Album „One Deep River“

Mark Knopfler: Soundtrack für den Ohrensessel

Musik
10.04.2024 09:00

Mit den Dire Straits schrieb er Welthits, ohne sie geplant zu haben – als Solokünstler begeistert der mittlerweile 74-jährige Mark Knopfler auf seinem zehnten Werk „One Deep River“ mit Ruhe und Gelassenheit. Seine Musik ist der in Klang gegossene Antidot zum permanenten Stress des Alltags.

(Bild: kmm)

Die Dire Straits prägten die Rockhistorie der 80er-Jahre wie kaum eine andere Band. Noch heute finden legendäre Songs wie „Sultans Of Swing“, „Money For Nothing“ und vor allem „Brothers In Arms“ oft und gerne in hiesigen Nostalgieradios statt und befeuern die alte Diskussion, ob man zwingend Flickensakko tragender Germanistik-Professor auf der Haupt-Uni sein muss, um die legendären Kompositionen der Knopfler-Brüder lieben zu dürfen. Die Dire Straits gehören auch zu jener Handvoll Bands, die sich nach einer Trennung (bereits 1995) nicht mehr zu einer Reunion überreden ließen – da half auch kein Wedeln mit dem Blankoscheck. Mastermind Mark Knopfler hat zudem eine mehr als florierende Solo-Karriere am Laufen und sich seinen Status, zu den 40 reichsten britischen Musikern zu gehören, redlich erarbeitet. Das Konto wuchs erst diesen Jänner noch einmal beträchtlich an, als er 120 seiner aus seinem reichhaltigen Fundus bestehenden Gitarren versteigerte und ein gutes Viertel der eingenommen acht Millionen Pfund an karitative Einrichtungen spendete.

Rückzugsort als Kreativhort
Das große Herz Knopflers versteckt sich seit jeher hinter einem zerknautschten Allerweltsgesicht und einer gefühlten Raubeinigkeit, die bei näherer Inspektion gar keine ist. Mit seiner bereits in jungen Jahren sehr alt gefärbten Stimme und dem unauffälligen Äußeren ist der gebürtige Schotte seit jeher fleischgewordener Gegensatz zu einem Rockstar. Mit stoischer Ruhe und nahezu ausdrucksloser Mimik gehen seine versierten Konzerte vonstatten, in seinen selbst gebauten British Grove Studios hat er sich vor Jahren ein Refugium gebaut, in dem er nach Belieben schaltet und waltet und als einer der nachweislich besten Gitarristen der Welt auch im gesetzteren Alter unermüdlich seiner Leidenschaft frönt. Der von außen so unscheinbare Rückzugsort hat Knopfler gut durch die Wirren der Pandemie gebracht. Sein bislang letztes Album, „Down The Road Wherever“ (2018) gilt noch immer als eines seiner besten und bewies die zeitlose Qualität seiner Kompositionen.

Das hat sich auch in der Gegenwart nicht verändert. Knopfler, der im August seinen 75. Geburtstag feiert, arbeitete in aller Ruhe an neuen Songs und fand in Zeiten von Lockdowns und Abstandshaltung wieder die Liebe zur musikalischen Gemeinschaft. „Ich liebe, es zu Hause in meinem Büro, also meinem Studio, zu sitzen, mit der Gitarre zu arbeiten und Songs zu schreiben“, gab er im Zuge seines neuen Albums bekannt, „aber es geht nichts über das Gefühl, mit einer Band gemeinsam im Studio zu stehen. Dass die Pandemie mich aufgehalten hat, hat mir nichts ausgemacht. Ich habe es aber vermisst, mit den anderen gemeinsam zu musizieren.“ Der ohnehin als „old fashioned“ geltende Knopfler hat für das aktuelle, bereits zehnte Solowerk „One Deep River“ bewusst auf die Kraft der Band gesetzt und dafür seine alten Kumpels reaktiviert.

