„Das ist unglaublich“

Spezielle Therapie lässt Alexander wieder lachen

Tirol
01.06.2025 08:34

„Mama, bin ich denn nicht normal?“ – diese Frage ging Tanja Oberacher (47) aus Rum in Tirol durch Mark und Bein. Ihr Sohn Alexander (6) legte im Kindergarten plötzlich unübliche Verhaltensweisen an den Tag. Der Weg auf der Suche nach Antworten war steinig und lang.

Alexander Oberacher erblickte vor sechs Jahren das Licht der Welt. „Als er in den Kindergarten kam, hat er sich immer wieder zurückgezogen, wenn es ihm zu laut war – etwa bei aufgedrehter Musik. Zudem hatte er Probleme im Umgang mit einer Schere, drückte Stifte zu fest an und konnte selten ruhig sitzen“, erinnert sich seine Mama Tanja Oberacher.

Eines Tages kam vom Land eine Logopädin, die mitunter auch Alexander untersucht hat. Es fand folglich ein Gespräch zwischen ihr, der Kindergärtnerin und der Leiterin dieser Einrichtung statt. „Mir wurde mitgeteilt, dass mit meinem Sohn etwas nicht stimme, er anders sei als die anderen. Sogar von ADHS war die Rede. Das war alles Neuland“, sagt die 47-Jährige. Es folgten viele Untersuchungen etwa an der Klinik Innsbruck. „Doch niemand hat je etwas festgestellt.“

Alexander (6) beim Hörtest voll konzentriert bei der Sache.
Alexander (6) beim Hörtest voll konzentriert bei der Sache.(Bild: Birbaumer Christof)
Dorothee Plattner ist INPP-Therapeutin in Innsbruck.
Dorothee Plattner ist INPP-Therapeutin in Innsbruck.(Bild: Dorothee Plattner)

Vorschullehrerin brachte spezielle Therapieform ins Spiel
Vom Kindergarten kam der kleine Mann dann in die Vorschule. „Auch dort sagte mir seine Lehrerin, dass mit Alexander etwas nicht in Ordnung sei. Beispielsweise habe er Schwierigkeiten gehabt, sich in der Gruppe zu konzentrieren. Ich stellte die Haare auf, erneute Untersuchungen erschienen mir sinnlos“, betont sie – und dann passierte etwas, das alles veränderte. „Die Lehrerin überreichte mir einen Info-Folder von Therapeutin Dorothee Plattner. Wir sahen das als unsere Chance, Alexander zu helfen.“

Frühkindliche Reflexe nicht zurückgebildet
Im Oktober 2024 fand der Erstkontakt zwischen der Familie und der Therapeutin statt. Alexander wurde ausgetestet – mit Erfolg! „Endlich gab es eine Diagnose: Bei unserem Sohn waren die frühkindlichen Reflexe nicht gänzlich zurückgebildet. Und es bestätigte sich beim Hörscreening, dass er das Gehörte nicht optimal verarbeiten kann.“

Hierbei spricht man vom Moro-Reflex. Das ist ein primitiver Reflex, der sich ab der 9. Schwangerschaftswoche zu entwickeln beginnt. Er sollte um den 6. Lebensmonat gehemmt sein. Ist das nicht der Fall, kann es zu Auswirkungen kommen – beispielsweise Leseprobleme. 

Die weitere gute Nachricht: Es gab Therapieansätze, die Alexander helfen werden! „Hier handelt es sich einerseits um die INPP-Methode, die von Dr. Peter Blythe entwickelt wurde. Anhand eines entwickelten Test- und Behandlungs-Instrumentariums können hinter Lern-, Verhaltens-, Bewegungs- und Wahrnehmungsproblemen bei Kindern und Jugendlichen die Faktoren neuromotorischer Unreife entdeckt werden. Das eröffnet neue Chancen, Menschen zu helfen, indem an den Ursachen und nicht an den Symptomen angesetzt wird“, sagt Plattner.

Speziell angepasstes Hörtraining
Andererseits sei von der Johansen Individualisierten Auditiven Stimulation (JIAS) die Rede, die von Dr. Kjeld Johansen entwickelt wurde. „Das ist ein individuell angepasstes Hörtraining, das darauf abzielt, die Hörwahrnehmung und -verarbeitung zu verbessern – insbesondere die Fähigkeit, gesprochene Sprache klar und differenzierter zu hören; die Filterung von Hintergrundgeräuschen zu optimieren; die Unterscheidung ähnlicher Laute zu fördern; die links-rechts-Hörverarbeitung im Gehirn zu harmonisieren und die Aufmerksamkeit, Konzentration und Lernfähigkeit zu steigern“, erläutert Plattner.

