Wenn Stadtplaner Menschen hassen, kommt so etwas wie die Seestadt Aspern in Wien heraus: ein Haufen Betonburgen in Tetris-Bauweise, die Hitze speichern und abgeben wie Brennstäbe. Lokalaugenschein am Höhepunkt der Hitzewelle dieser Woche. Und es wird bald wieder heiß.
38 Grad. Nicht draußen, sondern drinnen. Das ist die Temperatur, in der langstielige Wachskerzen schmelzen, wenn man länger nicht zu Hause ist. Wie tote Blumen lassen sie ihre Köpfe hängen, und auch für Sabine K. ist das Leben in ihrer Wohnung am Höhepunkt von Hitzewellen kaum noch erträglich. Nachts hat sie über 30 Grad im Haus. „Wer kann da schlafen?“, fragt die Mutter.
„Ich leide im Sommer daheim“
Wärmeflasche mit Eiswasser füllen und bis zum Schlafengehen in den Kühlschrank legen, ist so ein Hitzetipp aus dem Fernsehen. Nach ein paar Stunden ohne Schlaf könnte sie Tee daraus machen. „Ich leide im Sommer daheim“, erklärt die Angestellte. Und sie leidet nicht alleine.
Sabine K. lebt in der Seestadt Aspern. Gemeinsam mit 8200 anderen Personen. Die Seestadt im 22. Bezirk ist eine riesengroße Siedlung aus einzelnen Betonhäusern, die auf Asphaltfeldern stehen, die umgeben sind von anderen Betonhäusern auf Asphaltfeldern. In der Mitte ein See, in den die Bewohner flüchten, wenn zu Hause wieder die Kerzen schmelzen.
Bäume gibt es - winzige
„Hier ist es sehr, sehr heiß“, erklärt Kinga Ostrega. Die 34-Jährige verharrt in den Schwaden einer Nebeldusche, die als Überlebensinseln an allen Ecken stehen. Sie ist hochschwanger. 8. Monat. Und sie erzählt: „Man hat Bäume gepflanzt, viel zu spät. Sie sind also noch zu klein.“ Und tatsächlich: An einigen Stellen wächst karges Geäst aus der Betonwüste. Umzingelt von Baumpfählen, das sind diese Holzkrücken, damit die Babygewächse nicht umfallen. Wenn sie groß sind, werden die Bäume lange Schatten werfen. In 20 bis 30 Jahren dann.
Die „Krone“ spazierte diese Woche am bislang heißesten Tag des Jahres durch die Seestadt. Ausgerüstet mit Wasserflaschen wie bei einer Wüstentour und mit einem Laser-Temperaturmessgerät, das zwischen -50 und 800 Grad Celsius alles schafft. Der Wetterbericht sagt: Nächste Woche wird es wieder so brütend heiß.
Bank aus Granit lädt nicht zum Verweilen ein
Wissenschafter haben anhand eines Bibelverses über geschmolzenen Schwefel errechnet, dass es in der Hölle theoretisch 445 Grad Celsius haben müsste. Die gute Nachricht: Die Seestadt Aspern ist nicht so heiß wie die Hölle. Aber sie ist zu heiß für Menschen, die noch auf der Erde leben. Eine Art Hitze-Hölle auf Erden. Asphaltboden: 48,4 Grad. Haus mit Fassade aus Glas: 51 Grad.
Wer sich erschöpft hinsetzen möchte, sollte dies nicht mit zu kurzer Hose oder Rock tun. Die Bänke sind aus Granitblöcken gehauen. Temperatur: 47,6 Grad.
Eine Freundin von mir wohnt ebenso hier und hat auch bis zu 39 Grad in der Wohnung.
Eine Bewohnerin
Hitze brennt durch die Schuhsohlen
„Man spürt richtig, wie die Hitze vom Boden aus durch die Schuhsohlen brennt“, erzählt Gregor Leidnix, der mit seiner Lebensgefährtin Christina Widi und der kleinen Laura erst am Montag hierhergezogen ist. „Eine Freundin von mir wohnt ebenso hier und hat auch bis zu 39 Grad in der Wohnung“, erklärt die 36-Jährige. „Sie sagt zur Seestadt immer Little Dubai.“
Besucher: Hier wohnen wollen sie aber nicht
Aber es ist nicht alles schlecht. Der See lockt viele Wiener auch von außerhalb an. Eva P. und Michael T. aus der Leopoldau machen Urlaub auf der Parkbank gegenüber. „Im Sommer kommen wir zweimal die Woche her“, erklärt der 45-Jährige. Der Simmeringer Stefan Lichtblau macht Urlaub in der Hundezone nebenan. Eine Decke, seine Hündin „Sofie“, ein Bier, und er ist glücklich.
Sie alle aber eint eines. Hier wohnen, das möchten sie nicht.
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