Im Schatten des Kriegs

Klarer Wahlsieg für Regierungspartei in Estland

Ausland
06.03.2023 06:38

Im an Russland grenzenden EU- und NATO-Staat Estland hat die wirtschaftsliberale Reformpartei von Regierungschefin Kaja Kallas die Parlamentswahl klar gewonnen. Nach einem von den Folgen des Ukraine-Kriegs dominierten Wahlkampf holte die Regierungspartei 37 von 101 Sitzen im Riigikogu, dem Parlament in Tallinn - drei mehr als bei der vorherigen Wahl 2019. Sie bleibt damit stärkste Kraft.

Kallas steht seit 2021 - als erste Frau in Estlands Geschichte - an der Regierungsspitze und gilt als eine der resolutesten Unterstützerinnen der Ukraine in Europa. Der Sieg ihrer Partei in dem Baltenstaat mit rund 1,2 Millionen Einwohnern hatte sich schon vor der Wahl am Sonntag abgezeichnet. Die 45-Jährige dürfte nun in der Dreierkoalition mit den Sozialdemokraten und der konservativen Partei weiterregieren können. Beide Parteien büßten Parlamentssitze ein, die Regierung hat aber weiterhin eine Mehrheit.

Kallas ließ am Sonntagabend offen, ob sie das Bündnis fortführen wird. „Der Wähler erwartet, dass die Reformpartei die Führung in der neuen Regierung übernimmt. So viel steht fest“, sagte Kallas in der Wahlnacht. Mit über 31.000 Stimmen in ihrem Wahlkreis stellte sie einen Rekord auf - mehr hatte seit der Unabhängigkeit Estlands von der Sowjetunion 1991 noch niemand bekommen.

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Unser aggressiver Nachbar ist nicht verschwunden und wird auch nicht verschwinden.

Die estnische Regierungschefin Kallas über Russland

Estland stünden größere Reformen unter anderem mit Blick auf den ökologischen Umbau bevor, betonte Kallas. Das Land müsse aber auch in seine Sicherheit investieren. „Unser aggressiver Nachbar ist nicht verschwunden und wird auch nicht verschwinden. Wir müssen also damit umgehen“, sagte sie mit Blick auf Russland. Alle anderen Parteien „mit Ausnahme von Ekre und vielleicht des Zentrums“ hätten sich für die gleiche Linie mit Blick auf die Ukraine entschieden. „Ich denke daher, dass wir hier eine gemeinsame Basis finden können“, fügte Kallas mit Blick auf die anstehenden Koalitionsverhandlungen hinzu.

Zweit- und drittstärkste Kraft wurden zwei Oppositionsparteien: die rechtspopulistische Partei Ekre (17 Sitze) und die linksgerichtete Zentrumspartei (16 Sitze), die jeweils einige Mandate einbüßten. Als größter Stimmengewinner zieht die liberale Partei Estland 200 (14 Sitze) erstmals ins Parlament ein. Experten halten sogar eine Beteiligung an der Regierung für denkbar.

Rechtspopulisten sprechen von „gestohlener“ Wahl
Ekre-Chef Mart Helme reagierte auf die Ergebnisse mit Betrugsvorwürfen. Seiner Partei sei der Wahlsieg „gestohlen“ worden. Während der Auszählung der Papierwahlzettel habe seine Partei vorne gelegen, bei der Auszählung der elektronischen Stimmen habe sich das Ergebnis jedoch gedreht. Gut 47 Prozent der Wähler gaben bei dieser Wahl ihre Stimmen per Briefwahl oder online ab. Insgesamt wurde über die Hälfte aller Stimmen digital abgegeben - ein Rekord. Die Wahlbeteiligung lag nach vorläufigen Angaben der Wahlkommission bei 63,7 Prozent.

Vom „E-Voting“, das Estland als erstes EU-Land einführte, machten diesmal mehr als ein Drittel aller Wahlberechtigten Gebrauch - darunter Staatsoberhaupt Alar Karis. Der estnische Präsident hat jetzt 14 Tage Zeit, um einen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten zu benennen. Dieser hat daraufhin weitere 14 Tage Zeit, um mit einer neu gebildeten Regierung für eine Vertrauensabstimmung vor das Parlament zu treten.

Russischer Angriffskrieg bestimmendes Thema
Eines der beherrschenden Themen des Wahlkampfes war Russlands Krieg gegen die Ukraine, der in Estland als direkte Gefahr für die nationale Sicherheit gesehen wird. Das Land teilt eine fast 300 Kilometer lange Grenze mit Russland. Da etwa ein Viertel der Bewohner russischstämmig ist, wurden durch den Krieg heikle gesellschaftliche Debatten neu angefacht - zum Beispiel über Schulunterricht in russischer Sprache und den Umgang mit der eigenen Geschichte und Erinnerungskultur.

Seit Russlands Überfall hat sich Kallas als entschiedene Befürworterin von EU-Sanktionen gegen Moskau und Waffenlieferungen an die Ukraine profiliert. Unter ihrer Führung hat Estland mehr als ein Prozent seiner Wirtschaftsleistung als Militärhilfe an die Ukraine geleistet und mehr als 60.000 Kriegsflüchtlinge aufgenommen. Entschieden fordert sie auch eine Stärkung der NATO-Ostflanke.

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