„Krone“-Interview

Celeste: Düstere Klänge kommen nach Wien

Musik
26.01.2022 05:59

Vier sinistre Gestalten mit Kapuzen und rot leuchtenden Stirnlampen aus Lyon betreten seit 2005 die Bühne, um mit einem gleichermaßen brachialen wie melancholischem Mix aus Black Metal, Atmosphäre, Sludge und Post-Hardcore Fans harter Klänge zu begeistern. Celeste veröffentlichen dieser Tage ihr sechstes Album „Assassine(s)“ und kommen damit Ende März in den Wiener Viper Room. Sänger Johan Girardeau lässt uns im Gespräch tief in seine dunkle Gedankenwelt eintauchen.

(Bild: kmm)

„Krone“: Johan, wenn man von Celeste spricht, dann auch automatisch von Dunkelheit. Die zieht sich durch die Musik, die Texte und das Image der Band. Was fasziniert dich so sehr daran?
Johan Girardeau: Im Alltagsleben sind wir ganz normale Menschen, die gut befreundet sind und viel Spaß haben. In der Musik ist das aber anders. Als wir die Band gründeten, überlegten wir, wie wir sie anlegen würden. Wir wollten sie so dunkel wie möglich gestalten und da bot sich der Black Metal an. Wir wollten niemanden kopieren oder nachahmen, aber  gewalttätig und extrem klingen. Zur Dunkelheit gehören auch Gefühle wie Trauer. Unser Debütalbum hatte nicht so viele Metalanleihen, aber da haben wir uns mit jedem Album gesteigert. Unser drittes Album „Morte(s) Nee(s)“ 2010 sorgte für den entscheidenden Richtungswechsel. Dort fanden wir den Stil, den wir heute leicht verändert noch immer praktizieren. Wir haben auch eine Liebe für Melodien und knüpfen diese immer in den Gesamtsound ein.

In früheren Interviews hast du sogar dezidiert darauf hingewiesen, dass Celeste nicht als Black-Metal-Band angesehen werden sollten…
Wenn uns jemand so sieht, haben wir kein Problem damit. Wir sehen uns aber nicht in diesem Genre verortet. Wir haben mehr als Hardcore-Band gestartet und sind dann irgendwie automatisch in Richtung Metal gerutscht. Es ist absolut okay, in dieser Szene zu sein, aber wir tragen kein Corpsepaint und singen nicht über Satan. Das siehst du auch schnell bei unseren Konzerten. Die Standardszene versucht sich bewusst böse darzustellen, das tun wir nicht.

Vom Hardcore kamen in den letzten Jahren viele Bands in den Black Metal. Was war euer Background?
Vor sieben oder acht Jahren spielte ich noch in einer Screamo-Band namens Mihai Edrisch. Für mich war es ganz normal, die Kontakte und Wurzeln in meiner musikalischen Erziehung weiterzuziehen. Wir haben uns bei Celeste musikalisch verändert, aber man hört die Ursprünge noch immer gut heraus. Die richtigen True-Metal-Fans fangen mit uns wahrscheinlich wenig an, das ist mir bewusst. Bei uns sind alle willkommen, aber wir bieten etwas mehr an. Wir sind sicher offener als andere und hören auch selbst viele unterschiedliche Musikstile. Wenn wir uns mit den Hardcore-Metalfans unterhalten, dann verstehen wir uns immer bestens, aber mit der Musik klappt es nicht. Darum sorge ich mich aber schon lange nicht mehr.

Auf der Bühne steht ihr mit Kapuzen und versteckt euch hinter rot leuchtenden Stirnlampen, die aufs Publikum gerichtet sind. Warum?
Als wir damit begannen, wollten wir dadurch herausstechen, dass wir uns verstecken. Heute ist das in der Szene ziemlich üblich. Mir geht es darum, dass die Leute sich um die Musik kümmern und nicht um die Ästhetik und die Menschen, die dahinterstehen. Es gibt genug Ego-Musiker, die sich wie Gott aufführen, aber mir ist das egal. Ich bin ein Teil von Celeste und diese Band ist meine Leidenschaft. Ob die Leute mich erkennen oder nicht ist mir völlig egal. Mir fällt es auch leichter auf der Bühne zu performen, wenn ich anonym bin. Dort ist man sowieso immer nackt und wird bestaunt. Die ganze Show wird dadurch auch für uns intimer, weil es keinen Personenkult geben kann.

