Drama in den Bergen

Steirer stürzt 800 Meter in die Tiefe und überlebt

Steiermark
18.08.2022 06:00

Der steirische Polizist Heimo Kohlbacher ist weltweit einer von nur zwei Menschen, die einen Sturz über 800 Höhenmeter überlebt haben. Der „Krone“ erzählt er zum ersten Mal die Details des Dramas am Berg.

Als der steirische Alpinpolizist Heimo Kohlbacher am Morgen des 9. Mai 2016 mit einem Freund für eine Bergtour von Graz Richtung Sonnblick (Rauris in Salzburg) startet, ahnt er nicht, dass dieser Tag sein Leben verändern wird. Das Ziel des erfahrenen Bergsteigerduos ist eine Erkundungstour zu einer felsigen Engstelle in einer Schneerinne auf etwa 2700 Metern Seehöhe.

Top ausgerüstet und bestes Wetter
Topfit starten die beiden um 7.30 Uhr bei traumhaftem Wetter von der Berghütte Kolm Saigurn auf 1600 Metern. Mit den Tourenskiern kommen sie auf der Neuschneedecke rasch voran. Sie schaffen in knapp vier Stunden rund 1100 Höhenmeter. Gegen 11.30 Uhr erreichen sie ihr Ziel. Die Ski werden gegen Pickel und Steigeisen getauscht, mit denen das Duo die bis zu 45 Grad steile Wand erklimmt.

Eine folgenschwere Entscheidung
Doch dann trifft Kohlbacher eine folgenschwere Entscheidung. Der ursprüngliche Plan, nach Überwindung der felsigen Engstelle wieder abzufahren und die Tour am nächsten Tag zu beenden, wird verworfen. Stattdessen schlägt Kohlbacher vor, weiter durch die extrem steile, schneebedeckte Bergrinne auf das Gletscherplateau zu klettern.

„Es war wohl der von mir selbst auferlegte Druck, die Tour noch am selben Tag zu beenden, da ich eine Wetterverschlechterung für den nächsten Tag befürchtete.“ Sein Kollege willigt ein, und das Duo nimmt die letzten 150 Meter in Angriff.

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Ich hab nur mehr darauf gewartet, dass mein Leben vorbei ist.

Heimo Kohlbacher

Plötzlich zieht Nebel auf
Sein Kamerad klettert voraus, als plötzlich Nebel aufzieht, was die Sicht radikal reduziert. Er schafft es als Erster, auf das Gletscherplateau zu klettern, Kohlbacher versucht es ihm gleichzutun. Sein Kopf ragt bereits über die Gletscherkante, als sich beim letzten Schritt einer der am Rucksack befestigten Tourenskier in der Schneewechte verfängt.

„Ich darf hier nicht stürzen!“
„So eine Situation habe ich im Training hundertfach geübt: Mit einer Gewichtsverlagerung von einem Fuß auf den anderen kann man sich befreien.“ Doch der Schnee unter Kohlbachers Bergschuh gibt nach - er tritt ins Leere. „Ich darf hier nicht stürzen, nicht hier“, geht es ihm panisch durch den Kopf, als er den Halt verliert. Vor den Augen seines entsetzten Kameraden stürzt der Steirer rücklings in die 50 Grad steile Wand zurück, prallt auf die harte Schneedecke und überschlägt sich mehrere Male.

Instinktiv versucht er noch, Körperspannung aufzubauen, um den Sturz zu bremsen. Vergeblich. Nur die am Rucksack montierten Ski verlangsamen den Absturz, doch schon nach wenigen Metern reißt der Gurt des Rucksacks.

Ungebremst rast Kohlbacher nun mit mehr als 100 Stundenkilometern auf die felsige Engstelle zu. „Meine letzte Hoffnung waren die Steigeisen. Wenn es gelingt, sie in den harten Schnee zu schlagen, werden wahrscheinlich beide Beine kaputt sein, aber ich bleibe zumindest schwer verletzt liegen und werde irgendwann gefunden“, erinnert er sich an seine Gedankengänge.

Mit dem Kopf auf die gefrorene Schneedecke
Verzweifelt rammt er die Steigeisen in den gefrorenen Schnee, wird dadurch in die Luft katapultiert. Seine Beine knicken, mit mehreren Überschlägen fliegt er in hohem Bogen über die Engstelle und landet mit dem Kopf voraus auf der gefrorenen Schneedecke.

Später wird er erfahren, dass er sich dabei einen Wirbel gebrochen hat. Sein Hirn spielt verrückt, Gedanken an einen tödlich verunglückten Kollegen gehen ihm durch den Kopf. Für Kohlbacher sind sie wie eine Nahtoderfahrung: „Ich hab nur mehr darauf gewartet, dass mein Leben vorbei ist.“

Die Gedanken sind bei Tochter Valentina
Doch sein Martyrium ist noch nicht zu Ende, der Sturz geht weiter. Eisbrocken zerkratzen sein Gesicht, die Schmerzen werden immer schlimmer. Die Gedanken hängen an seiner vierjährigen Tochter Valentina. „Wer wird auf sie schauen, wenn ich nicht mehr bin?“, fragt er sich.

Es ist diese Vorstellung, die seine letzten Energiereserven mobilisiert - und so gelingt ihm das schier Unmögliche: Er schafft es, den Sturz zu bremsen, kommt fast zum Stillstand. Die aufkeimende Hoffnung wird aber jäh zerstört - von einer nachkommenden Nasslawine. Doch sie verschlingt ihn nicht, sondern schiebt ihn hundert Meter vor sich her in Richtung einer Gletscherspalte. Diesmal hat Kohlbacher Glück. Nur wenige Meter vor der Spalte kommt er in einer Furche zu liegen, die Lawine schießt rechts an ihm vorbei. Erst jetzt ist sein Horrorsturz vorbei - nach 800 Höhenmetern.

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Ich habe gelernt, das Schicksal anzunehmen und das Beste daraus zu machen. Und natürlich bin ich allen, die mir geholfen haben, wieder gesund zu werden, unendlich dankbar!

Heimo Kohlbacher

Noch selbst den Notruf abgesetzt
Schwer verletzt schafft es Kohlbacher noch, mit seinem Handy bei der Landesleitzentrale anzurufen. Der Disponent ist verwirrt. Er nimmt an, dass der Bergkamerad, der den Unfall schon gemeldet hatte, wieder anruft. Er kann es nicht glauben, dass der Verunglückte selbst am Telefon ist.

In diesem Moment beginnt Kohlbachers neues Leben: Er wird geborgen, von der Hubschraubercrew des Martin 1 in das LKH Salzburg geflogen und dort erstversorgt. Es folgen vier Operationen sowie viele Monate Rehabilitation. Erst nach einem Jahr kann er wieder in den Polizeiberuf zurückkehren. Er arbeitet nun als Pressesprecher der Landespolizeidirektion.

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