"Krone"-Interview

“Zerbrechen des Euro ist eine ganz reale Gefahr”

Österreich
02.12.2011 18:38
Im "Krone"-Interview mit Conny Bischofberger spricht Bundeskanzler Werner Faymann über die heikle Mission der Euro-Retter, bevorstehende Vertragsänderungen beim Gipfel in Brüssel am 8. und 9. Dezember und damit verbundene Volksabstimmungen sowie die Millionärssteuer, die Geld in die österreichische Staatskasse spülen soll.

Donnerstagabend im Bundeskanzleramt am Wiener Ballhausplatz: Ein vergnügter Kanzler lässt sich Espresso ohne Zucker servieren und erzählt mit fast kindlicher Freude, dass er bereits ein Fenster seines Adventkalenders geöffnet habe, und zwar das vierte, weil die Vier seine Lieblingszahl sei. Es ist der Abend vor seinem Treffen mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel in Berlin. Am Freitag hat in der deutschen Hauptstadt das Endspiel um den Euro begonnen.

"Krone": Herr Bundeskanzler, Sie sind am Freitag in Berlin. Ist Österreich in Wahrheit nicht nur ein unbedeutender Nebenschauplatz im europäischen Finanzchaos?
Werner Faymann: Ganz, ganz klares Nein. Österreich ist ja innerhalb der Europäischen Union eines der ganz wenigen Länder, das einerseits eine geringe Jugendarbeitslosigkeit und andererseits ein sehr hoch entwickeltes Sozialsystem hat. Auch mit unserer Bonität gehören wir zu den Besten.

"Krone": Wir haben Triple A gerade noch behalten.
Faymann: Bei den Abweichungen zu den Deutschen sind wir in der Euro-Zone auf Platz 5 von 17, hinter uns ist Frankreich. Wenn wir in eine Triple-A-Diskussion geraten, obwohl wir auf Platz 5 sind, kann man das auch nicht beeinflussen. Aber man muss gegensteuern, denn Ziel kann es ja nur sein, dass wir noch weiter aufrücken. Aber wir sind auf Platz 5. Und wenn man so hervorragende soziale Daten hat - obwohl es auch bei uns genug Menschen gibt, die Sorgen haben, wie sie ihr Leben bestreiten können - dann bedeutet das sehr wohl eine herausragende Stellung. Als österreichischer Bundeskanzler werde ich von den Kollegen immer beneidet. Sie sagen: "Das muss schön sein, da Regierungschef zu sein."

"Krone": Ärgern Sie sich, dass die Opposition gegen die Schuldenbremse Stimmung macht?
Faymann: Die Schuldenbremse wird mit Mehrheit durchgehen. Ich hätte sie gerne im Verfassungsrang und ich muss sagen, dass die Grünen da sehr ernst verhandeln, und auch mit dem BZÖ hat es viele sachliche Gespräche gegeben. Dass die FPÖ uns ausgerichtet hat, wir sollen einmal aus dem Euro austreten, dann könnten wir weiterreden, das ist so absurd und zeigt, wie unseriös diese Partei ist. Ich kann nur hoffen, dass man die vielen Menschen, die aus Protest für so eine Partei eintreten, zurückgewinnen kann.

"Krone": Wäre es nicht ehrlicher, sich statt der Schuldenbremse einmal um die Beamtenprivilegien und um das Frühpensionisten-Paradies Österreich zu kümmern?
Faymann: Ja, aber die Schuldenbremse wird ja nicht statt der Verwaltungsreform gemacht. Auch die Regulierung der Finanzmärkte nicht, mit denen man verhindert, dass uns die Krise noch einmal zwei Billionen Euro kostet. Das muss man sich einmal vorstellen!

"Krone": Das kann man sich nicht vorstellen...
Faymann: Nein, man kann sich das wirklich nicht vorstellen. Bei zwei Billionen kann man sich nicht nur fragen: "Was können wir wo kürzen und streichen?" Da muss man vielschichtig handeln. Die Einsicht auf europäischer Ebene ist in der Bevölkerung stärker als in den Regierungen. Wenn man die Finanzmärkte regelt, muss man trotzdem die Schulden begrenzen, schon deshalb, damit wir nicht so hohe Zinsen bezahlen. Jeder Prozentpunkt Zinsen kostet uns nach zehn Jahren zwei Milliarden Euro. In Italien sind es übrigens 30 Milliarden Euro. Deshalb bin ich für diese Schuldenbegrenzung, weil viele Antworten - gerade in einer Finanzmarktkrise - Österreich alleine nicht geben kann.

"Krone": Wird der Euro zerbrechen, so wie es die Rating-Agenturen orakeln?
Faymann: Ich halte es nicht für ausgeschlossen. Im Gegenteil: Wenn es uns nicht gelingt, mehr Rahmenbedingungen, Fundamente, Regeln zu bauen und auch einzuhalten, können viele Länder der Euro-Zone die extrem hohen Zinsen für Staatsanleihen nicht mehr bezahlen. Der nächste Effekt: Sie finden niemanden mehr, der ihnen die Staatsanleihen abkauft. Dann müsste die Euro-Zone ja schon deshalb zerbrechen, weil dann von den 17 ein, zwei, drei, fünf, zehn nicht mitkönnen. Daher ist es eine ganz reale Gefahr.

