primal Scream, Kraftwerk, Brian Eno und den Psychedelic Furs ist Platz für diese Reise in die Außerwelt. Ein klanglicher LSD-Trip der Zeitlosigkeit. 7/10 Kronen

Westerman - Your Hero Is Not Dead
Ist das jetzt auch Bedroom-Pop? Nur eben anders definiert? Eines der derzeit meistdiskutierten Subgenres feiert dank des Welterfolgs von Billie Eilish fröhliche Urstände. Der junge Londoner Westerman klingt zumindest entspannt, zurückgelehnt und sanft. Fast so, als würde Sufjan Stevens mit Iron & Wine auf eine imaginäre Reise durch das zentrale Nervensystem gehen. Bewusst gegen alle Empfehlungen, das Album wegen Corona zu verschieben veröffentlicht er sein Debüt genau jetzt und bringt mit „Your Hero Is Not Dead“ auch eine grobe Portion Optimismus ins Spiel. Luftig und leichtfüßig klingen die Songs, vor allem in der zweiten Albumhälfte hat er mit „Blue Comanche“ und „Paper Dogs“ richtige Highlights die mit ihren elektronisch aufgeladenen Schichten und seiner zarten Stimme für Indie-Pop-Furore sorgen werden. Die Welt ist nicht immer schlecht! 7,5/10 Kronen

Xavi - Vom Bett bis zum Kühlschrank EP
„Vom Bett bis zum Kühlschrank“ - kann eine ziemlich lange Reise sein. Je nachdem, wie der Vorabend verlaufen ist. Für den deutschen Sänger Xavi (nein, der hat nichts mit der einstigen FC-Barcelona-Legende am Hut) ist es aber auch ein kurzer Ausflug in das eigene Seelenleben, das er auf der spontan zusammengestellten EP in vier kurzen Songs mit seinen Fans teilt. Angefeuert von der Corona-Krise verließ er die Wahlheimat Berlin für kurze Zeit, um ins dörfliche Jugendleben zurückzukehren und dort die Wurzeln quasi noch einmal neu zu finden. Den „Goldrausch“ findet er trotzdem in der großen Metropole - es braucht doch Raum für beides. „Rotwein & Kippen“ feiert den Moment und die kleinen Dinge des Lebens, „Clichée“ befasst sich mit den Irrungen und Wirrungen einer On/Off-Beziehung. Knapp mehr als zehn Minuten reichen als Statement mit viel Soul. Ohne Bewertung

Yakata - A Boy’s Latin
Natürlich fragt man sich mit der Zeit unweigerlich, wie viele Coming-Of-Age-Texte über das Heranwachsen im urbanen Wien verträgt man eigentlich noch? Damit lässt sich in der heimischen Popszene aber derzeit viel Land gewinnen, so ehrlich muss man sein. Und was auch sehr gut ist - die verschiedenen Bands und Künstler machen das ganz anständig. Das ist bei Yakata nicht anders. Psychedelischen Pop und West Coast Rock verwendet man selbst als Subgenre-Eigenbeschreibung, ohne die man heutzutage noch nicht einmal mehr eine Bandcamp-Seite aufmacht. Das trifft den dargebotenen Sonnenuntergangssound aber ganz gut. Die Single „Heat The Sun“ hat vor einiger Zeit schon vorgezeigt, was im Klangkosmos des Wiener Trios möglich ist, „Heavenly“ und „Golden Ticket“ laden erweitert zum elektronisch unterstützten Träumen ein. Ach ja - Wortspiele („Gin Chronic“, „Sry, Lanka“) müssen auch sein, sind aber doch leidlich gelungen. Der Sommer kann jetzt kommen. 7/10 Kronen

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