Die Letzten

„Diese Geschichte gilt es zu bewahren“

Vorarlberg
17.10.2021 12:25

In seiner Serie „Die Letzten“ porträtiert Autor Robert Schneider Menschen, die einem alten Handwerk nachgehen. Zuletzt hat er den Restaurator Franz Clemens zu Waldburg-Zeil besucht.

Wollen Sie eine Adels-Story machen?„, fragt mich eine sehr weltläufig wirkende Dame, als ich das Palast-Büro in Hohenems betrete. Es ist die Hausherrin Stephanie zu Waldburg-Zeil selbst. Eine Frau mit einer unaufdringlichen, herben Eleganz, der man sofort ansieht: Die kommt nicht von hier. „Ich dachte eher an eine Geschichte über das Restaurieren alter Möbel„, antworte ich. „Na, dann ist es ja gut“, entgegnet die Gräfin, und im selben Moment tritt schon der Graf auf mich zu.

„Ich bin der Clemens“, sagt der Ururenkel von Kaiser Franz Josef und bietet mir sofort das Du an. Er trägt Arbeitskleidung und eine schlichte Fleecejacke, bittet um Entschuldigung, dass er erkältet ist. Er sei im Palast nicht nur aufgewachsen, sondern dort als Hausgeburt zur Welt gekommen, erzählt Clemens, der 2016 gemeinsam mit seiner „geliebten Stephanie“ das Erbe angetreten hat. „Es ist Geschenk und Bürde zugleich. Die Leute haben oft haarsträubende Vorstellungen. Stephanie und ich, wir beide arbeiten sehr hart.“ Clemens, geboren 1962, Papa von vier erwachsenen Töchtern, ist gelernter Tischlermeister und Möbelrestaurator. Seit 30 Jahren führt er in der ehemaligen Weinkelterei des Palastes seinen eigenen Betrieb. „Leicht war der Anfang nicht. Ich musste sogar Miete für die Werkstatt im eigenen Haus bezahlen.“

Besonderes Altholz
Vertieft hat er sein Wissen im Museum für angewandte Kunst in Wien sowie in namhaften Kunstsammlungen, für die er als Chefrestaurator gearbeitet hat. Überdies ist er gerichtlich beeideter Kunstsachverständiger. Er hat sich zwischenzeitlich auf die Restaurierung und Adaption historischer Bausubstanzen spezialisiert.

Die Altholzverarbeitung ist ein wichtiges Standbein seines Betriebs geworden. Die Waldburg-Zeil-Restaurierungen haben sich, was den Innenausbau anlangt, einen klingenden Namen bis weit über die Grenzen des Landes hinaus erarbeitet. Altholz hat ungemein an Wert gewonnen in einer Zeit des permanenten Wegwerfens. Erstens wurde es noch im richtigen Zeichen geschlagen, zweitens ist es durch sein Alter viel robuster. Wir reinigen und bürsten es lediglich, ansonsten bleibt es unbehandelt. Du kannst ein Rotweinglas darüber schütten. Mit etwas Gallseife sieht man danach keine Rückstände mehr.

Clemens steigt die Leiter einer Bibliothekswand hoch, balanciert einen dicken, schweren Folianten herunter und schlägt den Schmöker auf. Es handelt sich um ein französisches Kompendium alter Handwerkstechniken aus dem 18. Jahrhundert mit detaillierten Kupferstichen. Anhand dieses Buches erläutert er, wie damals die Oberflächen von Holz poliert wurden, nämlich mit Ziehklingen und einem Bündel von getrocknetem Schachtelhalm oder Schilf. Schleifpapier gab es damals ja nicht. Er blättert weiter und erzählt, wie die Schattentechnik mittels heißem Sand in Furnierbildern erzeugt wurde. „Ich habe dieses Verfahren auch selbst angewandt. Man nimmt ein Stück Intarsie, das an den Kanten dunkler wirken soll, brennt die Konturen mit erhitztem Sand an, damit Plastizität entsteht. Als Restaurator muss man ja zuerst einmal wissen, mit welchen Werkzeugen die Handwerker von damals gearbeitet haben. Das ist das A und O unseres Berufs.“

Schätze heben
Clemens führt aber nicht nur alte Möbelstücke in ihren Urzustand zurück. In seiner Firma arbeitet seit sechzehn Jahren ein Spezialist für Gemälderestauration aus Russland. Sergej hat in keiner geringeren Gemäldegalerie gelernt als in der Eremitage in St. Petersburg. „Restaurieren heißt ja nicht reparieren, sondern die Substanz erhalten, soweit es möglich ist“, führt Clemens aus und zeigt mir in einem Nebenraum ein Gemälde, das er der flämischen Schule Van Dycks zurechnet. „Hier stehen wir vor einem Problem. Das Gemälde weist verschiedenste Schichten von Firnissen und Lasuren auf. Außerdem gibt es missglückte Ausbesserungsversuche früherer Jahrhunderte. Da wir tatsächlich eine sehr ähnliche Vorlage von Van Dyck kennen, wollen wir die Wiederherstellung wagen, was natürlich enorm zeitaufwändig ist.“ Weiter geht es zu den eigentlichen Restaurationswerkstätten in der ehemaligen Weinkelterei, wo Clemens und seine Mitarbeiter gerade dabei sind, eine sehr in Mitleidenschaft gezogene Anrichte aus der Renaissance-Zeit in Angriff zu nehmen. Hier sieht auch der Laie die unsachgemäßen Reparaturen, die an diesem wertvollen Stück getätigt wurden. Zig Schichten von schweren Lacken müssen mit einem Salmiak-Wasserstoff-Gemisch behutsam entfernt werden. „Das ist die älteste Technik des Abbeizens“, erklärt Clemens.

Mein Blick fällt auf eine Mandoline mit zerspelltem Rumpf und abgebrochenem Hals. Auch dieses Stück wird Clemens restaurieren, ohne die Patina des Alten anzutasten. „Das Stück erzählt ja eine Geschichte - die Kratzer und Griffspuren -, und diese Geschichte gilt es zu bewahren." Verblüfft über die Vielfältigkeit der Waldburg-Zeil’schen Werkstätte verabschiede ich mich. Noch mehr verblüfft über den so ganz und gar unprätentiösen Menschen Franz Clemens, den Grafen von Hohenems.

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