Gemeinschaft ist Trumpf
Richard Bennett, Jim Cox, Danny Cummings und Glenn Worf, allesamt langjährige und vielfach erprobte Mitstreiter Knopflers, wurden von Greg Leisz verstärkt, den Knopfler aufgrund seiner Fähigkeiten an der Lap Steel- und akustischen Gitarre handverlesen zur Unterstützung auswählte. Dazu hat sein Produktionspartner in crime, Guy Fletcher, nach mehr als 40-jähriger Zusammenarbeit schnell ja gesagt, als erste Gespräche für die neue Produktion geführt wurden. „Zu sehen, was die anderen in der Band machen, welche Ideen sie einbringen, das prägt den einzigartigen Vibe einer Band“, so Knopfler, „andererseits bin ich auch gerne nur zu zweit mit Guy im Studio, wo wir uns Gedanken hin- und herwerfen und daraus die Lieder formen, die wir alle gemeinsam einspielen.“ Nach mehr als fünf Jahrzehnten in der Welt der Musik ist Knopfler eine gemütliche Gemeinschaft mit viel Spaß und geteilten Erinnerungen besonders wichtig, dementsprechend entspannt und im positiven Sinne altbacken klingen auch seine Lieder.

„Wir haben auf das Bandfeeling gesetzt, weil diese Arbeitsweise heute selten ist. Alle verstecken sich hinter der Technik und ihren Spielereien. Wir arbeiten natürlich auch damit, vermischen aber Altes mit Neuem und gehen gemeinschaftlich an die Songs heran.“ Nicht nur das mit einem malerischen rosa Himmel verzierte Albumcover romantisiert. Knopfler erlaubt sich im Spätherbst seiner Karriere eine verdiente Lebensrückschau mit einem selbstbewussten Kopfsprung ins Meer der Nostalgie. Der titelspendende „One Deep River“ ist nicht etwa der Mississippi, sondern der Fluss Tyne in Newcastle, wo Knopfler aufwuchs und wo seine Persönlichkeit geformt wurde. „Die Kraft der Erinnerung geht niemals verloren, wenn man nach Hause zurückkehrt. Immer wenn ich am Fluss bin oder ihn überquere, denke ich an meine Kindheit zurück.“ Doch während alte Freunde im beschaulichen Industrie-Ort Blyth blieben, zog Knopfler aus, um zwischen London und New York eine Weltkarriere zu starten. Seine Wurzeln hat er trotz Reichtum und Ruhm nie vergessen, das beweisen seine Working-Class-Themen in den Songtexten.

Gegen den Stress des Alltags
Auch „One Deep River“ besteht aus Oden an die Schwierigkeiten und Tücken des Alltags – wenn auch oft aus der Perspektive eines Musikers. Der Opener „Two Pair Of Hands“ spricht darauf an, dass man als Bandleader das Zusammenspiel mit den Musikern und den Enthusiasmus des Publikums vereinen soll. „Ahead Of The Game“ erzählt lose eine Geschichte eines Musikers, der auszieht, um Karriere zu machen. Ein Kapitel, das Knopfler selbst stark an seine Nashville-Phase erinnert. Dazu kommen Songs wie „Tunnel 13“ über den letzten großen Eisenbahnraub in Oregon 1923 oder das durchaus an die prekären aktuellen Weltprobleme gemahnende „This One’s Not Going To End Well“. Aus dem Kanon der musikalischen Beschaulichkeit bricht Knopfler so gut wie nie aus. Wenn es mal flotter wird, treibt er in seinem geliebten Country-Sound aus („Smart Money“, ein Albumhighlight), ansonsten ist „One Deep River“ ein bewusst gesetztes Statement gegen den allgegenwärtigen Stress des Alltags. Oder anders ausgedrückt: Knopfler erschafft einmal mehr den perfekten Soundtrack für den heimischen Ohrensessel im verregneten Frühling.

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