Beim Münchhausen-Syndrom erfindet man Krankheiten, um im Mittelpunkt zu stehen. Beim Stellvertreter-Syndrom ist es schlimmer, da reden Mütter ihren Kindern schwere Erkrankungen ein. Auch in der Steiermark sind Fälle bekannt.
Nach außen hin sind sie die liebevollsten Mütter, doch hinter verschlossenen Türen misshandeln sie ihre Kinder. Es sind Frauen, die am Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom leiden. Hinter der Krankheit mit dem sperrigen Namen (auch Münchhausen-by-proxy-Syndrom genannt) verbirgt sich eine Sonderform des Münchhausen-Syndroms - angelehnt an den bekannten Lügenbaron.
90 Prozent der Täter sind die eigenen Mütter
Während bei Letzterem die Betroffenen nur sich selbst Schaden zufügen, um im Mittelpunkt zu stehen, machen die Betroffenen des Stellvertreter-Syndroms andere Menschen absichtlich krank, damit diese eine ärztliche Behandlung brauchen. In den meisten Fällen werden dabei die eigenen Kinder zum Opfer - also zum Stellvertreter - für die körperliche Misshandlung. Mehr als 90 Prozent sind Mütter.
Typisch für diese psychische Erkrankung ist auch das sogenannte Doctor-Hopping. Wenn ein Arzt draufkommt, dass alles gespielt ist, geh’ ich zum nächsten und wieder zum nächsten. Eine wirkliche Diagnostik kann nie wirklich durchgeführt werden.
Mediziner Manfred Walzl
Was treibt diese Frauen zu ihren Taten? Was lässt sie so grausam und mitleidlos werden? „Es geht ihnen um Aufmerksamkeit“, weiß der renommierte Grazer Gerichtspsychiater Manfred Walzl, der selbst schon mit derartigen Fällen zu tun hatte. Betroffene tun das für Lob und Zuneigung durch Ärzte, Krankenhauspersonal und ihr Umfeld. „Man findet sie dann aufopferungsvoll und fürsorglich.“
Mädchen grundlos Operationen unterzogen
Im Fall der 24-jährigen Amerikanerin Gypsy Rose Blanchard gipfelte dieses Verhalten im Mord. Ihre Mutter Dee Dee hatte sie jahrzehntelang misshandelt. Sie gab vor, ihre Tochter leide an Leukämie, Muskeldystrophie und anderen schweren Krankheiten.
Unterernährt und isoliert
Gypsy Rose saß im Rollstuhl, wurde künstlich ernährt und musste zahlreiche unnötige OPs über sich ergehen lassen. Sie war unterernährt und lebte isoliert. Als sie erkannte, was ihre Mutter ihr angetan hatte, bat sie 2015 ihren Freund, den sie im Internet kennengelernt hatte, Dee Dee zu töten.
Der bizarre Kriminalfall sorgte für Aufsehen. Die junge Frau wurde berühmt - und beliebt. Fast acht Jahre saß sie im Gefängnis, vor wenigen Wochen kam die 33-Jährige frei. Ihre Anhängerschar ist riesig, ihre Fotos auf Instagram werden millionenfach geliked.
Oft geht es den „Kranken“ aber auch ums Geld
Was das Münchhausen- und das Stellvertreter-Syndrom gemeinsam haben, ist der Drang nach Aufmerksamkeit. „Aber es gibt auch Leute, die damit auch finanzielle Zuwendungen erreichen“, erklärt Walzl. Wie im Fall einer Steirerin, die seit Jahren die Grazer Gerichte beschäftigt. Der Frau fiel in einer Mietwohnung eine Tür auf den Fuß. Die heute 57-Jährige erklärte, dass sie deshalb nicht mehr gehen könne und seither an den Rollstuhl gefesselt sei.
18 Ärzte „verbraucht“
Tausende Euro forderte sie von der Stadt. Eine Betrugsanzeige war die Folge. Verhandelt wurde nur sporadisch. Panikattacken und andere Krankheiten würden die Angeklagte hindern. 18 Ärzte „verbrauchte“ sie bereits, und es dürften noch mehr werden. Inzwischen soll die mutmaßliche Betrügerin gerüchteweise tatsächlich erkrankt sein.
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