RK-Präsident Aichinger

„Im Notfall zählt Zeit, danach die Qualifikation“

Oberösterreich
28.10.2022 10:56

Europäisches Schlusslicht bei der Ausbildung; Zivildiener bei Notfällen, während Notfallsanis normale Transporte durchführen; ein kritischer Rechnungshofbericht ohne Folgen: Nach „Krone“-Berichten über interne Kritik am Rettungssystem stellt sich der oö. Rot-Kreuz-Präsident Walter Aichinger im Interview den Fragen.

„OÖ-Krone“: Herr Präsident, die Artikel über interne Kritik im Roten Kreuz haben eine Lawine an Reaktionen ausgelöst, nach dem Motto: „Endlich sagt jemand etwas.“ Warum haben Sie das nicht gleich zur Chefsache erklärt?
Walter Aichinger:Weil das etwas ist, was im Abstand von mehreren Jahren immer wieder kommt. Da gibt es unterschiedliche Zugänge zu einem Rettungssystem. In vielen Ländern bleiben Ärzte im Krankenhaus, und zu Notfällen fahren Paramedics. Diese sind drei bis fünf Jahre ausgebildet, sie dürfen auch die ersten therapeutischen Schritte machen. Bei unserem System ist es so, dass die Therapie, außer Aufrechterhalten der Vitalfunktionen oder Wiederbelebung, die Notärzte machen. Wenn ein echter Notfall da ist, kommt zuerst der Rettungssanitäter und hinten nach sofort der Notarzt samt Notfallsanitäter. Diese Kombination gibt es weltweit nirgends.

Da gibt es seitens der Notärzte aber den Einwurf . . .
. . . dass sie zu oft hinfahren, wo es nicht nötig wäre.

Es wird von 55 Prozent der Fälle berichtet, in denen ein gut ausgebildeter Sanitäter gereicht hätte.
Das ist aber die Qualität des Systems: dass ich den Notarzt wohin bringe, wo er vielleicht nicht nötig gewesen wäre. Mir ist lieber, es kommt vor Ort einmal zuviel wer hin, der überqualifiziert ist und auch hauptberuflich ist. Denn in der Hälfte der Notfälle sind zuerst Freiwillige vor Ort.

Doch oft sitzen in den Rettungsautos ausschließlich Sanitäter, die nur über eine Grundausbildung verfügen.
Das Entscheidende im Notfall ist nicht unbedingt die Qualifikation dessen, der dort hinkommt, entscheidend ist die Zeit. Selbst wenn der nur die grundlegenden Erste-Hilfe-Maßnahmen beherrscht: Wenn die Zeit kürzer ist, ist das Ergebnis besser, als wenn ich 15 bis 20 Minuten auf einen Paramedic warten muss.

Zitat Icon

Es gibt einen Vertrag, den die Rettung, also das Rote Kreuz und auch der Samariterbund, erfüllen. Wir sind völlig transparent.

RK-Präsident Walter Aichinger

Also lieber mehr Leute, die von der Ausbildung her weniger hoch qualifiziert, dafür näher dran sind?
Ja. Wichtig ist, dass unmittelbar nach einem Notfall etwas gemacht wird. Wir setzen auf das System, dass wir in der Fläche und überall schnell vor Ort sind. Und wenn es nötig ist, dann ist zwei, drei Minuten später der Notarzt vor Ort.

Die Notärzte klagen aber über Personalmangel. Was, wenn die Dienste nicht mehr zu besetzen sind?
Davon ist derzeit keine Rede. Falls, dann muss das System adaptiert werden. Das passiert auch laufend.

Aber warum dann die Kritik – und ich habe in fast 23 Jahren bei der „Krone“ noch nie so viele Reaktionen auf Artikel erlebt – am System, wenn es eh so gut ist?
Es ist sicher nicht perfekt, und wir entwickeln uns, wie gesagt, auch weiter. Wir haben First Responder in entlegenen Gebieten, wo die Versorgung nicht so gut gegeben ist. Wir haben die Lebensretter-App, in der sich alle, die eine Rettungssanitäter-Ausbildung haben, einloggen können. Und die Disponenten wissen, wo sie sind, und wir können sie aktivieren. Wir haben 7200 Freiwillige – die Chance ist groß, dass bei einem Notfall jemand in der Nähe ist.

Zitat Icon

Jeder Mitarbeiter ist eingeladen, Vorschläge einzubringen. Und es muss sich niemand fürchten, der sich kritisch äußert.

RK-Präsident Walter Aichinger

Viele, die uns kontaktierten, fühlen sich bei Notfällen mit der Basisausbildung unsicher. Ist es nicht auch in Ihrem Sinne, dass mehr höher qualifizierte Mitarbeiter – auch Freiwillige – in den Autos sitzen?
Natürlich. Das soll jetzt keine Ausrede sein, aber Corona hat uns hier schon zurückgeworfen. Es gab in den letzten Jahren so gut wie keine Ausbildungsmöglichkeiten, da die nötigen Praktika in den Spitälern nicht vorhanden waren. Aber wir wollen mehr Notfallsanitäter und vor allem den beruflichen Mitarbeitern, aber auch den Freiwilligen diese Ausbildung anbieten.

Es gab Vergleiche mit dem benachbarten Bayern, wo Sanitäter ein Beruf ist mit dreijähriger Ausbildung. Dagegen sei die Ausbildung in Österreich in Europa Schlusslicht.
Dafür haben die kein Freiwilligensystem. Weil so eine Ausbildung tut sich doch kein Freiwilliger an. Und die Ausbildung der Mitarbeiter richtet sich nach den gesetzlichen Vorgaben.

Auch in anderen Bundesländern wie NÖ haben Notfallsanis mehr Kompetenz.
Die Entscheidung, jemanden nicht ins Spital mitzunehmen, steht ihnen allerdings auch nicht zu.

Warum braucht ein kleines Land wie Österreich neun verschiedene Rettungssysteme?
Das ist historisch gewachsen. Wir sind als Verein organisiert, und die 87 Ortsstellen sind nicht verordnet, sondern vor Ort entstanden. Die Entscheidung, dass die einzelnen Länder eigenständig sind, ist eine politische.

Zurück zum Anfang. Ein Mitarbeiter des Roten Kreuzes schrieb die inzwischen berühmten Worte: „Wenn Sie einen Herzinfarkt haben, fangen Sie an zu beten.“ Konkret: Sterben bei uns mehr Leute an Notfällen als woanders?
Dafür gibt es keinerlei Hinweise oder Belege. Das System ist erprobt und funktioniert. Für Verbesserungen sind wir immer offen.

Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare

Liebe Leserin, lieber Leser,

die Kommentarfunktion steht Ihnen ab 6 Uhr wieder wie gewohnt zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen
das krone.at-Team

User-Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Betreibers/der Redaktion bzw. von Krone Multimedia (KMM) wieder. In diesem Sinne distanziert sich die Redaktion/der Betreiber von den Inhalten in diesem Diskussionsforum. KMM behält sich insbesondere vor, gegen geltendes Recht verstoßende, den guten Sitten oder der Netiquette widersprechende bzw. dem Ansehen von KMM zuwiderlaufende Beiträge zu löschen, diesbezüglichen Schadenersatz gegenüber dem betreffenden User geltend zu machen, die Nutzer-Daten zu Zwecken der Rechtsverfolgung zu verwenden und strafrechtlich relevante Beiträge zur Anzeige zu bringen (siehe auch AGB).



Kostenlose Spiele