Immobilien im Ländle

Spekulation mit einem Grundbedürfnis

Vorarlberg
22.04.2021 10:30

Verena Konrad, Direktorin des Vorarlberger Architekturinstituts (VAI), spricht im großen „Krone“-Interview über das Grundbedürfnis Wohnen, Immobilien als Spekulationsobjekte und das Phänomen des Leerstands.

Krone: Frau Konrad, stellen Sie sich vor, Sie fahren durchs Rheintal. Wie sehr provoziert der bauliche Wildwuchs ihr ästhetisches Empfinden?
Verena Konrad: Wenn ich unterwegs bin, nehme ich natürlich sehr viel wahr. Der Begriff der Wahrnehmung ist ja ein ganzheitlicher und da gehört das Gefühl ganz wesentlich dazu. Ich bemühe mich, nicht nur auf die Oberfläche zu schauen, sondern mich in die Menschen hineinzuversetzen und die einzelnen Objekte in einen größeren Kontext einzuordnen. Ich will verstehen, warum Menschen unter welchen Umständen zu welcher Zeit so gebaut haben, wie sie gebaut haben. Werturteile fälle ich keine, besonders nicht, wenn es um die persönlichen Lebensumstände von Menschen geht.

Und warum haben die Menschen in Vorarlberg gebaut, wie sie gebaut haben? Ist das Aneinanderreihen von Einfamilienhäusern nur ein Produkt der Realteilung oder gibt es dafür andere Gründe?
Das Erbrecht ist sicherlich ein Erklärungsmodell, wobei die Zersiedlung kein Vorarlberger Phänomen ist. Sie taucht auch in anderen Regionen Europas auf und hat viele Ursachen. Wir tun immer so, als wäre das Einfamilienhaus die tradierte Vorarlberger Bauweise, tatsächlich aber ist es vor allem ein Phänomen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Davor haben die Menschen vorwiegend in Mehrfamilienhäusern gelebt, nicht selten als Zwangs- und Schicksalsgemeinschaften. Insofern hängt der Drang zum Einfamilienhaus sozialpsychologisch vielleicht auch damit zusammen, dass sich die Menschen aus diesen oft konservativ und patriarchalisch strukturierten Gemeinschaften befreien und ein selbstbestimmtes Leben führen wollten. Im Zuge des Wirtschaftsaufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg ist das Einfamilienhaus zudem zu einem Symbol des wachsenden Wohlstands geworden.

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Wären wir mit den Standards unserer Großeltern zufrieden, würden wir viele Diskussionen gar nicht führen.

Verena Konrad

Das hat sich radikal gewandelt: Die Preise für Grund und Boden sind explodiert, bauen kann fast nur, wer geerbt hat. Die Phrase vom „schaffa, schaffa Hüsle baua“, die ja ein Leistungsversprechen im Subtext trägt, hält der Realität kaum noch stand. Lohnt sich Leistung also nicht mehr?
Das würde ich so nicht sagen. Bei dieser hochemotionalen Debatte wird eines oft vergessen: Die Realisierung des Eigenheims war für die Generation unserer Eltern und noch mehr unserer Großeltern mit extremen Entbehrungen verbunden. Viele haben sich das eigene Haus regelrecht vom Mund abgespart. Ich war erst jüngst bei einem Vortrag der Kulturwissenschaftlerin Edith Hessenberger. Unter anderem hat sie davon erzählt, wie im Rheintal früher Zimmer und Betten vermietet wurden, um ein Zusatzeinkommen zu haben. Das wäre heute undenkbar. Zudem sind die Ansprüche unserer Generation an die Wohnraumqualität um ein Vielfaches höher - das fängt bei der Größe unserer Wohnungen an und hört bei der Ausstattung auf. Wären wir mit den Standards unserer Großeltern zufrieden, würden wir viele Diskussionen gar nicht führen. Ich habe mich oft gefragt, warum die Einfamilienhausthematik in Vorarlberg immer noch mit dieser Emotionalität geführt wird. Mein Erklärungsmodell dafür ist: So wie viele heute Häuser an ihre Kinder vererben, vererben andere den unerfüllten Wunsch nach einem Eigenheim. Dass macht es wohl auch so schwer, sich einzugestehen, dass für viele Menschen dieser Wunsch unrealisierbar bleiben wird. Wichtig ist, dass man die Mechanismen dahinter versteht und den unerfüllten Traum vom Eigenheim nicht als persönliches Versagen wertet.