"Krone": Was bringen Schutzschirme?
Faymann: Jeder Schutzschirm ist für Österreich ein anteiliges Risiko, aber wir müssen Europa zusammenhalten, wir dürfen dieses gemeinsame Europa nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.

"Krone": Beim nächsten Gipfel geht es um ein letztes Maßnahmenpaket und wohl auch um Vertragsänderungen. Sie haben ja immer gesagt, es soll für diesen Fall eine Volksabstimmung geben. Wann soll denn die kommen?
Faymann: Wenn eine Vertragsänderung Richtung Fiskalunion kommt, wenn also eine gemeinsame Wirtschaftsregierung gebildet wird, und ich schließe das nicht aus, dann wird es nicht nur in Österreich, sondern in den meisten Ländern Volksabstimmungen geben. Das wäre auch so, wenn ich den so umstrittenen und oft zitierten Leserbrief nicht geschrieben hätte.

"Krone": Könnten aufgrund dieser Volksabstimmung die Nationalratswahlen vorgezogen werden?
Faymann: Nein, ich schätze, dass das mindestens drei, vier Jahre dauern wird. Man muss aber bereits jetzt Maßnahmen treffen, um die gemeinsame Währung zu stabilisieren.

"Krone": Ihr Parteifreund Hannes Androsch hat sagt: "Wir haben kein Euro-Problem, sondern ein politisches Problem." Pflichten Sie dem bei?
Faymann: Ja. Weil der Euro ja gegenüber dem Dollar relativ gut dasteht. Es war in der Tat ein politischer Fehler, dass man eine Euro-Zone eingerichtet hat, von der am Anfang alle profitiert haben, niedrige Zinsen, Exportsicherheiten, aber keine gemeinsamen Regeln geschaffen hat. Die Währung kann da nichts dafür.

"Krone": Die Notenbanken haben jetzt wieder sehr viel Geld in die Finanzmärkte gepumpt. Wenn Sie ganz ehrlich sind, kennen Sie sich noch aus mit den Milliarden, Billionen, Trilliarden und Trillionen?
Faymann: Eine Billion sind 1.000 Milliarden (lacht).Billionen sind derzeit das Höchste, worüber wir diskutieren, und das ist schon erschreckend. Ich hoffe, ich erlebe nicht, dass ich mich auch noch in Trilliarden und Trillionen reinarbeiten muss. Nein, im Ernst: Glücklicherweise habe ich hoch angesehene Finanzexperten, die mich in diesen Fragen beraten.

"Krone": Das Vertrauen in die Politik ist momentan im Keller. Wäre es da nicht eine gute Idee, durchs Land zu tingeln und den Leuten die EU einmal zu erklären?
Faymann: Es besteht die Gefahr, dass das Primat der Politik europaweit verlorengeht. Die Finanzmärkte sind so stark geworden, dass wir ihnen hinterherlaufen. Wir haben das Heft nicht mehr in der Hand. Jetzt kann man lang darüber reden, wer daran schuld ist. Tatsache ist, dass wir das Vertrauen wiederherstellen müssen. Tingeln ist gut und schön, aber tingelt man nicht auch durchs Land, indem man in den Medien Stellung nimmt? Ich glaube, man braucht beides: den direkten Kontakt und den über die Medien.

"Krone": Kommt das direkte Tingeln da im Vergleich nicht zu kurz?
Faymann: Ich kann wahrscheinlich nicht ausreichend Marktplätze besuchen, um völlige Aufklärung zu betreiben.

"Krone": "Her mit dem Zaster!" Mit diesem Spruch hat Ihre Regierungskollegin, Innenministerin Johanna Mikl-Leitner, für Furore gesorgt. Haben Sie sich an dieser Ausdrucksweise gestoßen?
Faymann: Nein. Die wichtigere Frage ist, wo kommt das Geld her, das jene, die sich mehr leisten könnten, beitragen müssen?

"Krone": Bleibt's bei der Millionärssteuer?
Faymann: Ja. Ich gehe davon aus, dass wir nicht in der Lage sind, eine Größenordnung von - ich sage jetzt einmal - sieben Milliarden Euro bis 2017 einzusparen, damit uns dann die Zinsvorteile zugutekommen. Deshalb brauchen wir vermögensbezogene Steuern - ichngserlösen - genauso dringend wie die Finanztransaktionssteuer, die bis zu einer Milliarde Euro bringen könnte.

"Krone": An Rene Benko mit seinem Kaufhof-Deal zum Beispiel denken Sie auch?
Faymann: Da gibt es eine Menge Deals. Es gehören doch viele Grundstücke einigen ganz wenigen, und die verdienen mehr, als unsere besten Facharbeiter mit harter Arbeit ihr Leben lang je verdienen können.

"Krone": Die Reichen sagen: "Wir zahlen ja eh schon so viel Steuer!"
Faymann: Ja, aber jeder Arbeiter, jeder Angestellte zahlt auch schon so viel, im europäischen Vergleich sogar besonders viel, während Vermögende im europäischen Vergleich besonders wenig bezahlen. Wenn man für Fairness und soziale Gerechtigkeit ist, dann kann man Sparpakete nicht schnüren, ohne diese Gruppe einzubeziehen. Bei uns können reiche Leute genauso wie andere leben, und wenn in Österreich jemand besonders erfolgreich ist, wird das auch anerkannt. Aber sie sollen auch ein bisserl mehr beitragen.

Morgen liest du: Faymann und sein Facebook-Debakel

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