Daten und Fakten

Die Wirksamkeit der INPP-Methode wurde laut Therapeutin Dorothee Plattner in einer Doppelblindstudie im Jahre 2000 bestätigt und im renommierten Wissenschaftsjournal „The Lancet“ veröffentlicht. Die Studie zeigte, dass die INPP-Übungen die neuromotorische Entwicklung verbessern können.

Insbesondere die INPP-Bewegungsübungen wurden in einer Studie der Queen‘s University Belfast nach standardisierten Methoden geprüft und die Wirksamkeit des Programmes nachgewiesen.

Einfache Übungen für Zuhause
Die Familie willigte zur Therapie ein. „Das bedeutete, dass wir einfache Übungen mit nach Hause bekamen, die wir mit Alexander täglich rund fünf Minuten durchführen müssen. Zudem muss unser Sohn täglich Musik-Dateien mittels Kopfhörer anhören“, schildert die 47-Jährige, „anfangs hatten wir Zweifel, ob das funktionieren kann und ob wir Eltern die Umsetzung auch richtig beherrschen. Doch wir werden von der Therapeutin stets begleitet. Und es zeigte sich rasch, dass diese Übungen tatsächlich wirkten, sich sein Verhalten positiv veränderte – das war und ist immer noch sensationell, unglaublich, wunderschön.“ So habe Alexander plötzlich von selbst angefangen, zu lesen. Und während einer Autofahrt sitze er mittlerweile ganz ruhig auf seinem Sitz – früher sei er immer zappelig gewesen.

„Ich hätte nie von diesen Therapieformen erfahren“
Prinzipiell gelte laut der Therapeutin: „Je jünger die Kinder sind und je weniger Probleme sich manifestiert haben, umso schneller kommen sie ans Ziel. Sobald die frühkindlichen Reflexe auf null gehemmt sind, bleibt dies so ein Leben lang – dann kann die Therapie beendet werden. Wir sprechen von rund einem Jahr.“

„Ich hätte nie von diesen beiden Therapieformen erfahren. Denn nirgends liegen Details auf und auch die ÖGK übernimmt hier leider keinerlei finanzielle Unterstützung, obwohl der wissenschaftliche Nachweis gegeben wäre. Das ist natürlich sehr schade, denn ich bin davon überzeugt, dass vielen Kindern damit geholfen werden könnte“, betont Oberacher. Ihre Vision, die auch von Plattner unterstützt wird: „Beide Testverfahren sollten in das zweite Kindergartenjahr integriert werden, um gegebenenfalls vor der Einschulung die Trainingsprogramme durchzuführen – damit jedes Kind auch die Chance erhält, einen leichten und freudvollen Schulstart zu erleben. So kommt es erst gar nicht zu einer Frustrationsspirale.“

„Evidenz ist nicht ausreichend“
Es gibt zwei Gründe dafür, warum die ÖGK die Kosten dieser Therapieform nicht übernimmt. „Derzeit liegt uns zur INPP-Methode und ihren Anwendungen – inklusive des Hörtrainings – keine ausreichende wissenschaftliche Evidenz vor. Es fehlen qualitativ hochwertige Vergleichsstudien mit Standardtherapien. Bestehende Studien weisen methodische Schwächen auf, groß angelegte, randomisierte kontrollierte Studien mit belastbaren Aussagen zur Wirksamkeit existieren nicht“, heißt es auf „Krone“-Nachfrage bei der ÖGK.

Die ÖGK erklärt ihre Sichtweise zu dieser Therapieform
Die ÖGK erklärt ihre Sichtweise zu dieser Therapieform(Bild: Birbaumer Christof)

„Nicht im Zuständigkeitsbereich“
Unabhängig von der Evidenzlage falle die INPP-Methode nicht in den Zuständigkeitsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung. „Es handelt sich laut Eigendarstellung der Anbieter primär um entwicklungsfördernde Maßnahmen zur Verbesserung der (Schul-)Reife, etwa durch Förderung von Selbstvertrauen, Konzentration, Empathie oder Durchsetzungsvermögen. Damit sprechen wir hier nicht von einer Krankenbehandlung im Sinne des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes.“

Die ÖGK setze auf evidenzbasierte Versorgung im Sinne ihrer Versicherten – „mit anerkannten Therapien, die nachweislich wirksam und medizinisch indiziert sind“.

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