Schauspielhaus Graz:

Flauschige Lethargie in Tschechows „Kirschgarten“

Steiermark
09.02.2019 15:11

Die Lethargie eines sterbenden Systems und die verheerende Sehnsucht nach den goldenen Zeiten hat Anton Tschechow in „Der Kirschgarten“ in ironiegetränkten Szenen festgehalten. Der ungarische Regisseur András Dömötör inszeniert den Klassiker am Schauspielhaus Graz in starken Bildern, die Stoff und Figuren jedoch in ihrer exorbitanten Flauschigkeit erdrücken.

Im Auge des Sturms herrscht bekanntlich völlige Windstille. Diese meteorologische Beobachtung hält auch als Metapher für gesellschaftliche Umbrüche stand, das hat Anton Tschechow in seinem letzten großen Drama „Der Kirschgarten“ eindrucksvoll bewiesen.

Mit völliger Lethargie lässt er darin den alteingesessenen Gutsherren-Clan Ranjewskaja auf den bevorstehenden Bankrott und damit verbundenen Verkauf des titelgebenden Kirschgartens reagieren. Stattdessen gibt man sich ein letztes Mal dem herrlichen Glanz der Vergangenheit hin. Nur Lopachin, der einstige Leibeigene, erkennt die Zeichen der Zeit und versucht Profit aus der Wende zu schlagen.

Ein Wald aus bauschigen Stoffbahnen
In Dömötörs Inszenierung wird Tschechows herrlich blühender, aber fruchtloser Kirschgarten zu einem dichten Wald aus bauschigen Stoffbahnen. Optisch erinnern diese an „Swiffer“-Tücher, die den Klassiker aber nicht entstauben, sondern dämpfen. Tschechows ironischer Grundton verliert sich völlig in dieser wattierten Welt, was bleibt sind einzelne Gags, die sich auf designierte Witzfiguren (allen voran Mathias Lodd als tollpatschiger Buchhalter Jepichodow) verteilen.

Wirkmächtige Bilder
Der von Sigi Colpe kreierte Bühnenraum erlaubt starke und wirkmächtige Bilder, und auch ihre Kostüme spiegeln den im Stück thematisierten Übergang von der samtenen Dekadenz der Ranjewskajas zur nüchtern-berechnenden Polyester-Welt Lopachins. Doch die Figuren, die Dömötör in diese Kostüme steckt und in diese Bilder stellt, wirken, als ob sie von Anfang an schon für den bevorstehenden Auszug aus dem ramponierten Gutshof in die flauschigen Stoffbahnen verpackt worden wären.

Blutleere Figuren
Evamaria Salchers Gutsbesitzerin Ranjewskaja ist in ihrer Resignation so abgestumpft, dass nicht einmal die Erinnerungen an ihren verstorbenen Sohn noch echte Gefühle auszulösen scheinen. Ihr Bruder Leonid (Jörg Thieme) ergeht sich in dekadenten Säuseleien, und ihr Privatsekretär Jascha (Raphael Muff) ertränkt die Ödnis der Provinz im Champagner. Tochter Anja (Tamara Semzov) und ihr pseudointellektueller Lover (Pascal Goffin) träumen von einem Aufbruch, der jedoch nie mehr als eine leere Geste zu sein scheint. Und auch der strebsame Lopachin (Nico Link) ist kein funkelnder Vertreter eines neuen Systems, sondern versprüht vielmehr den Charme des Unvermeidlichen.

Fehlende Dringlichkeit
Und so fehlt dem Abend, trotz vieler guter Ideen und schöner Momente am Ende die Dringlichkeit: Man hört zwar ständig das Knirschen im Gebälk des herrschaftlichen Anwesens (Musik: Tamás Matkó), doch der Druck von außen, der hier vermeintlich auf das alte System einwirkt, und der Sturm einer Zeitenwende, der angeblich aufzieht, ist nie wirklich zu spüren. Und das obwohl unsere Gegenwart voll solcher Stürme ist.

Das Resultat ist daher dem Kirschgarten im Stück nicht ganz unähnlich - wunderschön anzuschauen, aber ohne großen Ertrag. Das ist zwar irgendwie im Geiste Tschechows, letztlich aber sogar für den russischen Meister der Lethargie unnötig fad. Am Ende gab es vom sonst so freundlichen Grazer Premierenpublikum sogar vereinzelte Buh-Rufe.

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