Helmut Steinlechner:

Rechenfehler, Raufereien und Respekt vor Rindt

Steiermark
27.06.2021 13:56

Helmut Steinlechner war jahrzehntelang Pressereferent am Österreichring. Für das Red Bulletin erinnert er sich an die wilden Anfänge des Motorsports im Aichfeld, ohne die es keinen Steiermark-GP gäbe.

Helmut Steinlechner war noch ein Teenager, als er sein erstes Formel 1-Rennen sah. Man schrieb das Jahr 1963, gefahren wurde auf dem Zeltweger Militärflugplatz, die „Boxen“ wurden mit Holzpflöcken abgegrenzt, und das Rennen zählte nicht einmal zur WM. Helmuts Vater Hans betrieb ein Lokalblatt, die „Obersteirischen Nachrichten“. Da war ein Autorennen in der Region natürlich ein unterstützenswertes Projekt, und die Steinlechners waren von Anfang an zuvorderst dabei, tief eingewoben in den Verein STMSC Knittelfeld (Steirischer Motorsport-Club), der die Rennen veranstaltete.

In der Vereinskassa befanden sich gerade einmal 85.000 Schilling, umgerechnet etwas mehr als 6.000 Euro, als man beschloss, eine Rennstrecke zu bauen. Und zwar nicht irgendeine Rennstrecke, sondern einen „kleinen Nürburgring“ nach dem Vorbild der legendären 22-Kilometer-Schleife in der deutschen Eifel. Man besorgte sich ein Luftbild des Aichfelds und zeichnete mit Filzstift einen Streckenverlauf ein: Start sollte in Spielberg auf dem Gelände des heutigen Red Bull Rings sein, dann würde man über Flatschach auf der einen Seite ins Blümeltal und auf der anderen wieder herausfahren, schließlich über den Schönberg wieder zurück zum Ausgangspunkt. Die Runde sollte satte 11 Kilometer lang werden.

Die Steiermark gegen den Rest der Welt
Was man nicht bedacht hatte: Zufahrten für Rettung oder Zuschauer, Infrastruktur generell. Die Begehrlichkeiten der unzähligen Grundeigentümer. Dr. Gustav Tiroch, Anwalt und rühriger Präsident des STMSC, schrumpfte das Projekt auf machbare Größe und setzte sich gegen massive innerösterreichische Konkurrenz durch: Der ebenfalls frisch in Angriff genommene Salzburgring hatte gewichtige Unterstützer aus Wien, darunter auch den ORF. Es war das klassische Match Steiermark gegen den Rest der Welt - ein Duell, aus denen das steirische Wesen traditionell Kraft bezieht. Man zeigt es den anderen ganz gern.

Der STMSC hatte immerhin seine 85.000 Schilling - und den direkten Draht zum damaligen Landeshauptmann Josef Krainer, der bei einer Vereinssitzung durchtelefonierte: „Gehts zur Raika in Knittelfeld und holt euch das Geld, das ihr braucht. Sie wissen Bescheid.“ Sollten die Salzburger ihren Salzburgring bauen, in der Steiermark würde nichts weniger als der Österreichring entstehen! Dank bester Kontakte zur internationalen Rennszene kamen in den folgenden Jahren die besten Fahrer und stärksten Rennserien in die Steiermark, als Zugpferd natürlich die F1. Dass mit Jochen Rindt und Helmut Marko die zwei stärksten einheimischen Rennfahrer ebenfalls Steirer waren beflügelte die Entwicklung noch mehr.