Zu den Mechanismen gehört auch eine Entwicklung, die sich in Vorarlberg spätestens seit der Finanzkrise 2008 verstärkt bemerkbar macht: die Spekulation mit Grund und Boden. Nicht zuletzt die großen Familien- und Firmenstiftungen investieren bis heute massiv in Immobilien. Ein Großteil der verfügbaren Wohnungen - speziell im Neubau - geht an Anleger. Mit dem Ergebnis, dass die privaten Wohnbauträger „anlegeroptimiert“ und nicht bedürfnisorientiert bauen.
Spekulation bedeutet im Grunde nichts anderes, als etwas zu erwerben, mit dem Ziel, es später teurer verkaufen zu können. Davon profitieren im Übrigen auch viele Privatpersonen, das ist nicht nur eine Strategie von anonymen Investoren. Mir ist wichtig, dass man zwischen den Begriffen Wohnen und Wohnbau differenziert. Wohnen ist ein elementares menschliches Grundbedürfnis, man kann nicht nicht wohnen. Beim Wohnen geht es um Sicherheit, um Privatheit, Rückzug, aber auch darum, Gemeinschaft zu leben und Gäste empfangen zu können. Idealweiser werden über den Wohnbau genau diese Bedürfnisse gestillt. In der Realität sieht das leider auch anders aus. Überall auf der Welt lässt sich ein Phänomen beobachten, das im Fachterminus „Finanzialisierung des Wohnens“ genannt wird. Das heißt, der Wohnbau folgt nicht nur den Interessen des Grundbedürfnisses Wohnen, sondern muss als Kapitalanlagemodell funktionieren. Die Folge sind steigende Preise. Das ist gut für Investoren, aber schlecht für jene, die diesen Raum nutzen wollen, vielleicht sogar müssen. Zu den negativen Begleiterscheinungen gehört unter anderem der sogenannte „neue Leerstand“. Es ist ja absurd: Während wir einerseits auch aus ökologischen Gründen darüber nachdenken, wie man den Bestand weiter nutzen und die Vitalität eines Quartiers erhalten kann, werden gleichzeitig neue Wohnanlagen hochgezogen, in denen manchmal nur ein oder zwei Einheiten bewohnt sind. Ich bin viel mit dem Rad unterwegs, dabei passiere ich immer wieder neue Objekte, in denen auch nach einem halben Jahr noch kein Licht brennt. Das gibt es auch in Vorarlberg. Diese Form des Leerstands wird aus kapitalistischem Interesse und der Rendite wegen in Kauf genommen. Das mag legal sein, vor allem aber ist es unsolidarisch.

In Vorarlberg sollen laut seriösen Schätzungen rund 8500 Objekte leerstehen
Nicht zuletzt für die politische Debatte ist es wichtig, dass man zwischen altem und neuem Leerstand unterscheidet. Während letzterer ein Produkt privatwirtschaftlichen Kalküls ist, spielen beim alten Leerstand ganz andere Faktoren eine Rolle. Mein Vorvorgänger Markus Berchtold-Domig hat dieses Phänomen am Beispiel des Bregenzerwaldes nicht nur quantitativ erfasst, sondern auch qualitativ beschrieben. Er ist dabei der Frage nachgegangen, warum es oft nicht gelingt, alte Bausubstanz vital zu halten und der Kubatur entsprechend zu nutzen. Da spielen einerseits Erbstreitigkeiten eine Rolle, ein anderes Problem ist, dass die Immobilien meist erst sehr spät vererbt werden. Und wissen Sie, was viele ältere Menschen als Grund dafür angegeben haben? „Wenn ich das jetzt schon vererbe, wer soll mich dann noch besuchen kommen?“ Das ist wirklich traurig, mich hat das sehr berührt.

Sie haben das privatwirtschaftliche Kalkül und die persönlichen Befindlichkeiten angesprochen. Kommen wir auf das öffentliche Interesse zu sprechen: Warum fällt es den Gebietskörperschaften so schwer, dieses konsequent durchzusetzen? Fehlt es an den nötigen Instrumenten?
Grundsätzlich verfügen die Gemeinden über sehr gute Instrumente. Wie diese angewendet werden, hängt sehr stark damit zusammen, wie intensiv man sich in den jeweiligen Kommunen mit dem Thema Baukultur befasst. Da geht es um Fragen wie: Was bedeutet dieses Vorhaben für die Dorfentwicklung, was für die Region? Welche Auswirkungen hat es auf die Menschen, die hier leben, auf Gemeinschaft und Wirtschaft? Was erzählt dieses Projekt über uns, in welchen Kontext ist es eingebettet? Während die Gemeinden in Sachen Verordnungen und Einhaltung der legistischen Vorgaben sehr gut unterwegs sind, gibt es in Sachen Baukultur oft großen Gesprächsbedarf.
Ein positives Beispiel ist die Gemeinde Schruns, die vor kurzem als erster Vorarlberger Ort baukulturelle Leitlinien erstellt hat. Ganz zentral ist dabei, in einem breiten Konsens die Frage „Was ist uns wichtig?“ zu beantworten - ein Prozess, bei dem eben nicht nur über Geld, sondern vorrangig über Qualitäten, die im Dorf verwirklicht oder ausgebaut werden sollen, geredet wird. Hat man darauf eine Antwort, können die diversen Instrumente effizient angewendet werden. Und ist das öffentliche Interesse erst einmal definiert, wird man in vielen Fällen auch Private begeistern und mitnehmen können. Etwa in Form eines Anreizsystems. Zum Beispiel: Du darfst in höherer Dichte bauen, wenn du diesen oder jenen öffentlichen Mehrwert schaffst, also etwas zurückgibst bzw. einbringst in die Gemeinschaft.

