Aktivistin in Kabul:

„Weiß nicht, welche Zukunft mich jetzt erwartet“

Ausland
01.09.2021 20:39

Mina ist Afghanin. Sie will nicht zu viel von sich preisgeben, denn sie wird gesucht. Sie war Aktivistin, hat sich für Frauenrechte und liberale Werte eingesetzt. Sie hat Interviews geführt und Artikel geschrieben, auf diversen Webseiten und in den sozialen Netzwerken prangt ihr Name. „Ich bin ein junges Mädchen und habe mich stark für Frauenrechte und Freiheit eingesetzt“, sagt sie. „Jetzt weiß ich nicht, welche Zukunft mich in diesem Land erwartet.“

Am sechsten Tag, nachdem die Taliban in Kabul einziehen, traut sich Mina, Sprachnachrichten, Videos und Fotos zu verschicken und über ihre Lage zu sprechen. Über eine Bekannte Minas erreichen sie die „Krone“. Zu dem Zeitpunkt hat Mina seit sechs Tagen ihr Zuhause nicht verlassen. „Ich habe zu große Angst“, sagt sie. „Der Tag, an dem sie in die Stadt einzogen, war fürchterlich. Es war Sonntagmorgen. Meine Mutter hat mich in der Arbeit angerufen. Sie hat gesagt, die Taliban sind in Kabul, die Menschen flüchten nach Hause. Wir hatten alle Riesenangst. Mein Chef hat sofort angeordnet, dass alle Frauen nach Hause gehen sollen. Normalerweise brauche ich für den Weg eine oder eineinhalb Stunden. An dem Tag waren es fünf. Es herrschte völliges Chaos auf den Straßen. Wie in einem Horrorfilm.“

Niemand traut sich mehr hinaus
Inzwischen sind die Straßen leergefegt. Niemand traut sich mehr hinaus, besonders junge Frauen nicht. Mina erzählt: „Die Taliban akzeptieren nicht, wie ich mich anziehe. Sie sagen, Frauen müssen vollständig bedeckt sein, sogar das Gesicht. Die Kleidung muss locker sitzen, der Umriss des Körpers darf nicht sichtbar sein. Ich habe solche Kleidung nicht. Meine Mutter hat einen schwarzen Schal, in den sie sich einwickeln kann, damit geht sie jeden Tag hinaus. Sie ist alt. Mit alten Frauen haben sie kein großes Problem. Aber für junge Frauen ist es schwierig, hinauszugehen.“

„Ich habe Angst, dass sie mich schlagen“
„Ich habe von vielen Fällen in anderen Städten gehört, wo die Taliban Mädchen mit Gewehren zusammengeschlagen haben. Sie haben alle ein riesiges Gewehr dabei. Sie sind zwar von hier, und sie sehen ähnlich aus wie alle anderen, aber dann doch anders. Ich habe Angst, dass sie mich schlagen, wenn ich vor die Tür gehe. Ich habe Angst vor der Zukunft. Wenn sie das Land regieren und die Scharia einführen - oder eben ihre Definition davon… Ich und drei meiner Nichten sind jung. Die jüngste ist älter als 14, und damit laut den Taliban heiratsfähig. Ich fürchte mich vor dem Tag, an dem sie von Haus zu Haus gehen, junge Mädchen suchen und sie mit ihren Kämpfern zwangsverheiraten. Das ist die Hölle. Damit ist das Leben zu Ende.“

Mina hat Dokumente von ihrer ehemaligen Universität in Kirgistan. Sie wollte das Land verlassen, hat aber Sorge um ihre Familie: „Ich habe einen Pass, weil ich im Ausland studiert habe, aber der Rest meiner Familie hat keine Reisepässe und kann nicht um Hilfe ansuchen.“ Mina ist nach wie vor in Kabul, das letzte Lebenszeichen kam Mittwochfrüh. Wenn sie das Land verließe, müsste sie ihre jüngeren Geschwister zurücklassen.

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