Handgemachte VIP-Tickets und Raufereien
Ab 1972 war Helmut Steinlechner Pressereferent am Österreichring und bekam das Wirrwarr an Ausweisen und Armbinden und handgemachten VIP-Tickets hautnah mit, mit denen sich Menschen den begehrten Zugang ins Fahrerlager erschlichen. Motorsport war DAS Thema damals, und die Fans flippten bei der Chance, hautnah dabei zu sein, aus und wurden kreativ. Sich selbst nimmt er dabei nicht aus: „Wir sind mit unseren Zeltweg-Ausweisen zum Beispiel in Monaco einmarschiert. Der Trick war, möglichst wichtig und ernst dreinzuschauen und sich von Ordnern nichts gefallen zu lassen. Manche hatten vier Ausweise umhängen.“

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Ruhiger wurde es erst, als das einheimische Gösser-Bier gegen australisches Fosters ersetzt wurde. Schlagartig waren die Leute deutlich nüchterner.

Helmut Steinlechner

Die Atmosphäre in Spielberg sei jedenfalls unglaublich gewesen, meint er, „und weil in Italien Ferragosto war, kamen zum Grand Prix 50.000 Italiener zu uns in die Region. Alle haben profitiert.“ Freilich hatte der GP von Österreich jahrelang ein rustikales Image: „Raufereien waren an der Tagesordnung. Die einen haben Ferrari, Ferrari geschrien, die anderen etwas anderes, und schon ist es losgegangen.“ Alkohol war im Spiel, und als die Polizei ihre Rottweiler auf die Italiener hetzen wollte, „haben die ihre Gläser zerschlagen, um die Hunde mit den Glasscherben auf dem Boden von sich fern zu halten. Ruhiger wurde es erst, als Bernie Ecclestone das einheimische Gösser-Bier gegen australisches Fosters ersetzen ließ. Schlagartig waren die Leute deutlich nüchterner.“

Der reiche Herr Ecclestone und der Respekt einflößende Herr Rindt
Über den jahrzehntelangen F1-Zampano verliert Steinlechner kein schlechtes Wort: „Natürlich hat er durch uns gut verdient. Ich musste zum Beweis immer die Koffer mit Bargeld fotografieren, die ihm nach dem Rennen übergeben wurden. Einmal hat er sich im Wechselkurs-Dreieck Schilling-Pfund-Dollar zu seinen Ungunsten verrechnet. Ich habe ihn auf den Fehler aufmerksam gemacht, doch er sagte nur: Wenn ich zu blöd zum Rechnen bin, dann verdiene ich es nicht anders. Behaltet die Differenz!“

Rindt und Lauda begleitete Steinlechner persönlich. Und räumt mit einer Legende auf: „Niemand war mit ihnen per Du. Das waren Respektspersonen. Herr Rindt, Herr Lauda. Wenn heute einer erzählt, was er mit “dem Jochen„ erlebt hat, kann ich nur den Kopf schütteln.“

Starthilfe für Gerhard Berger
Die Jungs vom STMSC waren natürlich Fans ihrer Lokalhelden und unterstützten sie, wo sie konnten. „Gerhard Berger fuhr in der Formel 3 und brauchte dringend ein gutes Resultat. Bei allen Rennen hatten wir die Startampel so eingestellt, dass es genau 11 Sekunden dauerte, bis sie auf Grün schaltete. Die Teams wussten das natürlich. Berger hingegen sagten wir: In dem Moment wo du losfährst, schalten wir auf Grün. Und so geschah es. Noch Jahre später kam er zu uns in die Rennleitung und sagte: Burschen, erzählt mir die Geschichte, wie wir die anderen am Start abgeschüttelt haben.“

Selbst wenn Helmut Steinlechner längst keine offizielle Funktion am Ring mehr hat: Die Leidenschaft ist geblieben. „Ich schau mir die Rennen natürlich an. Was sich geändert hat, ist die Nähe der Leute zu den Fahrern. Wenn sich ein Fahrer heute ins Wirtshaus verirrt, hat er eine ganze Entourage mit sich. Früher hätte es geheißen, ‚Komm, hock dich zu uns.‘ Es war halt viel familiärer damals.“

Werner Jessner, The Red Bulletin

Porträt von Steirerkrone
Steirerkrone
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