Heute im Porgy & Bess

Schuberts „Winterreise“ ins Jazzkorsett gesteckt

Wien
19.11.2023 07:00

Jazzsängerin Iris Träutner und Vollblutmusiker Hans Zinkl arbeiteten Jahrzehnte lang lose an Franz Schuberts legendären Liederzyklus „Winterreise“. Nun hat man das 24 Kapitel starke Projekt endlich auf ein Album ins Jazzkorsett geschnürt und tritt damit im Porgy & Bess auf. Träutner erzählt im Interview von der langen Reise, was live zu erwarten ist und wo sich Nirvana und die Klassik treffen.

Franz Schuberts „Winterreise“ gilt gemeinhin als Blaupause für vertonte Melancholie. Die in 24 Liedkapiteln unterteilte Geschichte handelt von einem Wanderer, der nach einem Beziehungsaus ohne Ziel und Hoffnung in die kalte Winternacht geht und auf seinen fast schon passionsgleichen Wegen durch alle Wellentäler der Gefühle und Emotionen geht, bis er auf den mysteriösen Leiermann trifft, der wahlweise als Zuflucht, Qual oder Tod des Protagonisten gesehen wird. So erschuf der große Komponist ein Jahr vor seinem Tod einen der essenziellsten Liederzyklen der Romantik, den viele als ideale Darstellung des existenziellen Schmerzes des Menschen bewerteten. Auch in der Moderne fand das Stück des Öfteren erfolgreich Niederschlag. Bratschist Peter Aigner hat den Zyklus für Viola umgesetzt, Matthias Loibner einst für die Drehleier und Sopran. In ein leicht jazziges Gewand wird die „Winterreise“ nun von Hans Zinkl und Sängerin Iris Träutner gesteckt, die sich lange um die Fertigstellung des Projekts bemühten.

Lange Pause, dann kam Corona
Der Erstkontakt zwischen Träutner und Schuberts „Winterreise“ datiert bereits mit 1997. „Ich habe das Stück ,Gute Nacht‘ damals als 20-Jährige das erste Mal gehört und war sofort fasziniert. Mir fiel schon damals auf, dass diese Nummer auch in einer modernen Umsetzung funktionieren würde und habe Hans davon erzählt. Aber die Jahre vergingen und wir machten immer irgendwas anderes, dann kam auch noch Corona.“ Tatsächlich gingen die beiden dann am Freitag vor Beginn des ersten Lockdowns ins Studio, um die Schubert-Lieder in der adaptierten Version endlich einzuspielen - den Rest der Geschichte kennt man. „Natürlich hatten wir auch immer wieder Zweifel, ob sich alle 24 Nummern umsetzen lassen würden. Es war schon ein Monsterprojekt, aber wie heißt es so schön? Was lange währt, wird endlich gut“, lacht die Frontfrau.

Wer mit dem bisherigen Œuvre der beiden vertraut ist, weiß, dass eine detailgetreue Umsetzung das allerletzte Ziel war. „Ich finde Coverversionen sehr interessant, wenn sie nicht eins zu eins nachgespielt werden. Sie zeigen Lieder aus einer neuen Perspektive und eröffnen sie auch dem Zuhörer. Wir hatten also die tolle Möglichkeit, Schuberts Liederzyklus eine neue Verständnisebene zu ebnen und eine noch unbekannte Stimmung zu erzeugen.“ Auf dem mehr als 100 Minuten langen Werk pendelt die sechsköpfige Band zwischen melancholisch und austrabend und zwischen bedächtig und fordernd. Es wurde bewusst wenig geplant und viel experimentiert, um dem Zyklus eine eigene „Träutner/Zinkl-Farbe“ zu verpassen. „Man muss bei so einem Projekt unbedingt offen bleiben und darf sich nicht zu viel überlegen. Außerdem sind viele unserer Interpretationen nicht so rührselig, sondern durchaus humoristisch veranlagt.“

