„Medicine At Midnight“

Foo Fighters: Nicht den Spaß am Leben verlieren

Musik
04.02.2021 06:00

Anstatt ausufernder Feierlichkeiten zum 25-jährigen Bandjubiläum befinden sich die Foo Fighters in der Warteschleife - wie der Rest der Rockwelt. Auf dem neuen Album „Medicine At Midnight“ setzen Dave Grohl und Co. auf gute Laune und Experimente. Drummer Taylor Hawkins erzählt uns im Interview, warum das dieses Mal so wichtig war.

(Bild: kmm)

Für manche gelten die Foo Fighters als die letzte große Rockband in einer Welt, in der Rockmusik eine immer geringere Rolle spielt. Für andere ist Dave Grohls zweites großes Lebensprojekt seit jeher nichts anderes als der endgültige Totengräber des Grunge, wo der stets fröhliche Vollblutmusiker als Nirvana-Drummer Weltkarriere machte. Die direkten Vergleiche sind freilich Unsinn, doch man kann Grohl die vor mittlerweile mehr als 25 Jahren gewonnene Freiheit mit seiner eigenen Band nicht absprechen. An den songschreiberischen Genius von Kurt Cobain sollte Grohl freilich nie rankommen, doch dass aus den Foo Fighters die jüngste Rock-Stadionband werden würde, war zumindest nicht offensiv geplant. Auf den experimentellen Alben „Sonic Highways“ (2014) oder „Concrete And Gold“ (2017) hätten die Kalifornier ihr Mojo verloren, wurde oft kritisiert. Für große Hymnen hat es aber trotzdem gereicht und die Foo Fighters funktionieren ohnehin live viel besser als auf Platte - das weiß niemand besser als die Band selbst.

Stets belächelt
„Patrick Wilson, der Drummer von Weezer, ist ein sehr guter Freund von mir und sagte mir einmal, dass er dachte, er hätte die Foo Fighters schon ganz gut verstanden. Doch irgendwann kam ihm eine DVD von einem unserer Südamerika-Stadiongigs in die Hände und dann wusste er erst wirklich, welche Band wir sind.“ Drummer Taylor Hawkins, Grohls langjähriger Kumpel und seine musikalisch rechte Hand, ist im „Krone“-Interview zwischen Wien und Los Angeles gut gelaunt und redselig. Er weiß ganz genau, dass seine Band mit Auftritten, die schon einmal mit einem Gipsbein stattfinden oder gut drei Stunden dauern können, ihre Legende besiegelt hat. Die Foo Fighters werden trotz ihrer kommerziellen Erfolge immer etwas belächelt und nicht ernst genommen. Sie gelten nicht als so innovativ wie Nirvana, ihnen fehlt das umweltpolitische Pathos von U2, es fehlt die Kantigkeit der Britpop-Bands und vor allem die großen Skandale, die aus Rockstars Legenden formen. Auch wenn sich Hawkins selbst vor fast zwei Jahrzehnten mit Drogen beinahe aus dem Legen geschossen hat - die Burschen rund um das dauergrinsende Hutschpferd Grohl sind eben unverbesserliche Sunnyboys. Und solche werden eben nicht in den Rock-Olymp gehievt.

Den Megasellern selbst ist das freilich egal, sie arbeiten beharrlich an ihrer eigenen Legende und lassen sich nicht limitieren. Das mittlerweile zehnte Album „Medicine At Midnight“ hätte eigentlich schon 2020 erscheinen sollen. Als Krönung zum 25-Jahre-Bandjubiläum, in dem man mit einem Van durch kleine Clubs und Bars tingeln wollte - eben wie ganz am Anfang. Covid-19 sei Dank kam alles anders, aber die Foo Fighters wären nicht die Foo Fighters, würden sie sich davon Motivation und gute Laune verderben lassen. Auch wenn das nicht so einfach war wie üblich. „Eine Band zu sein ist in Zeiten wie diesen seltsam“, erklärt Hawkins, „wir sehen uns so gut wie nie und jeder arbeitet für sich. Aber immerhin geht es uns gut und das ist das Wichtigste.“ Die Songs auf dem kürzesten und knackigsten Album der Bandgeschichte standen schon vor der Pandemie und aus der 2018 angekündigten, längeren Pause wurde nichts, weil Workaholic Grohl Füße und Hände wieder einmal nicht stillhalten konnte. Die einzelnen Single-Auskoppelungen kündigten bereits vorab Veränderungen im Sound an.