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Ich bin sehr viel mit dem Fahrrad unterwegs, dabei passiere ich immer wieder neue Objekte, in denen auch nach einem halben Jahr noch kein Licht brennt

Verena Konrad

Auffallend ist, dass Projekte der öffentlichen Hand qualitativ meist hochwertig sind. Da liegt der Schluss nahe, dass sie sich noch stärker im Wohnbau engagieren sollte.
Da kommt mir spontan der - leider im vergangenen Sommer verstorbene - deutsche Politiker Hans-Jochen Vogel in den Sinn. Er hat sich sein gesamtes Leben intensiv mit den Thematiken Grund und Boden sowie Wohnen auseinandergesetzt. Unter anderem hat er gesagt: So wie Luft und Wasser niemandem gehören, sollen auch Grund und Boden niemandem gehören. Wenn von einer Ressource, die für alle wichtig ist, wenige viel besitzen, dann führt das immer zu sozialer Ungerechtigkeit. Natürlich hat die öffentliche Hand eine Vorbildfunktion. Und natürlich ist es wichtig, dass sie sich im Wohnbau engagiert. Ich mag den Begriff des „Gemeindebaus“ auch außerhalb seines Kontextes im Wiener Wohnbau als Wort sehr, weil darin eine ganz zentrale Aussage enthalten ist: Die Gemeinde ist als Gemeinschaft fürs Wohnen zuständig. Hochwertigen Lebensraum für Menschen zu erhalten oder zu entwickeln - das ist doch das ursächlichste Interesse von Kommunalpolitik überhaupt! Bei neuen Wohnbauwidmungen wäre daher nach dem Wiener Modell auch zu überlegen, dass ein Teil für gemeinnütziges Wohnen reserviert ist. Wien hat dafür einen Wohnfonds, um diesen sozialen Ausgleich zu etablieren. Umgekehrt will ich mich aber auch nicht zu sehr auf die privaten Bauträger einschießen. Es ist ja nicht so, dass die Privaten keinen guten Wohnraum schaffen würden. Das tun sie sehr wohl, aber eben vor allem in einem bestimmten Preissegment. Darüber hinaus ist es schön zu sehen, dass gemeinschaftliche Projekte wieder stark im Kommen sind. Solche Konzepte boomen immer dann, wenn es sozial und wirtschaftlich prekär wird. In Vorarlberg war das zuletzt in den 1980er-Jahren, einhergehend mit dem Niedergang der Textilindustrie, der Fall.

Eine persönliche Frage zum Schluss: Sie sind seit 2013 Direktorin des VAI. Haben Sie das Gefühl, dass sich die Dinge zum Positiven verändern?
Jein. Viele Argumente stehen schon sehr lange im Raum. Es ist etwas mühevoll, sie immer wieder vorbringen zu müssen. Zugleich weiß ich aber, dass die Probleme Generationenthemen sind und es naiv wäre zu glauben, man könnte in kurzer Zeit Entwicklungen, die auch langsam und global entstanden sind, eine andere Richtung geben. Es ist eine Aufgabe, die viel Mut braucht und auch Geduld. Zur Wahrheit gehört allerdings leider auch, dass sich die Rahmenbedingungen seit der Finanzkrise 2008 verschlechtert haben. Der zunehmende Druck auf den Wohnungsmarkt ist eine Folge davon. Aber man kann dem etwas entgegensetzen: alternative Projekte, nachhaltige Konzepte. Und diesbezüglich ist Vorarlberg ein unglaublich produktives Feld, eben weil die Baukultur hier nicht nur ein abstrakter Begriff, sondern sehr breit verankert ist. Viele Menschen nehmen Dinge selbst in die Hand und sind nicht nur Konsumenten. Am Schönsten ist, dass sich in Vorarlberg die Menschen noch zusammenreden - diese Gesprächskultur ist ein wertvolles Gut. Denn qualitative Baukultur lebt vom Gespräch und dem Verständnis und Verstehen, das daraus erwachsen kann.

Persönliches: 
Verena Konrad, geboren 1979 in Oberösterreich, Ausbildung zur Kindergärtnerin und Sozialpädagogin, anschließend studierte sie Kunstgeschichte, Geschichte und Theologie. Seit 2013 leitet sie das Vorarlberger Architekturinstitut. Davor war Konrad unter anderem Kuratorin der Kunsthalle Wien und Dozentin (Architekturtheorie und Baugeschichte) an den Universitäten Innsbruck und Linz. 2018 kuratierte sie den Österreich-Pavillon bei der Architekturbiennale in Venedig.

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