Viele Anzeigen, relativ wenige Verurteilungen: Diese Diskrepanz bei Gewalt in Familien, vor allem gegen Frauen, liegt vor allem an der schwierigen Beweisführung. In der Grazer Gewaltambulanz werden frische Spuren der Taten für Prozesse gesichert. Die Bilanz nach dem ersten Jahr zeigt, wie wichtig diese Einrichtung ist.
Leider ist es kein Einzelfall: Bei der Einvernahme vor der Kriminalpolizei schildert eine Frau, wie sie ihr Lebensgefährte schwer verletzt hat. Als es dann zum Gerichtsprozess gegen den Mann kommt, relativiert sie dessen Taten. „Ob aus Solidarität oder Angst, wir wissen es nicht“, sagt Verena Oswald, Richterin am Grazer Straflandesgericht.
Es kommt dennoch zu einer Verurteilung. Entscheidend ist, dass die Verletzungen der Frau kurz nach der Tat dokumentiert worden sind – und zwar in der Gewaltambulanz an der Medizin-Uni Graz. Diese Einrichtung gibt es schon seit 2008, im Vorjahr wurde mit der Erweiterung, neuen Räumlichkeiten und Förderungen des Bundes ein Meilenstein gesetzt. Nun wurde eine Bilanz gezogen, die betroffen macht.
Als Medizinische Universität Graz tragen wir eine besondere gesellschaftliche Verantwortung – insbesondere in sensiblen Bereichen wie dem Gewaltschutz.
Med-Uni-Rektorin Andrea Kurz
Bild: helmut lunghammer
237 Untersuchungen in einem Jahr
Nicht weniger als 237 klinisch-forensische Untersuchungen, von Kopf bis Fuß, inklusive Fotos und schriftlicher Dokumentation, wurden von April 2024 bis März 2025 durch Gerichtsmediziner durchgeführt. Das ist fast eine Verdreifachung im Vergleich zu den Jahren davor! „Und die Zahlen steigen weiter, der Plafond ist noch nicht erreicht“, sagt Sarah Heinze, Leiterin der Gerichtsmedizin und der Gewaltambulanz. „Das zeigt: Wir werden bekannter und immer stärker akzeptiert.“
Es kommt auch zu mehr Gerichtsverfahren wegen Gewalt, sexueller Nötigung und Drohungen im sozialen Nahbereich, also innerhalb von Beziehungen oder nach deren Ende. Österreichweit waren es im Vorjahr etwa 1600 Anklagen, in der Steiermark circa 300, berichtet Michael Schwanda, Präsident des Oberlandesgerichts Graz. Heuer dürften es noch mehr werden. Schwanda führt das auch auf ein gestiegenes Bewusstsein zurück.
„Taten oft hinter verschlossenen Türen“
Allerdings ist die Zahl der Verurteilungen eher stagnierend, im Vorjahr waren es bundesweit 589 (160 in der Steiermark). „Die Taten finden oft hinter verschlossenen Türen statt, es gibt keine unmittelbaren Zeugen. Vor Gericht steht dann Aussage gegen Aussage“, verdeutlicht Richterin Oswald die schwierige Beweisführung. Die Folge: viele Freisprüche im Zweifel. Umso wichtiger ist die Arbeit der Gewaltambulanz.
Neben Graz gibt es mittlerweile auch in Wien eine solche Einrichtung. Die beiden konnten im Doppelbudget 2025/26 finanziell abgesichert werden, betont Frauenministerin Eva-Maria Holzleitner (SPÖ) in Graz. Sie bezeichnet die Ambulanz als „zentralen ersten Schritt für Betroffene raus der Gewaltspirale“, die ebenfalls anwesende Justizministerin Anna Sporrer (SPÖ) lobt die „Pionierarbeit“ in Graz: „Opfern soll diese Einrichtung Mut machen.“
Weitere Ambulanzen in Österreich soll folgen, der Ausbau ist im Regierungsprogramm vorgesehen. Gespräche mit Innsbruck seien schon recht weit, so Sporrer.
Weite Anreise der Opfer als Problem
Voller Tatendrang sind in Graz jedenfalls Sarah Heinze und ihr Team. Sie kündigt neue Handlungsempfehlungen und Schulungen an, bis Frühherbst soll zudem ein telemedizinisches Angebot in Leoben starten. Weitere Standorte folgen im Idealfall, um den Gewaltopfern die teils lange Anreise nach Graz zu ersparen – man deckt ja auch Kärnten und das Südburgenland mit ab.
Bei langen Anreisen geht wertvolle Zeit für die Beweissicherung verloren. „Wir hatten vor Kurzem eine ältere Dame aus dem Bezirk Deutschlandsberg, die erst zu Mittag kommen konnte, weil sie auf den öffentlichen Verkehr angewiesen war und vorher kein Bus gefahren ist“, berichtet Heinze aus der Praxis.
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