Tabu-Thema

Kinderprostitution und Sexarbeit in Wien

Wien
06.04.2009 12:09
"Von Prostitution kann man nicht reden, es handelt sich immer um sexuellen Missbrauch, wenn es um Minderjährige geht", sagte Elisabeth Mayer, leitende Sozialarbeiterin im Ambulatorium für sexuell übertragbare Krankheiten der MA 15. "Jede Geschichte ist tragisch, was da 13- oder 15-Jährige schon an Missbrauch erlebt haben", findet auch Martin Haiderer, Sozialarbeiter und Leiter der a_way-Notschlafstelle hinter dem Wiener Westbahnhof, nur schwer Worte dafür, was jene Jugendliche, die zu ihm kommen, bereits erlebt haben und sie dazu treibt, ihren Körper zu verkaufen.

Kinderprostitution gibt es auch in Wien. Das Problem in Zahlen zu fassen, ist allerdings schwer, "weil es ein großes Tabu ist", meinte Haiderer. Vielleicht gibt es auch deswegen keine Einrichtung, die sich offiziell der Probleme von Minderjährigen annimmt, die ihren Körper verkaufen (müssen). Etwa ein Drittel der Klientel von a_way geht der Prostitution nach. Geschätzte 120 dürften es im Jahr 2008 gewesen sein.

Beider Geschlechter gleichermaßen betroffen
"Wir nehmen das Phänomen schon wahr. Viele werden aufgrund ihrer prekären Lebenssituation dazu gezwungen, ihren Körper zu verkaufen", sagte Haiderer. Seriöse Zahlen zu nennen, sei ganz schwer. Etwa ein Drittel der 370 Kinder und Jugendlichen, die im Jahr 2008 die Notschlafstelle aufsuchten, prostituieren sich. Unter den Betroffenen selbst ist es ein sehr sensibles Thema. "Sie kommen ja nicht vordergründig wegen Problemen mit der Prostitution, sondern weil sie eine Schlafstelle brauchen." Burschen verleugnen ihre Situation eher, sprechen sie kaum an. Betreffen tue es aber beide Geschlechter gleichermaßen.

Zweckgemeinschaften "mit älteren Beschützern"
Die Jugendlichen, die zu dieser Schutzeinrichtung kommen, sind im Alter ab 13 bis zur Volljährigkeit. Einige sind schon älter "20 oder 21", meinte Haiderer. Ihr größtes Problem: Sie haben keine Möglichkeit, legal an Geld zu kommen. "Die Probleme mit der Herkunftsfamilie sind oft viel zu schwerwiegend, sie haben kein Taschengeld, keinen Anspruch auf Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als ihren Körper zu verkaufen. Oder sie gehen Zweckgemeinschaften "mit älteren Beschützern ein", mit Freiern also.

Menschenhandel und Sexarbeit
"Wenn ein 16-Jähriger in einem Einkaufszentrum von einem Freier aufgepickt wird, ist das nicht Sexarbeit, sondern da nutzt jemand etwas aus", meinte auch Frank Amort, Leiter der Präventionsabteilung der Aids Hilfe Wien. Bei dem Thema "ist man immer schnell dort, wo es um Menschenhandel geht und dann ist es nicht mehr Sexarbeit."

Tatsächlich werden jährlich laut Bundeskriminalamt (BK) nur wenige Fälle von Kinderprostitution angezeigt. "Und wenn, dann in Zusammenhang mit anderen Ausbeutungsfällen", sagte BK-Sprecher Gerald Tatzgern. Etwa in Verbindung mit Kinderhandel. "Wenn Kinder nicht gut genug betteln, dann werden sie für Sex vermietet." Auf diese Weise machen die Hintermänner Druck auf die Kinder, damit sie sich beim Geldbeschaffen mehr Mühe geben.

"Der Hauptgrund ist Beschaffungsprostitution wegen Drogen"
Die meisten Minderjährigen, die "sich verkaufen", haben ein Drogenproblem. Es ist ein Teufelskreis - denn gleichzeitig macht Suchtgift das, was die Jugendlichen über sich ergehen lassen, auch scheinbar erträglicher. "Der Hauptgrund ist Beschaffungsprostitution wegen Drogen", bestätigte Sozialarbeiter Haiderer. Wenn man ständig Heroin benötigt, geht man schnell ans Limit und verkauft sogar seinen Körper. Auch wenn es nur ganz wenige Jugendliche sind, es gibt aber auch welche, die es tun, um sich ihre Markenkleidung finanzieren zu können, erzählte der Sozialarbeiter.

Den klassischen "Babystrich" gibt es nicht mehr
Laut Mayer sei es aber "Gott sei Dank so", dass am Straßenstrich in der Leopoldstadt und in Wien-Fünfhaus kaum mehr Minderjährige anzutreffen sind. Dies führt die Sozialarbeiterin nicht zuletzt auch auf die erhöhte Polizeipräsenz zurück. Vereinzelt aber ziehen die Minderjährigen doch noch im Stuwerviertel oder am Karlsplatz, wo sich vor allem die Drogenszene konzentriert, oder hinter dem Westbahnhof ihre Runden, meinte Haiderer.

Das Phänomen der Kinderprostitution ist sicher in Wien fokussiert, meinte der Sozialarbeiter. Kinder und Jugendliche aus den Bundesländern "kommen hier her, aber auch dort gehen Jugendliche auf den Strich", sagte er. Die größten Drogenszenen und somit auch Szene für Prostitution gäbe es in Wien und Innsbruck.

Nicht als Täter, sondern als Opfer betrachten
80 Prozent der Klientel von a_way sind österreichische Staatsbürger, "dazu gehören auch die Kinder der zweiten und dritten Zuwanderer-Generation". Knapp 400 Jugendliche suchen pro Jahr die Schlafstelle auf, einige kommen über Monate hinweg, andere wieder nur ganz vereinzelt.

Dass sich Jugendliche prostituieren müssen, aus welchen Gründen immer, werde man nie ganz vermeiden können, meint Haiderer. Wichtig wäre aber, den Heranwachsenden andere Einkommensmöglichkeiten zu schaffen, ihnen Alternativen zu bieten und sie nicht als Täter, sondern als Opfer zu betrachten.

Symbolfoto

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