Woher stammen die wichtigsten Inspirationsquellen für eure dunklen Emotionen, die ihr mit der Band freilässt?
Ich muss keine schlimmen Dinge erleben, um diese Dunkelheit heraufbeschwören zu können. Aber wenn man so ein Konzept hat, dann muss es natürlich ein Gesamtbild ergeben. Es hätte keinen Sinn, würden wir mit dem Sound fröhlich auf der Bühne herumspringen. Vielleicht lassen wir den inneren Psychopathen raus, der in jedem von uns schlummert? Ich weiß es selbst nicht so genau, es ist seltsam.

Die Albentitel folgen in gewisser Weise einem stringenten Konzept. Erzählst du mit Celeste eine zusammenhängende Geschichte, die sich von mal zu mal erweitert?
Es gibt gewisse Zusammenhänge zwischen allen Alben, aber grundsätzlich steht jedes für sich selbst. Es gibt immer eine Geschichte, die für sich steht. Was alle Alben vereint ist, dass wir nie wissen, wie sie enden. Wir beginnen mit einer Geschichte, schreiben und schauen dann, was passiert. Es gibt kein Konzept, das von A bis Z feststeht, das macht für uns keinen Sinn.

Du singst bei Celeste über ziemlich harte Sachen…
Oh ja. Pädophilie, Vergewaltigung, mentale Eruptionen. Man braucht dunkle Texte, damit sie zur dunklen Musik passen. Ich schäme mich nicht, dafür sehr weit zu gehen. Das muss einfach sein.

Ist die Provokation ein bewusstes Stilmittel?
Manchmal schon, ja. Man kann mit immer weniger Themen provozieren, aber mit den eben genannten geht es noch. Doch eigentlich sind sie Teil des Alltags, vor dem wir viel zu gerne die Augen verschließen. Die Leute sollten sich unwohl fühlen und durchaus überlegen, ob ich die Texte abstoßend finde oder nicht. Ich finde das sehr okay, wenn man mich ambivalent sieht, denn das verstärkt die Musik erheblich. Außerdem schreibe ich auf Französisch, wodurch viele Menschen nicht so einfach interpretieren können, was ich meine. In Interviews erkläre ich dann oft Texte bzw. sind manche recherchiert. Die Texte sind mir aber sehr wichtig und sie sollen zum Nachdenken anregen.

Hast du dir auch mal überlegt, diese Botschaften in der Weltsprache Englisch wiederzugeben?
Ich bevorzuge meine Muttersprache aus zwei Gründen. Erstens beherrsche ich Englisch nicht so gut, dass ich detailreich und exakt in die Tiefe der Texte gehen kann. Das könnte viel zu peinlich enden. Zweitens ist es mir extrem wichtig, dass ich beim Singen auf der Bühne das Gefühl des Inhalts in jeder Pore spüre. Das ist in der Muttersprache natürlich viel intensiver als es in jedem anderen Fall wäre. Ich weiß, dass viele Menschen die französische Sprache im Metal nicht so mögen, weil sie ihnen zu weich vorkommt, aber ich könnte mich nicht anders ausdrücken.

Frauen nehmen einen wichtigen Teil in eurer Thematik ein. Nicht nur auf den Cover-Artworks, sondern auch in den Texten.
Die Metalszene ist so extrem maskulin, das wollten wir immer durchbrechen. Selbst in den Popsongs gibt es wenige Texte, die sich um Frauen drehen. Es geht zwar oft um die Liebe, das aber extrem einseitig. (lacht) Es ist in dieser Szene sicher unüblich, die Frau in den Mittelpunkt zu stellen, aber mir war es wichtig. Manche nennen Celeste Feministen und damit kann ich gut leben. Wir sprechen in manchen Texten sehr schlimm über Frauen, weil diese Texte sehr brutal und direkt sind. Das ist aber ein Weg, um mit psychischen Begebenheiten der Menschen umzugehen. Diese Direktheit ist mir ein großes Anliegen. Egal in welche Richtung.

Gibt es speziell in eurer französischen Heimat viele Missverständnisse oder Interpretationsprobleme eurer Texte?
Probleme hatten wir damit noch keine, denn im Normalfall kümmert sich keiner um die Texte. Wir sind keine der Bands, die in der Öffentlichkeit breit diskutiert werden, weil es bei uns keine Skandale, sondern nur die bloße Musik gibt. Manchmal kommt der Vorwurf, dass wir thematisch viel zu weit gehen würden, aber das lässt sich in Interviews immer aufklären. Meist lasse ich meinen Mund aber zu und die Leute sollten selbst interpretieren, was sie wollen. Natürlich gibt es auch Schwachköpfe, die alles missverstehen und die Kunst für bare Münze nehmen. Aber was willst du da groß tun? Denen beugen wir uns sicher nicht.