Schubert und Nirvana
Iris T., wie sich Träutner in ihrer Leidenschaftsprofession Musik schlicht nennt, und Hans Zinkl verbindet eine langjährige Kreativpartnerschaft, die nicht klassisch mit Schubert begann. Das zu Grabe getragene Projekt Iris T. & The Billy Rubin Trio wurde einst auf FM4 auf- und abgespielt und die beiden konzentrierten sich, Pop- und Rockongs von Nirvana, Oasis und Co. in eine Swing-Richtung zu drehen. Zwischen Nirvana-Sänger Kurt Cobain und dem „Winterreise“-Protagonisten findet Träutner durchaus Parallelen. „Die Grundgeschichte ist ähnlich. Ein junger Mann verliert sich irgendwie selbst und verharrt in der Melancholie.“ Prinzipiell könne man viele Songs in ein Swing- oder Jazzkorsett zwängen. „Es gehen sicher alle Genres, aber nicht alle Songs. Wir sind früher auch an manchen Nummern gescheitert, das ist ganz normal.“ Bei der „Winterreise“ war das Scheitern keine Option. Schließlich kann man einen 24-teiligen Zyklus nicht einfach durchbrechen oder abhacken.

Wobei sich Träutner doch eine elementare Freiheit gewährte. Die im Original von Wilhelm Müller geschriebenen Texte hat die Powerfrau kurzerhand gedreht. „Es singt ja per se ein Mann über eine Frau, aber diese Perspektive einzunehmen fiel mir schwer, deshalb singe ich als Frau über einen Mann. Ansonsten habe ich die Texte gelassen, wie sie sind.“ Im Gegensatz zum musikalischen Original ringt Träutner die textliche Geschichte des Zyklus weniger Respekt ab. „Die allgemeine Meinung ist ja, dass Müllers Texte nicht sonderlich hochwertig waren. Als Liedtexte funktionieren sie, für einen Gedichtband hätte es aber nicht gereicht. Sie waren zumindest so gut, dass Schubert Musik dazu einfiel, das muss man respektieren. Die ,Winterreise‘ war für damalige Verhältnisse fast wie ein Pop-Stück und verbreitete eine moderne Stimmung.“ Immer wieder arrangierten Träutner und Zinkl Ideen um oder starteten von vorne. „Wenn ich die Lieder singe, dann vergesse ich bewusst, welch großes Werk der Geschichte sie sind. Da würde ich mich zu schnell wie gelähmt fühlen.“

Passgenaue Konzertplanung
Die Liveumsetzung findet heute um - Achtung! - 14 Uhr (!) im Jazzlokal Porgy & Bess statt. Warum dieser ungewöhnliche Termin? Es ist nicht nur der 195. Todestag von Franz Schubert, 15 Uhr ist seine genaue Todesstunde. „Wir konzertieren in der sechs Personen starken Originalbesetzung. Es wird fantastisch klingen und sehr stimmungsvoll sein, ich freue mich ungemein darauf.“ Die just einsetzende Herbststimmung samt kühleren Temperaturen dient als ideale Unterlage, um sich in die Sonntagnachmittagsmatinee fallen lassen zu können. „Das ist natürlich ein netter Zusatz, dass sich Albumveröffentlichung und Todestag so gut ausgehen. Klar, wir hätten nach mehr als 25 Jahren loser Arbeit auch noch ein paar Jahre bis zum 200. Todestag warten können, aber jetzt war es wirklich Zeit, damit rauszugehen.“ Weitere Konzerte sind nicht ausgeschlossen, aber noch ungeplant. Dazu sind Brotjob, Familienleben und andere Projekte der Mitmusiker zu stark im Alltag verankert. „Wir werden heute auch nicht alle 24 Lieder spielen, das wäre dann doch zu viel. Die Reihenfolge wird eingehalten, aber alles ein bisschen verknappt. Es sollen alle einen schönen und kurzweiligen Nachmittag erleben.“

Live im Porgy & Bess
Iris T. und das Hans Zinkl Quintett präsentieren Franz Schuberts Liederzyklus „Winterreise“ also heute Nachmittag (19. November) um 14 Uhr im Wiener Porgy & Bess. Möglicherweise gibt es noch Karten an der Tageskassa vor Ort.

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