Kollaborationsalbum

Deap Lips: Wenn US-Psychedelik auf US-Blues trifft

Musik
08.04.2020 06:00

Wenn sich zwei kundige Bands zusammentun, um an etwas zu arbeiten, kommt im besten Fall etwas wirklich Gutes dabei raus. Genau so passiert bei „Deap Lips“, dem Album-Baby der Flaming Lips und Deap Vally. Bei Lindsey Troy und Julie Edwards von Deap Vally haben wir genauer nachgefragt.

(Bild: kmm)

Manchmal passen Dinge so gut zusammen, dass man im Nachhinein oft gar nicht mehr weiß, warum es bis zu einer Zusammenarbeit so lange dauerte. Auf der einen Seite haben wir die Flaming Lips, diese uramerikanischen Urgesteine des abstrakten Indie-Rock, die, angeführt von ihrem exzentrischen Frontmann Wayne Coyne, seit mittlerweile fast 40 Jahren die Flagge des Undergrounds hochhalten. Auf der anderen Seite haben wir Deap Vally, ein Zwei-Frauen-Gespann mit einem untrüglichen Gespür für Garage- und Surf-Rock, das sich erst 2011 formierte und mit der Musik der Flaming Lips aufgewachsen ist. Was heißt aufgewachsen? Lindsey Troy und Julie Edwards haben den Sound der Truppe aus Oklahoma förmlich aufgesogen. Wie es in der Musikwelt nun einmal gang und gäbe ist, ergaben gemeinsame Bekanntschaften und einzelne über-den-Schatten-Springer nun eine Gemengelage, die sich „Deap Lips“ nennt und genauso klingt, wie man sich das von außen vorstellt.

Stets auf Augenhöhe
Man hat einerseits die psychedelische, oftmals verträumte und in die Obskurität reichende Instrumentierung der Flaming Lips und andererseits den schnörkelloseren, mit einem Bein immer fest im Blues-Sumpf verhafteten Klang von Deap Vally und vermischt das Ganze nicht nur mit zusammengestoppelten Eigenkompositionen, sondern covert mit „The Pusher“ etwa auch einen Song von Steppenwolf, der selbst einem altgedienten Hasen wie Coyne als inspirierendes Relikt aus längst vergangenen Zeiten dient. Die Kombination aus den beiden ganz und gar nicht so gegensätzlichen Bands funktioniert jedenfalls auf voller Länge. Trotz des Respekts der Jüngeren vor den Älteren, hört man die Arbeit auf Augenhöhe aus jedem einzelnen Song heraus. Immerhin haben beide Bands keine Berührungsängste. Die Flaming Lips haben sich schon mit Erykah Badu, Miley Cyrus oder Yoko Ono ausgetobt, Deap Vally mit Peaches, Soko oder einem Teil der Savages. Dazu stehen Auftritte mit den Vaccines, Muse oder Marilyn Manson zu Buche.

„Es ist immer interessant zu sehen, wie andere arbeiten, weil man eine viel breitere Perspektive auf die Dinge bekommt“, erzählt Troy der „Krone“ im Interview, „wenn wir an Musik arbeiten ist uns in erster Linie immer wichtig, eine vorurteilsfreie und gemütliche Atmosphäre zu schaffen, in der sich jeder wohlfühlen kann. Jeder beginnt mit der Musik und hat einfach Spaß daran. All das passiert, bevor du in der Musikindustrie Fuß fasst. Was auch immer in deiner Karriere passiert, es darf dir niemals den Spaß nehmen.“ Deap Vally haben sich vor allem mit ihrem zweiten Album „Femejism“ (2016) einen Namen gemacht und ihren Sound aus Los Angeles hinaus in die weite Welt getragen. Angenehm zwanglosen Rock’n’Roll mit DIY-Attitüde vermischten die beiden darauf kongenial mit feministischen Botschaften und einem ohrenscheinlichen Hang zur Gleichberechtigung. Oder um es anders zu formulieren: Althergebrachtes mit Postmodernem.

Kacke, Windeln und Mittagsschlaf
„Wir kooperieren einfach so gerne mit anderen, dass wir auf unsere eigenen Songs oft vergessen“, lacht Julie Edwards, „das ist sicher auch ein Grund, warum es nach vier Jahren noch immer kein drittes Album gibt. Wir sind aber dran, zumindest mal an einer EP.“ Die Opfer, die man durch so ein Leben bringt, sind nicht zu unterschätzen. Zumal Edwards eine Zeit lang mit ihrem Baby tourte. „Bei uns heißt es eben manchmal Kacke, Windeln und Mittagsschlaf, statt Sex, Drugs und Rock’n’Roll“, lacht sie, „aber wenn eine Tour fertig ist, dann kriegt die Kleine mein Mann und ich schaue, dass ich etwas Schlaf nachhole.“ Wer dermaßen viel unterwegs ist und sich so seiner Musik verschreibt, der verpasst schon mal Geburten oder Hochzeiten von geliebten Menschen und merkt noch nicht einmal, dass sein Lieblingslokal für immer schließen musste. „Bei diesem Job fehlen dir alle Sicherheiten, aber das ist Teil des Spiels“, erklärt Troy, „wenn ich ein Restaurant aufmache, setze ich mich auch einem solchen Risiko aus.“

Während andere Musiker sich meist in ihren eigenen Blasen bewegen, scheren Deap Vally sogar bewusst aus. „Julie muss ohnehin Familie und Job unter einem Hut bringen und ich achte darauf, mich geistig zu fordern“, so Troy, „ich mache viele Online-Kurse, um am Ball zu bleiben und mich auch außerhalb der Musik-Bubble zu beschäftigen. Julie hat in LA Schauspiel- und Improvisationsjahrgänge besucht, bevor Mira auf die Welt kam. Für uns wäre es die Hölle, in einer Schleife á la ,Und täglich grüßt das Murmeltier‘ festzusitzen.“ Im musikalischen Schmelztiegel Los Angeles ist es naturgemäß nicht so einfach, sich aus dem Gros des Mitbewerbs hervorzuheben, was die zwei Powerfrauen aber schon immer mehr als Herausforderung, denn als Nachteil gesehen haben. „Wir atmen auch die Geschichte Kaliforniens“, sagt Troy, „als ich in der High School war, haben mich Jim Morrison und Frank Zappa so stark geprägt, das mich nichts anderes interessierte.“ Edwards pflichtet bei: „Manchmal überlege ich mir schon, was ich mit meiner Miete außerhalb der Stadt nicht alles kriegen könnte, aber ich müsste meine Freunde und die gesamte künstlerische Community zurücklassen. LA ist einfach der coolste Ort, um künstlerisch tätig zu sein.“

Künstlerische Freiheit
Über allen steht Deap Vally die völlige künstlerische Freiheit. Die Möglichkeit, die eigenen Visionen umsetzen zu können, ohne auch nur um einen Grad vom freigewählten Weg abzukommen. „Unser Debütalbum kam auf einem Major-Label raus, aber wir haben uns sofort aus diesem Vertrag gelöst“, erzählt Edwards, „ginge es mir ums Geld, dann hätte ich mich in ein Medizinstudium gekniet und wäre Ärztin geworden. Das interessiert mich übrigens noch immer und würde es ein nächstes Leben geben, dann würde ich gerne Chirurgin werden. Aber zurück zur Musik - das Majorlabel wollte, dass wir unser Produkt immer mit ihnen abstimmen. Für uns ist die Musik aber gleichermaßen Herzblut und Lebensaufgabe. Wenn das die andere Seite nicht so sieht, dann sollte man die Verbindung eben lieber lösen.“

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