Aha-Momente
Der Anfang November veröffentlichte Song „Shame Shame“ klingt wie ein Stoner-Rocker der Queens Of The Stone Age mit viel Wüstenstaub zwischen den Saiten, „Waiting On A War“ beruft sich auf Grohls Jugenderinnerungen bezüglich der steten Angst vor dem Kalten Krieg und wird ein Fixposten im zukünftigen Liveset sein. Doch auch der Rest des Materials hält so einige Aha-Momente parat. Etwa die filigrane Ballade „Chasing Bids“ mit dem untrüglichen Beatles-Feeling oder das abschließende Pop-Stück „Love Dies Young“, das in seiner Lockerheit bewusst an ABBA erinnert. Grohl hat die Songs schon im Vorfeld mit David Bowies „Let’s Dance“ verglichen und den Spaß auf und rundum des Albums propagiert. Der Bowie-Vergleich greift freilich zu weit, doch so leichtfüßig, knackig und - naja - poppig hat man die Foo Fighters tatsächlich noch nie zuvor gehört. „Dave denkt immer darüber nach, die Band neu zu präsentieren und würzt die Suppe stets mit anderen Zutaten“, bemüht Hawkins den klassischen Kunst/Kulinarik-Vergleich, „ein Song wie ,Shame Shame‘ etwa ist richtiggehend erwachsen. Wer hätte sich das je von uns erwartet?“ Auch wenn Grohl die Hand auf dem Songwriting hat, kann sich Sidekick Hawkins immer gut selbst verwirklichen. „Als ich die Drumtracks für das poppige ,Love Dies Young‘ einspielte, hatte ich Level 42 im Kopf. Ich habe anfangs den Beat von ,Everlong‘ gespielt und danach etwas adaptiert. Es hat schon etwas gedauert, bis wir den richtigen Vibe hatten.“

Rockmusik ernsthaft in die Gegenwart zu transferieren ist als große Stadionband, von der immer etwas Bestimmtes erwartet wird, schwierig. Vor allem, wenn man wie die Foo Fighters den Anspruch hat, sich nicht auf den eigenen Lorbeeren auszuruhen, sondern stets eine andere Band zu präsentieren - deren Grundstock freilich immer derselbe bleibt: Hits, Hymnen, Hooks. „Den straighten Rock haben wir schon zur Gänze auserzählt, es muss immer Platz für Experimente bleiben. Wir haben Drums geloopt und uns getraut, klassischen Pop in den Vordergrund zu stellen. Damit sind wir stark aus unserer Komfortzone gerückt.“ Die Foo Fighters haben sich diese Freiheit in den letzten Jahren erarbeitet, das weiß auch Hawkins. „Ob wir, wie bei ,Sonic Highways‘, verschiedene Songs in verschiedenen Städten schreiben oder in der schmuddeligen Garage den billigen Tape-Recorder auspacken ist im Endeffekt egal. Alles ist möglich und legitim. Dave hat die einzigartige Fähigkeit, ein Album bereits zuvor im Kopf zu haben und darauf die Musik zu bauen. Wir unterstützen seine Visionen und öffnen uns dann den neuen Aufnahmetechniken. Vielleicht wird das nächste Album eine opulente Prog-Oper, oder aber ein noch kürzeres, noch prägnanteres Punkrock-Statement.“

