Album & Interview

Gary Numan: Noch einmal schnell die Welt retten

Musik
20.05.2021 08:00

Wie kaum ein Zweiter hat Gary Numan solo als auch mit der Tubeway Army den Synthie-Pop der 80er- und auch 90er-Jahre geprägt. Mit „Intruder“ veröffentlicht der heute 63-jährige Brite nun schon sein zweites Album, auf dem er sich mit der Klimakrise und einer apokalyptischen Vision vom Ende der Welt befasst. Ganz und gar nicht dystopisch war das Zoom-Gespräch mit dem netten und redegewandten Kultkünstler.

(Bild: kmm)

Das Pop-Business ist erbarmungslos. In einem Moment ist man der größte Star der Welt, im nächsten befindet man sich völlig am Boden und weiß noch nicht einmal, wie das in einer kaum zu verarbeitenden Rasanz überhaupt passieren konnte. Als der Brite Gary James Webb nach mehr als einem Dutzend unterschiedlicher Jobs Ende der 70er-Jahre eine Karriere als Musiker starten will, geht sofort alles auf. Mit seiner New-Wave-Band Tubeway Army gelingt ihm 1979 der Welterfolg „Are ,Friends‘ Electric?“. Das prägnanteste Synthie-Riff der New-Wave-Geschichte dient als audiovisuelle Blaupause für das folgende Jahrzehnt. Sein androgynes Äußeres war mehr seiner Schüchternheit und der Akne geschuldet als dem Stilmittel, als dass es David Bowie verwendete. Die Klänge nahmen vorweg, was von Tears For Fears über Depeche Mode bis hin zu Kim Wilde an die klanghedonistische Spitze getrieben werden würde. Die Tubeway Army zerschellt, aber mit „Cars“ gelingt dem New-Wave-Pionier gleich darauf eine amtliche Solo-Nummer-eins.

Trendumkehr gelungen
In der ersten Hälfte der 80er-Jahre glänzte Numan (den Künstlernamen gab er sich aufgrund einer Werbeanzeige in den „Gelben Seiten“) zumindest in Großbritannien noch mit Erfolgen, der tiefe künstlerische Fall war aber nicht aufzuhalten. Gary Numan wurde im Laufe der Zeit zu einem „has been“, den zwar Industrial-Bands wie Fear Factory oder Trent Reznor mit seinen Nine Inch Nails in den Himmel loben, der selbst aber keinen Fuß mehr auf die Erde brachte. Eine leichte Kehrtwende gab es dann ab den 90er-Jahren, wo der unentwegt kreative Brite seine Alben inhaltlich und klanglich düsterer gestaltete. Sein privates Glück fand der Künstler 1997 bei der Hochzeit mit Gemma O’Neill, einst wichtige Person in seinem Fanclub, der er seither des Öfteren die Rettung seines Lebens attestierte. Mittlerweile ist er Vater von drei Töchtern und pendelt seit 2012 zwischen seinem kalifornischen Hauptwohnsitz und der alten Heimat in West Sussex. Musikalisch kam der Turnaround 2013 mit „Splinter (Songs From A Broken Mind)“, wo er offen mit seinen Depressionen und mentalen Schwächen umging und instant wieder zum Kritiker- und Fanliebling wurde.

Noch gebrochener als sein eigenes Seelenleben sei nur die Welt selbst, stellte der angeblich stets drogenfreie und geerdete Numan 2017 fest. „Savage (Songs From A Broken World)“ basierte auf dem apokalyptischen Konzept, dass nur mehr wenige Menschen auf der zerstörten Erde leben würden und die Brutalität der Spezies in einer unwirtlichen Umwelt beim Kampf ums nackte Überleben unermesslich sein würde. Damit ging es in den englischen Albumcharts bis auf Platz zwei und Numan rauschte mit so viel Erfolg in sein siebentes Lebensjahrzehnt wie seit den frühen 80er-Jahren nicht mehr. Schon während der Arbeit am Vorgängeralbum wusste der Brite, dass die Geschichte nicht auserzählt wäre. Sein neuestes Album „Intruder“ spinnt den dystopischen Gedanken der Gegenwart folgerichtig weiter. Das neue Konzeptalbum ist aus der Perspektive des sterbenden Planeten Erde verfasst. Das Thema könne nicht aktueller und realistischer sein, wie der sympathische und extrem gesprächige Musiker im Zoom-Interview mit der „Krone“ betont.

Die Zeit läuft ab
„Ich bin kein großer Fan der Menschheit und glaube fest daran, dass der Mensch permanent Fehler macht, die Natur aber nicht. Der Klimawandel ist kaum aufzuhalten und die Zeit läuft uns immer mehr davon. Es liegt an unseren Enkelkindern, die Welt noch so fundamental zu verändern, dass wir drohende Katastrophen zumindest abmildern können. Mir kommt es vor, als würden alle Politiker so tun, als befänden wir uns in einem Science-Fiction- oder Fantasy-Film, aber es ist die bittere Realität, dass die Welt langsam zugrunde geht.“ Als „Intruder“ bezeichnet Numan auf dem Werk den Menschen, den er für einen unwillkommenen Eindringling und endgültigen Zerstörer der Bio- und Ökosphäre sieht. „Ein Teil von mir trägt die Hoffnung, dass sich der Planet zu seinem Schutze der Menschheit entledigt. Ein anderer Teil hofft unentwegt, dass wir als Menschen das Problem noch selbst lösen können. Das Dilemma begann schon mit der industriellen Revolution. Das System der Welt ist eigentlich perfekt, nur der Mensch passt überhaupt nicht hinein. Wir verstehen einfach nicht, dass wir uns längst in einem Krieg mit dem Planeten befinden, der uns das Leben überhaupt ermöglicht.“

