Der Kampf um die Zukunft von 50 elternlosen Kinder aus der Ukraine scheint verloren: Sie sollen jetzt trotz der neuen Kriegseskalation zurück in ihr Heimatland geholt werden. Auch das Land Burgenland steht dafür heftig in der Kritik.
„Ihr fahrt zurück in eure Heimat, in die Ukraine!“ Pascale Vayer versucht, die Kleinen mit viel Lachen und Jubel auf die neue Situation einzustimmen, um sie nicht zu ängstigen. Aber sobald die Türen zu sind, weint sie hemmungslos. „Ich fühle mich ihnen gegenüber wie eine Verräterin. Weil wir die kleinen Waisen, die keine Lobby haben, keine Stimme, in den Krieg schicken. Was ist das für eine Welt!“
Als die Initiatorin von „Kleine Herzen“ die Kinder – viele von ihnen gehandicapt – vor drei Jahren ins Burgenland brachte, waren ihre Traumata offensichtlich. Diese kleinen, todernsten Gesichter, diese großen Augen. Diese stillen Kinder.
Heute ist die Verwandlung unverkennbar, die Pascale Vayer und den ukrainischen Erzieherinnen gelungen ist. Die Kinder, die konsequent in ihrer Heimatsprache und Kultur betreut wurden, lachen, spielen, sind fröhlich, sehr gepflegt, offen. Selbst eines, das damals fast nicht den Kopf heben konnte, nimmt heute am Geschehen teil, wurde teilmobilisiert. Doch jetzt sollen sie zurück. Von der österreichischen Sicherheit in ein Land, auf das Bomben fallen, in dem so viele umkommen.
Ich bin die Erste, die die Kleinen zurückbringt, sofort, selbst, mit Freude. Aber doch nur, wenn Waffenruhe herrscht. Nicht, wenn sie getötet werden könnten.
Pascale Vayer
Als Lebensretterin ausgezeichnet
Pascale Vayer ist fassungslos. Ihr, die im Dezember 2022 mit der Lebensretter-Auszeichnung für die Evakuierung, Unterstützung und Betreuung der Kinder geehrt wurde, weht jetzt, wie sie sagt, auch von der burgenländischen Behörde ein eiskalter Wind ins Gesicht. „Man wirft mir vor, ich wollte die Kinder nicht zurückgeben, ich würde nur Ärger machen. Nein! Ich bin die Erste, die die Kleinen zurückbringt, sofort, selbst, mit Freude. Aber doch nur, wenn Waffenruhe herrscht. Nicht, wenn sie getötet werden könnten!“ Zwei Monate hat sie dafür gekämpft, dass sie fürs Erste noch bleiben dürfen, „wie eine Löwin“.
Unterstützung kam auch von Johannes Wallner von SeneCura, wo die Kinder und ihre Betreuerinnen Unterkunft gefunden haben. „Wir haben Anzeige bei der Bezirkshauptmannschaft Güssing gemacht“, sagt er. „Wegen Gefährdung des Kindeswohls, denn das ist es ja wohl, wenn man Unmündige in ein Kriegsgebiet schickt, das unter Drohnen- und Bombenangriffen steht. Doch die Sozialabteilung des Landes sagt, sie glaubt den Berichten der Ukraine, wonach die Kinder sicher sind. Ich nicht! Man schickt sie wissentlich in ein Kriegsgebiet.“
Mitten in der Nacht abgeholt
Am 1. Juni sollen die Kinder um 3 Uhr morgens aus ihren Betten geholt, in Busse verfrachtet und abtransportiert werden. Wenn nötig, angeblich sogar unter Polizeischutz
Die ukrainische Botschaft zeigt sich nicht verhandlungsbereit. Man danke, so heißt es auf die „Krone“-Bitte um Stellungnahme, den Österreichern für ihre Hilfe, es arbeiteten „die zuständigen ukrainischen Behörden daran, sichere und geeignete Bedingungen für die Rückkehr der Kinder in die Ukraine zu schaffen“. Die Frage, warum gerade jetzt, bleibt unbeantwortet.
Ein Schutzengel in Landesfarben
Pascale Vayer hat für jedes Kind einen Schutzengel mit den ukrainischen Farben gekauft. „Jetzt kann nur noch Gott ihnen helfen“. Wolodymyr Selenskyj sowie der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SP), dem ein gutes Verhältnis zum ukrainischen Botschafter nachgesagt wird, sind aber irdisch gefordert.
„Krone“: Sie sind seit Beginn des Angriffs auf die Ukraine als Berichterstatter vor Ort tätig: Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage dort, auch im Hinblick auf die angeordnete Rückkehr der Waisenkinder?
Christian Wehrschütz: In einem Land, in dem Krieg herrscht, gibt es keine Sicherheit, man kann immer zur falschen Zeit am falschen Ort sein. In großen Städten ist das Risiko höher als dort, wo sie hinkommen sollen, aber selbst in Kropywnyzkyj gibt es Fliegeralarm. Das bedeutet zumindest immensen Stress für die Kinder, die dann in die Luftschutzkeller müssen.
Sind sie in Lebensgefahr?
Ich bin kein Hellseher. Was ich aber sagen kann, ist, dass es in einem Land, auf das es regelmäßig Drohnenangriffe gibt, das heftig von der Artillerie beschossen wird, keine Sicherheit gibt.
Gerade wurde Kiew heftig attackiert, Waffenruhe oder Frieden sind weit entfernt. Warum holt die Ukraine bei dieser neuerlichen Eskalation die Kinder zurück?
Diese Frage habe ich der Behörde auch gestellt und darauf genauso wenig Antwort bekommen wie Sie und die „Krone“. Die demografische Situation in der Ukraine ist katastrophal, ein Drittel sind Pensionisten, vielleicht deswegen. Aber für mich, als Oberstleutnant der Reserve des Österreichischen Bundesheeres, ist es eine absolut absurde Situation, dass man Kinder in diese Stresssituation zurückbringt, während man fahnenflüchtige ukrainische Männer, die zu uns kommen, nicht zurückschicken kann oder will.
Abseits von Objektivität und neutraler Berichterstattung: Geht Ihr Herz auf für die Waisenkinder?
Ich bin zweifacher Vater und Opa einer Enkelin. Ja, das tut es. Sehr sogar.
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