Erfüllung gefunden

Topmodel Evelyn Rillé: Rettung statt Rampenlicht

Österreich
05.04.2021 06:00

Evelyn Rillé war in den 80er-Jahren eines der bekanntesten Topmodels. Heute ist sie Notfallsanitäterin und Kommandantin beim Roten Kreuz. Ein schmerzliches Schlüsselerlebnis brachte die Wende.

Trittsichere Sohlen statt High Heels, dicke rote Funktionsjacke statt Minikleidchen, Maske statt Make-up. Jetzt heißt es Teststraße statt Laufsteg. Manche Testkaninchen der Generation 50+ schauen sie dort kurz mit dem „Ich kenn Sie doch?“-Blick an. Denn in den exaltierten 80er-Jahren war Evelyn Rillé eines der bekanntesten Topmodels des Landes: Titelseiten und Modestrecken für die französische „Vogue“, Nacktfotos für den „Playboy“ und Lifestylemagazine. Sie drehte über 70 Musikvideos mit Falco („Wiener Blut“), den Stones, Queen oder Rod Stewart und lebte in London, Tokio und Deutschland.

Heute wohnt sie in Perchtoldsdorf bei Wien und ist nicht retuschierte 60 Jahre (auch hier sieht man sie einen Moment länger ungläubig an: 60?).

Die Jugend kann man nicht zurückholen
Ihr Markenzeichen, die überlangen blonden Haare, hat sie immer noch. Heute aber hochgesteckt oder zu einem dicken Zopf geflochten. Kein Botox, kein Lifting, nichts Aufgespritztes: „Nein, das ist nichts für mich. Ich kann diese starren, aufgeblasenen und künstlichen Gesichter nicht ansehen. Die Jugend kann man sich ohnehin nicht zurückholen. So gern man das auch täte“, sagt sie mit lebendiger Stimme, die genauso jung klingt, wie sie selbst aussieht.

Überhaupt haben Spritzen in ihrem jetzigen Leben eine ganz andere Bedeutung. Sie steigt aus dem Rettungswagen, den sie auch als Einsatzfahrerin lenkt. Evelyn Rillé ist seit 10 Jahren beim Roten Kreuz. Freiwillig und ehrenamtlich macht sie Dienst im Bezirk Mödling. Immer mindestens einen Tag vom Wochenende. Jeweils 12 Stunden. Sie ist Abteilungskommandantin, Notfallsanitäterin und Einsatzfahrerin.

Die Notfälle sind vielfältig. Von Kindern, die von Schaukeln fallen, bis zu Herzinfarkten oder sogar einem Ebola-Verdacht vor drei Jahren. Tragische Unfälle, dramatische Notsituationen, Reanimationen, wo nichts mehr zu holen ist. Aber sie kennt auch das andere: Wenn es glückt, jemandem das Leben zurückzugeben: „Das sind dann besondere Momente.“

„Mir wurde nichts geschenkt, ich musste mich doppelt beweisen“
Es war ein Schlüsselerlebnis, das die Mutter eines 31-jährigen Sohnes, die seit Ewigkeiten mit dem prominenten Starfotografen Johannes Ifkovits verheiratet ist, in eine andere Lebensspur katapultierte. Die ausgebildete Maskenbildnerin mit ausgeprägtem Fashion-Faible war damals Ausstatterin bei einem Privatsender. Gleichzeitig erkrankt ihre Mama schwer an Krebs: „Ich hab sie rund um die Uhr gepflegt und viel Zeit mit ihr auf der Onkologie verbracht.“

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Meine Mama kämpft um ihr Leben, und dann regt sich eine, die nicht einmal 20 Sekunden im Bild ist, über die Knöpfe an ihrem Sakko auf.

Evelyn Rillé

Als sie eines Tages vom Spital zum Sender hetzt und sich dann die Standpauke einer Möchtegernmoderatorin anhören muss, fällt der Entschluss: „Meine Mama kämpft um ihr Leben, und dann regt sich so eine Tussi, die keine 20 Sekunden im Bild ist, über die Knöpfe an ihrem Sakko auf. In dem Moment hab ich gedacht: ,Wieso mach ich so was Stumpfsinniges und nicht etwas Sinnvolles?‘“

2007 stirbt ihre Mama, zwei Jahre darauf ihr Papa. Die Wende. Sie absolviert Ausbildung um Ausbildung, strebert Tag und Nacht: „Ich war immer schon ehrgeizig und fleißig und hab viel gearbeitet. Aber nichts hat mich so erfüllt wie diese Aufgabe jetzt beim Roten Kreuz. Mir wurde nichts geschenkt. Ich musste gegen viele Vorurteile ankämpfen und mich doppelt beweisen.“

Eine psychosoziale Ausbildung hat sie auch. Sie begleitet im Team der Krisenintervention Angehörige nach Todesnachrichten oder Überlebende in deren schlimmsten Stunden: „Das ist ehrlich gesagt belastender als jeder Rettungseinsatz.“ Wie findet man Worte, wenn es keine gibt? Man müsse nicht immer reden, sagt sie: „Manchmal reicht es, jemanden einfach nicht allein zu lassen.“ Psychologie möchte sie noch studieren. Als Ausgleich lernt sie Saxofon.

Alltag derzeit von Corona bestimmt
Auch ihr Alltag wird derzeit von Corona bestimmt. An vorderster Front nimmt sie Nasenabstriche in Teststraßen und als Profitesterin nach 1450-Anrufen auch bei Hausbesuchen. Ihr Designerbrillen-Unternehmen „ist seit Corona tot. Wer kauft schon eine neue Brille - jetzt? Ich hab immer sparsam gelebt. Davon zehre ich jetzt.“ Für Luxusdiskussionen und Leugner hat sie kein Verständnis: „Wir leben in einer Wohlstandsgesellschaft, in der keiner verzichten kann.“

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Wir leben in einer Wohlstandsgesellschaft, in der keiner verzichten kann.

Evelyn Rillé

Tüüüt-tüüüt-tüüüt, der nächste Alarm geht ein. Fit schwingt sie sich ins Rettungsauto und winkt: „Ich habe noch viel vor.“ Wie man sieht, kann man auch in voller Fahrt bei sich selbst ankommen.

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