Numan befasst sich laut Eigenbekunden schon seit 2013 intensiv mit der Klimathematik und versucht in seiner Position als Person der Öffentlichkeit ein Sprachrohr zu sein. „Intruder“ klingt düster, apokalyptisch und stellenweise ironisch-morbid. Mit dem Hymnencharakter der frühen Numan-Tage hat das Album wenig gemein, was angesichts der ernsten Thematik aber auch nicht das Ziel war. So handelt etwa der Song „The Gift“ vom immer noch grassierenden Corona-Virus. „Die Covid-Pandemie ist nur das erste Zeichen dafür, dass die Welt zurückschlägt“, erklärt der Sänger mit trauriger Miene, „wir sind intelligent genug um ein Mittel dagegen zu finden, aber zu blöd, um nachhaltig Dinge zu verändern. Erinnere dich zurück an den ersten großen Lockdown im Frühling 2020. Die Menschen haben für gut zwei Monate auf die Welt geachtet. Die Luftverschmutzung ging drastisch zurück, die Flüsse waren sauberer und in Venedig hast du auf einmal Delfine durch die Kanäle springen sehen. Die Welt wäre so schnell wieder gesünder, wenn wir einfach nicht da wären. Für den Planeten wäre es am besten, wenn sich der Mensch einschließen würde.“

Religion vs. Wissenschaft
Numan zieht inhaltlich auch Parallelen zu den derzeit gebotenen Glaubenskriegen. Warum man etwa anerkannten Wissenschaftlern nicht mehr zuhört, versteht er überhaupt nicht. „Ich lebe hauptsächlich in Amerika und bin von Leuten umgeben, die mit ,Love God, Love Guns‘-Shirts herumlaufen. Das ist der blanke Wahnsinn. Sie hecheln völlig devot allen möglichen Religionen nach, obwohl es überhaupt keine Beweise für die Existenz ihrer Glaubenschimären gibt. Auf der anderen Seite hast du geschulte Fachleute, die dir sagen, wir hätten fünf nach Zwölf und die Leute ignorieren diese nachvollziehbaren, erwiesenen Expertisen. Du kannst ruhig beten, aber wenn die Welt rund um dich zusammenbricht, wird dir das auch nicht mehr nützen. Dieser kollektive Unglaube der Wissenschaft gegenüber macht mich sprachlos und frustriert mich enorm. Ich kann nicht leugnen, dass mein Optimismus jeden Tag weiter sinkt und ich blicke mit Sorge auf die Zukunft meiner Kinder und der noch nicht geborenen Enkelkinder.“

Das Jammern über die Pandemie versteht Numan bei privilegierteren Menschen nicht. „Wir haben in Kalifornien ein großes Haus, die Kinder haben alle ihr eigenes Zimmer und viel Platz und wir nehmen das Virus ernst und schützen uns. Jammern steht mir noch nicht einmal im Ansatz zu, denn wir leben im Luxus.“ Mehr denn je weiß Numan aber durch die Pandemie und diverse Rückschläge in der Vergangenheit im Moment zu leben. „Es ging mir selbst immer nur um das Morgen oder das Gestern - aber nie um das Heute. Ich habe jetzt 63 Jahre lang falsch gedacht und ändere mich diesbezüglich gerade stark. Vor meiner Tür ist ein schöner Teich, in dem die Enten schwimmen. Danach kommt mein Vater zu Besuch. Ich genieße den Tag und schätze, was ich mache.“ Die Musik ist für Numan heute anders wichtig. „Damals habe ich das Geld für mich verdient, jetzt für meine drei Töchter. Sie sollen ohne Sorgen aufwachsen und einmal tun können, was sie wollen. Ob sie auf der Bühne im Staples Center von Los Angeles stehen oder Burger bei McDonald’s verpacken ist egal - solange sie glücklich und zufrieden sind.“

Nächstes Album in Arbeit
Mit dem Klimakonzept ist Numan noch nicht ganz fertig, 2022 soll noch ein Nachfolger von „Intruder“ erscheinen. „Es wird keine direkte inhaltliche Fortsetzung, aber basiert auf den Ideen, die ich hier verwendet habe. Ich glaube aber, dass die Themen Klimawandel und Ende der Welt dann fürs Erste einmal durch sind, denn sonst hört irgendwann keiner mehr hin und die Wirkung verpufft völlig.“ Die Möglichkeiten, dass sich der 63-Jährige dann wieder um sein persönliches Seelenleben kümmert und es nach außen trägt, sind durchaus groß. „Ich bin für gewöhnlich ein extrem egoistischer Songwriter und kann mir gut vorstellen, dass ich die großen globalen Themen wieder beiseitelege, um alle mit meinen Befindlichkeiten zu nerven.“ Aber zuerst noch einmal kurz die Welt retten.

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