Das richtige Gespür
Auf „Medicine At Midnight“ war das Ziel, kurze und kompakte Songs zu schreiben, die stark mit Pop flirten, aber trotzdem nicht die Kantigkeit von Stadionrockgitarren vermissen lassen. „Popsongs zu schreiben ist das Schwierigste überhaupt“, lacht Hawkins, „Lennon und McCartney haben sich nicht hingesetzt und geplant, einen Hit zu schreiben. Sie hatten das richtige Gespür dafür, weshalb es ihnen so oft gelang. Manchmal musst du die Gitarre zum richtigen Zeitpunkt in die Hand nehmen und plötzlich passiert etwas Magisches. Dave gelang das zum Beispiel bei ,Best Of You‘.“ Von herkömmlichen Popbands unterscheidet die Foo Fighters freilich die Vielschichtigkeit und das bewusste Setzen von Kontrasten im Songwriting. Pop ja, aber bitte mit Anspruch und Rock-Charakter. Schließlich muss man auch als „nice guys“ das richtige Image pflegen und wenn man schon nicht seinem Tagwerk Liveshows nachgehen kann, dann muss diese Live-Energie aufs Album. Auch das ist ein essenzieller und hörbarer Grund, warum „Medicine At Midnight“ so druckvoll und eingängig aus den Boxen rauscht. Die Kalifornier vermischen Soul, Funk, Classic Rock, Pop und progressive Desert-Rock-Zitate zu einem Gemisch, das in Form von „Cloudspotter“ oder dem Titeltrack trotzdem mühelos Hittauglichkeit für die Massen ausstrahlt.

Es wäre ein Leichtes gewesen, das Album mit plumpem Trump-Bashing und US-Regierungskritik zu füttern, doch Grohl entschied sich bewusst dafür, das Positive und Schöne am Leben in den Mittelpunkt zu stellen. Ihr politisches Statement lieferten die Foo Fighters ab, als sie neben Größen wie Lady Gaga, Justin Timberlake oder Katy Perry bei der Inauguration von Joe Biden auftraten. „Ich weiß, dass wir sehr viele Fans aus dem Trump-Lager haben“, versucht sich Hawkins in Diplomatie, „mein eigener Vater und viele meiner Verwandten finden ihn großartig. Das Problem ist ja, dass wir nicht mehr normal über unterschiedliche Ansichten diskutieren können, sondern wie Hyänen über uns herfallen. Bei uns in der Familie geht das noch, aber woanders kaum wo. Die Mittelklasse ist so gut wie verschwunden und die Spaltung in der Gesellschaft größer denn je. Die Welt ist mit der von vor 20 Jahren nicht mehr zu vergleichen. Trump hat keine Empathie und keine Liebe für Menschen. Er liebt nur sich und hat damit alles ruiniert. Ich bin kein Biden-Fan, aber wir hätten bei jeder Inauguration gespielt, nur um diesen verdammten Selbstdarsteller endlich aus dem Weißen Haus zu kriegen. Ich hoffe, dass Biden das Land soweit beruhigen kann, dass die Menschen wenigstens wieder miteinander zu reden beginnen.“

Definitionssache
Bis zu Liveshows der Foo Fighters wird es noch länger dauern, die Hits von „Medicine At Midnight“ hätten schließlich schon 2020 auf dem Nova Rock zu hören sein sollen - die Ungewissheit geht unaufhaltsam weiter. „Wenn ich die Armut vor meiner Haustüre in L.A. sehe, weiß ich schnell wieder, wie privilegiert ich bin. Mir und meinen Lieben geht es gut, wir haben überhaupt keine Sorgen und genug zu tun. Ich bin irrsinnig dankbar dafür.“ Dass die Foo Fighters gemeinhin als letzte bzw. jüngste große Rockband der Welt gelten, stört Hawkins mehr als es ihn ehrt. „Das macht doch kein gutes Bild für den Rock oder“, lacht er, „es kommt aber auch darauf an, wie du Rock definierst. Für mich ist Billie Eilish der absolute neue Rockstar. Sie hat eine Magie, die kennt man von Kurt Cobain, Jimi Hendrix oder John Lennon. Sie hat die Populärmusik über Nacht erobert und den Boden für einen ganz neuen Stil bereitet. Im Pop und Hip-Hop passiert immens viel, im Rock leider nicht, aber da draußen gibt es irgendwo eine Person, egal aus welchem Land, egal welchen Geschlechts, egal welcher Hautfarbe, die die Welt mit besonderem Talent zu Leuchten bringen wird.“ Bis dahin müssen eben die Foo Fighters die Stadien füllen. Das sollte auch mit „Medicine At Midnight“ kein Problem sein…

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