Gibt es für dich auch Grenzen? Themen, die du aus bestimmten Gründen doch lieber nicht anschneiden würdest?
Nein, absolut nicht. Vielleicht Rassismus, da gibt es doch einige Tabus und man muss gewaltig aufpassen, dass man dann nicht in die falsche Nische gestopft wird. Außerdem passt das Thema überhaupt nicht zu unserer Musik, es würde keinen Sinn machen.

Was treibst du eigentlich so, wenn du gerade nicht Frontmann von Celeste bist?
Ich besitze ein Restaurant in Lyon, habe also ein ganz normales Leben abseits der Bühne. Die Band veranschlagt natürlich viel Zeit, aber man kann damit nicht den Lebensunterhalt bestreiten. Ich sorge für die Artworks und schreibe alle Texte. Ich kümmere mich auch um die wirtschaftlichen Belange in der Band. Ich baue mein ganzes Leben um Celeste auf, damit ich so oft wie möglich auf Tour sein kann. Ich manage natürlich mein Restaurant, delegiere aber auch viel, damit ich mehr Zeit für die Band habe.

Ist dir das Gesamtpaket Album, mit seinen Videos, dem Artwork und dem ganzen Aufbau gleich wichtig wie die Musik selbst?
Extrem wichtig sogar. Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass viele Menschen unsere Artworks mögen, dann aber die Musik nicht, wenn sie genauer reinhören. (lacht) Jedes Instrument hat seine Wichtigkeit, aber es darf auch nirgends der Schlendrian einziehen. Die Verpackung ist extrem wichtig, denn Metalfans schauen zuerst einmal drauf und entscheiden oft erst dann, ob sie dem Produkt eine Chance geben.

Wird es mit den Jahren und nach so vielen Alben zunehmend schwieriger, neue Themengebiete zu finden und neue Texte zu schreiben?
Eigentlich nicht. Früher war es wirklich eine Art Kunstform, aber heute ist Celeste ein Job und deshalb weiß ich, dass ich an bestimmten Tagen Texte schreiben muss. Die sollen natürlich nicht schlecht klingen, also bemühe ich mich sehr. Nach fünf oder sechs Alben kommt man in einen Flow und weiß irgendwann, wie man die Dinge anlegt. Anfangs war es extrem leicht Musik zu schreiben, weil jedes Riff neu für uns war. Heute müssen wir uns musikalisch mehr anstrengen, um neue Musik zu kreieren. Wir sind ziemliche Perfektionisten, deshalb dauert es auch immer etwas länger, bis neue Musik entsteht.

Habt ihr auch noch denselben Spaß wie vor zehn oder 15 Jahren?
Nein, das würde ich ehrlicherweise nicht sagen. Wie in jeder Beziehung bettet man sich anfangs auf Rosen und mit den Jahren kann es immer wieder zu Krach führen. (lacht) Das gilt aber ohnehin für alles im Leben. Wir müssen neue Wege finden, um Spaß am Tun zu haben. Wenn wir neue Songs schreiben, dann ist das manchmal hart. Schön wird es, wenn ein Song fertig ist und alle damit zufrieden sind, aber der Weg dorthin kann steinig sein. Wir lieben es zunehmend, größere Venues mit guten Konditionen zu spielen. Das war uns früher egal, wird uns mit den Jahren aber wichtiger. Wir sind sicher nicht mehr so verrückt und irre wie früher. In den Anfangsjahren haben wir jeden Abend gesoffen und waren morgens komplett im Eimer. Das geht sich natürlich nicht mehr aus, aber mit den besten Freunden auf Tour zu sein, ist immer noch etwas ganz Besonderes. Man setzt sich in den Van und kann wieder zum Kind werden - wer hat diese Freude schon im Alltag? Selbst wenn ein Konzert schlecht oder auslaugend war, motivierst du dich sehr schnell wieder, weil du mit guten Freunden unterwegs bist.

Welche andere Band würde perfekt für eine Tour mit Celeste dazupassen?
Ich höre mir nicht sehr viel neue Musik an. Die Deftones könnte ich mir gut vorstellen, auch Korn. Ich liebe auch Bands wie Neurosis oder Gojira, die eine gewisse Urgewalt haben. Wird in der Praxis wohl nur etwas schwierig umzusetzen sein. (lacht)

Live in Wien
Am 26. März sollen Celeste mit Conjurer im Vorprogramm live im Wiener Viper Room auf die Bühne gehen. Unter www.ticketmaster.at gibt es die Karten und weitere Infos für das Event. Eine Durchführung kann aufgrund der Pandemie noch nicht garantiert werden.

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